Sicherheitsbedenken Rußlands und vorsätzliche Provokateure
Trotz der schrägen Propaganda, die in den westlichen Mainstream-Medien derzeit als »Nachrichten« durchgeht, gibt es in Wahrheit keine Guten im Ukraine-Konflikt
Putin einfach als die jüngste Inkarnation Hitlers darzustellen, als einen territorial hungrigen Verrückten, wie es die Sprecherin des Repräsentantenhauses der USA, Nancy Pelosi, tut, bedeutet, die berechtigten Sicherheitsforderungen, die Rußland seit Jahren vorbringt, vorsätzlich zu ignorieren.
Die aktuelle Krise basiert jedoch auf Problemen, die über 30 Jahre zurückreichen – vom Ende des Kalten Krieges bis in die Gegenwart. Bereits 1991 versprach Präsident Bush I. dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, daß die NATO nach dem Rückzug der UdSSR aus Osteuropa nicht danach streben werde, weitere Länder aufzunehmen.
Wäre der Westen wirklich daran interessiert gewesen, die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden in Europa zu schaffen, hätte er die NATO in diesem Moment vollständig aufgelöst. Stattdessen wurde kaum eine Minute vergeudet, um zu beweisen, daß Bushs Worte ein leeres Versprechen waren: das Bündnis dehnte sich nicht nur auf ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten aus, sondern schluckte sogar Staaten, die früher selbst Teil der UdSSR waren, wie Lettland, Estland und Litauen.
Nachdem der Vorwand, ein »Verteidigungsbündnis« gegen die Sowjetunion zu sein, weggefallen war, wurde die NATO ganz offen zu einem direkten Instrument der US-amerikanischen Militärpolitik gestaltet.
Die NATO trug dazu bei, Jugoslawien in Stücke zu reißen, bombardierte Afghanistan nach dem 11. September und trieb Libyen in einen Bürgerkrieg. In Anbetracht dieser Geschichte ist die Angst Rußlands davor, daß die NATO die Ukraine in ihre Sphäre zieht und sich direkt an die russische Grenze heranschleicht, alles andere als absurd. Kein Wunder, daß Putin von den USA und der NATO den Abzug aller Waffen aus der Ukraine und die Garantie fordert, daß die Ukraine nicht dem Kriegsbündnis beitritt. Jeder russische Staatschef – ob von links, rechts oder der Mitte – würde das Gleiche fordern.
Auf der anderen Seite des Atlantik spricht Präsident Joe Biden seit Monaten unablässig von der »Verteidigung der ukrainischen Demokratie« und von »friedlichen Absichten«, während er gleichzeitig immer mehr USA-Raketen und Truppen näher an die russische Grenze verlegt – nicht nur in die Ukraine, sondern auch nach Polen, in die Tschechische Republik und in andere Länder. Biden und die NATO, die sich der Sicherheitsbedenken Rußlands voll bewußt waren, gingen trotzdem bis zum Äußersten und agierten als vorsätzliche Provokateure. Ein Friedensstifter ist der USA-Präsident wirklich nicht.
Obwohl zu wenige darauf geachtet haben, hat Biden auch den Vorhang für die wirtschaftlichen Interessen der USA gelüftet, die auf einen Krieg zwischen Rußland und der Ukraine drängen – diejenigen, die hierzulande, in den USA, von den Kämpfen in Osteuropa profitieren. Da sind natürlich die üblichen Verdächtigen, die Raketenhersteller und Flugzeugproduzenten, aber die anderen großen Gewinner in diesem Krieg sind die großen Öl- und Gasunternehmen.
Während der gegenwärtigen Krise hat Biden wiederholt Deutschland und die Erdgaspipeline »Nord Stream 2« bedroht und Berlin gedrängt, das Projekt zu stoppen. Das ganze Gerede über die Pipeline kam nicht aus heiterem Himmel.
Unternehmen wie Chevron, ExxonMobil und Shell sowie Hunderte von Bohr- und Schiffahrtsunternehmen, die mit ihnen zusammenarbeiten, wollen die Exporte in ein Europa, das nach Gas hungert, massiv steigern, aber Rußland und sein staatliches Unternehmen Gazprom stehen ihnen im Weg. Derzeit entfallen über 30 Prozent aller Einfuhren in die Europäische Union auf russisches Erdgas. Die führenden EU-Mächte Deutschland und Frankreich beziehen 40 Prozent ihres Gases aus Rußland, während einige andere Länder, wie die Tschechische Republik und Rumänien, ausschließlich russisches Gas nutzen.
Um die Konkurrenz zu verdrängen und Marktanteile zu erobern, müssen die westlichen multinationalen Konzerne die Gasströme aus dem Osten bremsen. Die Pipeline »Nord Stream 2«, die Ende letzten Jahres fertiggestellt wurde und 2022 in Betrieb genommen werden soll, würde die Verkäufe aus den USA, die über teure Verladeterminals erfolgen, dauerhaft begrenzen.
Die ukrainische Regierung, die von den Transitgebühren für die bestehenden Überlandpipelines profitiert, setzte sich im vergangenen Sommer permanent in Washington für die Verhängung von Sanktionen gegen »Nord Stream 2« und die dahinter stehenden deutschen und russischen Unternehmen ein. Mit dem russischen Angriff haben die ukrainischen Machthaber und die westlichen Gasunternehmen bekommen, was sie wollten. »Nord Stream 2« wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, Deutschland hat die Pläne für weitere Terminals zur Verschiffung von Gas aus den USA wieder aufgenommen, und die weltweiten Energiepreise sind infolge des Krieges in die Höhe geschossen.
Was nun das Thema »Entnazifizierung« angeht – nun, die wahren Faschisten in dieser Situation sind diejenigen, die in Kiew das Sagen haben und die ukrainischen Streitkräfte befehligen. Obwohl er derzeit die Hauptrolle spielt, ist Präsident Selenski – ein russischsprachiger Komiker, der zum nationalistischen Politiker wurde – nur das jüngste in einer Reihe von wechselnden Gesichtern an der Spitze des rechtsgerichteten ukrainischen Staates.
Das derzeitige Regime kam nach den »Euromaidan«-Protesten von 2014 an die Macht, die die korrupte, wenn auch demokratisch gewählte Regierung von Präsident Wiktor Janukowitsch stürzten. Als Janukowitsch versuchte, Rußland und die EU gegeneinander auszuspielen, um das beste Wirtschaftsabkommen für die Ukraine zu erzielen, wurde er zur Zielscheibe der vom Westen unterstützten Geschäftsinteressen in der Ukraine und der ultranationalistischen Neonazi-Gruppen. Letztere taten sich mit Unterstützung der USA zusammen, um einen Staatsstreich durchzuführen und Janukowitsch nach Moskau zu verjagen.
In der Folge dieses Putsches wurden Gewerkschaften und linke Parteien in der Ukraine stark unterdrückt. In Odessa wurden Dutzende von Gewerkschaftsmitgliedern bei einem Massenmord lebendig verbrannt, während Aktivisten der Ukrainischen Kommunistischen Partei und anderer Gruppen in den Untergrund gezwungen wurden.
Im ganzen Land wurde eine ethnische Auslöschungskampagne gegen russischsprachige Ukrainer gestartet, wobei die russische Sprache aus dem öffentlichen Leben verbannt wurde. In den mehrheitlich russischen Regionen der Ostukraine kam es zu einem Krieg, der bisher über 15.000 Menschenleben gefordert hat. Befehlshaber offen neonazistischer und faschistischer Gruppen wie des Bataillons »Asow« wurden mit der Führung der offiziellen ukrainischen Streitkräfte betraut und erhielten freie Hand im Donbass.
Bis zum heutigen Tag interviewen westliche Medien diese »ukrainischen Patrioten«, ohne gegenüber den Zuschauern in den USA zu erwähnen, daß die als »Helden« Gefeierten buchstäblich Nazis sind. Und die USA-Regierung zuckt nicht einmal mit der Wimper. Das Minsker Abkommen von 2015, das die Kämpfe beenden und die Menschen im Donbass schützen sollte, wurde von Kiew weitgehend ignoriert. Kein Wunder also, daß die neu ausgerufenen Volksrepubliken Donezk und Lugansk ihre Unabhängigkeit anstreben und Rußland um Schutz bitten.
Seit Beginn der aktuellen Krise schwankt die Regierung Selenski. Einmal drängt sie auf Konfrontation, weil sie glaubt, mehr militärische und wirtschaftliche Hilfe von der NATO erhalten zu können, während sie gleichzeitig ihre eigenen Pipeline-Profite als Abnehmer von russischem Gas schützt. In einem anderen Moment warnt sie vor Kriegspanik, wenn es so aussieht, als ob die Situation sie tatsächlich in einen echten Krieg verwickeln könnte.
Selenski hat letzte Woche offen seinen Wunsch geäußert, einen Krieg »mit ausländischer militärischer Unterstützung« gegen Rußland und die abtrünnigen Regionen in seinem Osten zu führen. Dann, als russische Raketen geflogen kommen und Truppen die Grenze überschreiten, stellt er sein Land plötzlich als armes Opfer in einem »Angriffskrieg« dar. Nun könnte er vielleicht zu der Erkenntnis gelangt sein, daß er ein schlechtes Spiel gemacht hat.
Rechtfertigt all dies jedoch die »spezielle Militäroperation«, die Rußlands Streitkräfte derzeit in der Ukraine durchführen? Seine Erklärung, die Ukraine müsse »entmilitarisiert« und »entnazifiziert« werden, ist angesichts der Clique, die in Kiew an der Macht ist, und der Entwicklungen in diesem Land seit 2014 sicherlich ein lobenswertes Ziel. Aber die Aktionen des russischen Militärs – die bisher Angriffe auf ukrainische militärische Infrastruktur, Luftverteidigungsanlagen, Flugplätze und Militärflugzeuge umfassen – stellen eine erhebliche Eskalation des Konflikts dar und sind zu verurteilen. Putin hat gesagt, er wolle keine Invasion, hat aber trotzdem eine gestartet.
Aber es gibt mehr als genug Schuldzuweisungen zu verteilen. Die USA, die NATO und die Ukraine sagten, sie wollten Frieden, provozierten aber trotzdem einen Krieg. Die von den USA angeführte imperialistische Einkreisung Rußlands nach dem Kalten Krieg und das brutale Vorgehen der von Faschisten unterstützten Regierung in Kiew haben zusammengewirkt, um uns an diesen Punkt zu bringen.
In diesem Krieg wird das ukrainische Volk verlieren. Das russische Volk wird verlieren. Die Menschen in Europa werden verlieren. Und das Volk der USA wird verlieren. Überall werden Gelder in verschwenderische Militärausgaben oder in die Energiemonopole umgeleitet und von den Bedürfnissen der Menschen abgezogen. In der Ukraine und in Rußland werden Hunderte oder vielleicht Tausende von Menschenleben verloren gehen.
Um eine weitere Katastrophe abzuwenden und die Pläne der Kriegsgewinnler zu durchkreuzen, müssen alle beteiligten Regierungen und Kräfte unter Druck gesetzt werden, sich zurückzuziehen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Aus: »People’s World«
Zeitung der Kommunistischen Partei der USA (CPUSA)
Übersetzung und Bearbeitung: ZLV