Leitartikel29. September 2009

Böses Erwachen

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Der Souverän hat gesprochen. Die deutschen Wähler haben sich am Sonntag in einer nach bürgerlich-demokratischen Grundsätzen abgelaufenen Wahl mehrheitlich dafür entschieden, der Regierung der »Großen Koalition« die rote Karte zu zeigen. Das ist absolut legitim, und auch folgerichtig. Denn viel Positives kann diese Regierung aus CDU, CSU und SPD nicht vorweisen. Eine Menge Negatives schon. Zwar hatte diese Koalition einen Großteil der Negativa von den Vorgängerregierungen übernommen, aber die bestanden ja auch aus Politprofis von Parteien, die jeweils Wahlen gewonnen hatten und im Interesse der herrschenden Großbourgeoisie den Staat regierten.

Das künftige Regierungsbündnis – von einigen Spöttern nach der Figur einer kaum bildungsintensiven TV-Kindersendung auch »Tigerenten-Koalition« genannt – wird es nicht leicht haben. Die wirtschaftlichen Probleme, die nicht einmal alle hausgemacht sind, lassen nicht viel Luft für Gestaltungs- oder Reformversuche. Aber unser Bedauern gegenüber Merkel, Westerwelle, Guttenberg & Co. hält sich in Grenzen. Immerhin haben sie sich um diesen Job gerissen. Denn sie fühlen sich als die am meisten Berufenen, um dem kapitalistischen System – heute in Deutschland und morgen in der ganzen Welt – den Weg zum endgültigen Sieg zu ebnen. Sie gehen davon aus, daß das niemand besser kann, und möglicherweise haben sie recht.

Die deutschen Wähler sind seit dem schmachvollen Ende von Hitler und Goebbels selten so belogen und an der Nase herumgeführt worden wie in den letzten Wochen. Das ist kein Wunder, denn die für Manipulation zuständigen Leute sind bei Leuten in die Schule gegangen, die die Reden des Größten Führers aller Zeiten und seines Reichspropagandaministers noch persönlich gehört, zum Teil sogar geschrieben haben. Die Wähler wollten die bisherige Koalition nicht mehr – und nun kriegen sie eine, die irgendwann zu einem richtig bösen Erwachen führen wird.

Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind am Montag in der Gewißheit wach geworden, daß sie künftig von dem dynamischen Duo Merkel/Westerwelle regiert werden. Das hat sich so ergeben, weil einerseits Dr. Angela Dorothea Merkel in der CDU die einzige Person ist, die ihre Partei einigermaßen leiten und die »jungen Wilden«, die in Wiesbaden und in Hannover gierig auf ihre Chance warten, (noch) in Schach halten kann. Und andererseits hat Dr. Guido Westerwelle schon vor über 20 Jahren als Jungpolitiker ganz heftig davon geträumt, eines Tages Vizekanzler und Außenminister-Darsteller zu werden – jetzt kann er der Welt die Freude machen!

Aber das eigentliche böse Erwachen kommt erst noch. Denn die FDP hat bereits lauthals verkündet, daß sie den geplagten Unternehmern möglichst viel von ihrer Steuerlast abnehmen will. Außerdem sollen Unternehmen noch mehr Gewinne machen dürfen, durch weniger Regulierung und weniger Kontrolle des Staates. Vor allem aber sollen die habgierigen »Arbeitnehmer« nicht so viele Rechte haben und nicht so viel Lohn scheffeln dürfen wie bisher. Weniger Mitsprache der Gewerkschaften, weniger Kündigungsschutz, mehr Freiheit für Spekulanten aller Art sind Forderungen, die der CDU in den Koalitionsgesprächen keine großen Kopfschmerzen bereiten werden.
Eigentlich könnte uns das egal sein, aber eines Tages kommt das böse Erwachen auch zu uns…

Uli Brockmeyer