Leitartikel16. Februar 2024

Pendeln um jeden Preis?

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Die Pandemie hat uns die Mißstände der Gesellschaft aufgezeigt und auch, daß technologische Möglichkeiten nicht flächendeckend ausgenutzt werden. Insbesondere in der Arbeitswelt fällt die Trägheit oder eher Weigerung auf, endlich modernere Strukturen zuzulassen. Unsere Arbeitszeiten und die daraus resultierende alltägliche Banalisierung der Bedürfnisse des Individuums sind völlig antiquiert und auch wenn immer wieder, mit Unterstützung neoliberaler Massenmedien dem einzelnen Beschäftigten suggeriert wird, Arbeitszeitverkürzung sei etwas schlechtes, haben viele bereits mitbekommen, daß es nicht weitergehen kann wie bisher.

Auch in Luxemburg ist die 40-Stundenwoche als soziale Errungenschaft immer noch der letzte Stand der Dinge. Während die technologische Entwicklung und damit die Produktivität drastisch gestiegen sind, sickert von diesem Fortschritt zu wenig »nach unten« durch, wenn es um die Weiterentwicklung der Arbeitswelt geht. Das Selbstverständnis, daß fremdbestimmte Arbeit der Hauptlebensinhalt sein soll, ist weitgehend zementiert. Wer in diesem System nicht arbeiten kann oder will, wird an den Pranger gestellt, wer alternative Möglichkeiten aufzeigt, ist ein Spinner.

Wer etwa laut darüber nachdenkt, daß unendliches Wachstum auf einem begrenzten Planeten gar nicht möglich ist, beziehungsweise enthemmtes Wachstum, welches einigen wenigen die Taschen füllt, der großen Masse nichts bringt, als noch mehr prekäre Arbeit und eine versaute Umwelt. In dieses Wachstumsdenkien paßt auch der noch immer angebetete Präsentismus. Der Abbau von Pendlerverkehr dort, wo eine Tele-Arbeit im Sinne der Beschäftigten und ihrer Betriebe machbar ist. Denn es geht deutlich mehr. In vielen Fällen sind es Mißtrauen gegenüber den eigenen Angestellten oder ein veraltetes Bild der Arbeitswelt, welche diese Möglichkeiten blockieren.

Doch auch bei allen, die nicht am heimischen Laptop sitzen können und täglich zur Arbeit pendeln müssen, ist kaum Bewegung in der Entwicklung der Arbeitsqualität zu sehen: Die ohnehin schon überholte 40-Stundenwoche existiert vielerorts nur noch auf dem Papier. Flexibilisierung, legale und illegale Überstunden sorgen dafür, daß wir langsam aber sicher wieder zu Arbeitszeiten zurückkehren, die sich mit denen vor dem letzten Weltkrieg messen lassen können. Dabei sind Arbeitszeitverlängerungen eine Gefahr: Sie verschärfen soziale Ungleichheiten und beeinträchtigen Familien- und Privatleben erheblich. Auch das oft gefeierte Ehrenamt leidet. Viele Sportvereine können mittlerweile ein Lied davon singen. Dies hat auch gesundheitliche Einbußen beim Einzelnen zur Folge. Während die Unternehmen sich die Mehrprofite in die Taschen stecken, muß die Allgemeinheit die Kosten für den gesundheitlichen Preis eines nicht gerecht verteilten Wohlstands bezahlen.

Die Diskussion einer Arbeitszeitverkürzung und eine Abkehr vom heiligen Präsentismus muß endlich ernsthafter diskutiert werden. Dabei muß nicht nur den Unternehmen und deren Vertretern in der Regierung klar gemacht werden, daß die Gesellschaft auf dem Spiel steht für kurz- bis mittelfristige Profite, sondern auch jenen Beschäftigten, die den Märchen von der leidenden Wettbewerbsfähigkeit immer noch Glauben schenken. Es ist mittlerweile dutzendfach wissenschaftlich belegt worden, daß kürzere Wochenarbeitszeiten und eine bessere Work-Life-Balance deutlich motiviertere Angestellte schafft. Und auch mit Blick auf die Klimakrise sollten moderne Technologien wie Videokonferenzen oder Home Office einen größeren Rahmen bekommen. Wo das Patronat Mißbrauch sieht, zeigt es nur, daß es der eigenen »Lohnmasse«, der es ständig bedingungslose Identifikation mit dem Unternehmen abverlangt, schlicht nicht traut.