Ausland25. November 2021

»Die aufgedeckte Wahrheit«

Rußland hilft dem Libanon bei der Untersuchung der Explosion im Hafen von Beirut im August 2020

von Karin Leukefeld

Rußland hat dem Libanon Satellitenaufnahmen vom 4. August 2020 übergeben, dem Tag, an dem eine mächtige Explosion den Hafen von Beirut zerstörte. Bei einem Treffen mit seinem libanesischen Amtskollegen Abdallah Bou Habib in Moskau am Montag, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow, Rußland habe auf eine Anfrage des libanesischen Präsidenten Michel Aoun reagiert. Die Aufnahmen seien von Roskosmos, der russischen Weltraumagentor zusammengestellt worden. »Wir hoffen, sie werden dabei helfen, die Ursachen dieses Vorfalls aufzuklären«, so Lawrow. Das Thema werde im Libanon mit höchster Anspannung verfolgt, man hoffe, die Aufklärung könne zum Abschluß gebracht werden.

Wiederholt hatten sich die Anwälte von Hunderten Opfern der gewaltigen Explosion schriftlich an den UN-Generalsekretär Antonio Guterres gewandt und ihn gebeten, daß die UNO bei der Aufklärung der Katastrophe behilflich sei. Unter Berufung auf das Beirut-Büro der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und auf libanesische Anwälte berichtete die BBC an dem Tag, an dem in Moskau Satellitenbilder an den Libanon übergeben wurden, Anwälte hätten die UNO wiederholt darum gebeten, daß Mitgliedstaaten vorhandene Satellitenaufnahmen von dem Tag der Explosion an die libanesischen Behörden übergeben sollten.

Außerdem wollte man wissen, ob die UNIFIL das Schiff mit der mörderischen Fracht jemals überprüft habe. Die UNO-Beobachtermission UNIFIL überwacht im Libanon seit 1978 die südliche Grenze zwischen Israel und dem Zedernstaat. Nach dem Libanonkrieg 2006 wurde das Mandat auf die Überwachung der libanesischen Küstengewässer erweitert. Seitdem gehört es auch zur Aufgabe von UNIFIL, Schiffe auf mögliche Waffenlieferungen hin zu überprüfen.

Keines der Schreiben an den UNO-Generalsekretär ist offenbar beantwortet worden. Was teilweise von Betroffenen als »Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern« kritisiert wird, könnte auch an dem Druck einflußreicher UNO-Mitgliedstaaten auf das Generalsekretariat liegen. Weder die USA, noch die EU, nicht Britannien und auch nicht Frankreich oder Israel waren bereit, mit Satellitenbildern zur Aufklärung der Hafenexplosion beizutragen.

Der libanesische Nachrichtensender Al Mayadeen strahlte am Montag den ersten Teil einer zweiteiligen Dokumentation »Die aufgedeckte Wahrheit« aus, die sich sowohl mit dem mysteriösen Schiff als auch mit den Umständen vor, während und nach der Explosion beschäftigt. Die Dokumentation suche Antworten auf die Fragen: »Wer sind die wahren Besitzer der Ladung, wer hat die Ladung importiert? War die Ladung für Beirut bestimmt oder ging das Schiff nur im Transit vor Anker? Wie gingen die libanesische Verwaltung und die Sicherheitskräfte mit der Ladung in Beirut um?«

Die »MV Rhosus« war 2013 aus dem Hafen Batumi in Georgien mit 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat aufgebrochen, das – je nach Zusammensetzung – sowohl als Düngemittel als auch als Sprengstoff eingesetzt werden kann. Die Ladung sollte nach Mozambique gebracht werden. Warum das marode Schiff überhaupt den Hafen von Beirut ansteuerte – der nicht auf seiner Route lag – wird unterschiedlich dargestellt. Manche Berichte sagen, das Schiff sollte neue Ladung aufnehmen und dann weiterfahren, andere Berichte sprechen von technischen Problemen des Schiffes, das deshalb in Beirut vor Anker gegangen und schließlich aus dem Verkehr gezogen worden sei.

Bei der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut waren mindestens 218 Menschen getötet und mehr als 7.000 verletzt worden. 300.000 Menschen wurden obdachlos. Der materielle Schaden wird auf 15 Milliarden US-Dollar geschätzt.