Ausland09. September 2023

Venceremos!

Vor 50 Jahren putschte das Militär in Chile gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Bis heute konnte die Demokratie nicht wiederhergestellt werden

von Manuela Tovar

Ein halbes Jahrhundert nach dem Putsch fühlt sich Chiles Rechte wieder stark. Sie versucht, die Erinnerung an den blutigen Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende am 11. September 1973 und an die Errichtung der faschistischen Militärdiktatur zu stören und den Putsch zu rechtfertigen.

So wurde am 22. August im Parlament auf Antrag der rechten Fraktionen ein Beschluß verlesen, den das auch damals von der Reaktion kontrollierte Parlament 50 Jahre zuvor, am 22. August 1973, verabschiedet hatte. In diesem Papier wurde der damaligen Regierung Allende ein Bruch der Verfassung unterstellt und das Militär aufgerufen, dem Präsidenten die Gefolgschaft aufzukündigen.

Wenige Tage später diente dieses Papier den reaktionären Kräften als Rechtfertigung für den brutalen Staatsstreich, dem tausende Chileninnen und Chilenen zum Opfer fielen. Daran erinnerten ein halbes Jahrhundert später die Abgeordneten der linken Parteien, die sich während der Sitzung Fotos ihrer unter der Diktatur ermordeten Angehörigen anhefteten. Während der Text vom August 1973 verlesen wurde, skandierten sie »Justicia, verdad, no a la impunidad!« – »Gerechtigkeit, Wahrheit, nein zur Straflosigkeit! – und erinnerten damit daran, daß die wenigsten uniformierten Mörder von den Gerichten zur Rechenschaft gezogen wurden.

Die kommunistische Abgeordnete Lorena Pizarro, deren Vater unter der Diktatur verhaftet wurde und wie so viele andere spurlos »verschwand«, schleuderte den rechten Abgeordneten ein deftiges »Fahrt zur Hölle« entgegen und warf ihnen vor, den faschistischen Staatsstreich von 1973 zu rechtfertigen. »Niemand wird uns verbieten können, zu protestieren und an unsere ermordeten und an unsere Angehörigen zu erinnern, die man in der Zeit der Tyrannei verschwinden ließ, und sie zu ehren. Gegen jede Rede, die die Verbrechen leugnet, werden wir aufstehen und die Wahrheit rufen und Gerechtigkeit fordern.«

Die chilenische Rechte erstarkt angesichts eines Regierungslagers, das sich mit dem Erbe der sozialistischen Regierung von Salvador Allende und der Unidad Popular teilweise schwer tut. So mußte im Juli Patricio Fernández, der im Auftrag von Präsident Gabriel Boric die Gedenkveranstaltungen koordinieren sollte, seinen Rücktritt erklären. Er hatte in einem Radiointerview erklärt, man könne auch heute noch »über die Gründe diskutieren«, die zum Putsch geführt hätten. Daraufhin hatte die Vereinigung der Angehörigen von Verschwundenen die Abberufung Fernández’ verlangt: »Wir erinnern an den 50. Jahrestag von dem, was Folter, Verschwindenlassen, ins Exil treiben bedeutet hat. Es gibt einen Berg von Dingen, die wir unter der Diktatur erlebt haben und die dieser Herr offenbar vergessen hat.«

Der Genosse Präsident

Salvador Allende Gossens, der spätere Präsident Chiles, wurde am 26. Juni 1908 in Valparaiso als Sohn einer mittelständischen Juristenfamilie geboren. Nach seinem Medizinstudium und dem Beginn seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt gehörte er 1933 zu den Mitbegründern der Sozialistischen Partei, deren Führung er in seiner Geburtsstadt übernahm. 1937 wurde er erstmals als Abgeordneter in das chilenische Parlament gewählt.

1939 übernahm Allende unter der Regierung des progressiven Präsidenten Pedro Aguirre Cerda das Amt des Gesundheits- und Sozialministers und legte ein 1940 vom Kongreß verabschiedetes Sozialversicherungsgesetz vor. 1942 legte er sein Ministeramt nieder und übernahm die Führung der Sozialistischen Partei. Zehn Jahre später kandidierte er für die Volksfront, der neben seiner eigenen auch die Kommunistische Partei angehörte, erstmals für das Amt des Staatspräsidenten.

Es folgten weitere erfolglose Kandidaturen 1958 und 1963. Allende selbst witzelte in dieser Zeit, daß auf seinem Grabstein einmal stehen werde, »Hier ruht Salvador Allende, der künftige Präsident Chiles«.

Tatsächlich jedoch gelang der Wahlsieg am 4. September 1970, als er an der Spitze der Unidad Popular, der Volkseinheit, in das höchste Staatsamt gewählt wurde, das er am 3. November 1970 antrat. Wie wir heute wissen, versuchte der US-amerikanische Geheimdienst CIA schon damals, das Militär zum Putsch zu bewegen, um die Regierungsübernahme des Sozialisten zu verhindern. Damals blieb dieser Versuch noch erfolglos.

Es begann eine historisch einmalige Etappe in der Geschichte Chiles. Zum ersten Mal sollte nach Wahlen auf friedlichem Weg der Sozialismus aufgebaut werden, »ohne Bruderkrieg und Blutvergießen«, wie Allende bei seinem Amtsantritt verkündete: »Ein Sozialismus mit Wein und Empanadas.«

Chile nahm diplomatische Beziehungen mit Kuba, der DDR und der Volksrepublik China auf, später auch mit der Demokratischen Republik Vietnam, der Provisorischen Revolutionsregierung Südvietnams und der Volksrepublik Kongo.

Die Kinder Chiles erhielten in den Schulen täglich kostenlos einen halben Liter Milch – ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Armut und Unterernährung. Im Juli 1971 beschloß der Kongreß eine Änderung der Verfassung, durch die es dem Präsidenten erlaubt wurde, die im Besitz ausländischer Konzerne befindlichen Bodenschätze zu nationalisieren. In der Folge wurde die Kupferindustrie verstaatlicht.

Terror der Reaktion

Doch die Reaktion ruhte nicht. Hatten die Sicherheitsorgane schon im Januar 1971, unmittelbar nach dem Amtsantritt Allendes, einen Anschlag auf sein Leben verhindern müssen, verschärften die Konzernherren und die Rechten im Laufe des Jahres 1972 den Terror gegen die Regierung und alle progressiven Kräfte. Die Kupferindustrie wurde sabotiert, Fuhrunternehmer legten wochenlang die Arbeit nieder, antikommunistische Gruppen verübten Anschläge auf Einrichtungen der linken Parteien und deren Repräsentanten.

Am 29. Juni 1973 meuterte das 2. Panzerregiment in Santiago de Chile – noch konnte der Putschversuch zurückgeschlagen werden. Am 27. Juli 1973 wurde Allendes Marineadjutant Arturo Araya ermordet, erneut legten die Fuhrunternehmer landesweit die Arbeit nieder. Am 24. August erklärte General Carlos Prats, der Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte, unter dem Druck der rechten Opposition seinen Rücktritt. An seine Stelle rückte Augusto Pinochet, der zu diesem Zeitpunkt dem Präsidenten Salvador Allende noch die Treue schwor.

Die Lage spitzte sich immer weiter zu. Die Einzelhändler und Kleinunternehmer riefen Ende August 1973 zu einem »Streik« auf und schlossen ihre Läden und Firmen. Am 30. August erklärte die Regierung die Berufsvereinigung der Fuhrunternehmer für illegal, nachdem diese ihre Sabotageaktionen nicht einstellen wollten. Schließlich demonstrierten am 4. September 1973 mehr als eine Million Menschen in Santiago ihre Unterstützung für Allende und die Regierung der Unidad Popular. Nach dem Ende der Kundgebung warnte der Präsident in einer von Rundfunk und Fernsehen übertragenen Ansprache: »Wir müssen wachsam, müssen auf der Hut sein, müssen kühlen Verstand und ein heißes Herz haben. Wir sind Zeugen einer verbrecherischen Verschwörung.« Noch hoffte Allende auf die verfassungstreuen Teile des Militärs – doch die gab es kaum noch.

Programm zur Destabilisierung

Und die Entscheidung für den Putsch war schon getroffen – in Washington. Bereits Ende 1970 hatte die USA-Regierung begonnen, Maßnahmen gegen die neue chilenische Regierung vorzubereiten. »Unsere Hauptsorge in Chile liegt in der Aussicht, daß (Allende) seine Macht konsolidieren kann und das international als politischer Erfolg wahrgenommen wird«, erklärte USA-Präsident Richard Nixon damals und wies seine Geheimdienste und Diplomaten an, ein Programm zur Destabilisierung der chilenischen Regierung umzusetzen. Man müsse »kühl und korrekt« vorgehen, »aber alles tun, um eine echte Botschaft an Allende und andere auszusenden«. Der Nationale Sicherheitsberater Henry Kissinger, bei dem die Fäden dafür zusammenliefen, rühmte sich später, durch diese Maßnahmen »die bestmöglichen Bedingungen« für den Putsch geschaffen zu haben.

Am Morgen des 7. September 1973 versammelte Allende die Generäle des Oberkommandos um sich und teilte ihnen mit, daß er eine Volksabstimmung durchführen werde, um durch eine Entscheidung der Wählerinnen und Wähler den Konflikt zwischen ihm und der reaktionären Parlamentsmehrheit aufzulösen. Die Entscheidung über die Durchführung der Volksabstimmung wollte er der Bevölkerung am 11. September mitteilen. Das mußten die Generäle, unter ihnen Augusto Pinochet, als Bedrohung auffassen. Sie entschieden, dem demokratischen Ausweg Allendes durch ihren Putsch zuvorzukommen.

Am Abend des 10. September 1973 veröffentlichte die Kommunistische Partei Chiles einen Aufruf, in dem sie vor dem unmittelbar bevorstehenden Staatsstreich warnte und die führenden Funktionäre der Regierungsparteien aufrief, nicht in ihren Wohnungen zu übernachten. Es war die letzte Nacht des freien Chile.

»Ich werde nicht zurücktreten!«

In den Morgenstunden des 11. September 1973 besetzten die Militärs Rundfunkstationen, Telefonzentralen, Treibstofflager und die zentralen Versorgungseinrichtungen. Salvador Allende ordnete die Verteidigung des Präsidentenpalastes an und kündigte an, nicht zurückzutreten.

Während die Putschistenführer sich noch versteckt hielten, meldete sich Präsident Allende erstmals an diesem Tag über die noch verbliebenen Rundfunksender zu Wort. Er informierte die Bevölkerung über den begonnenen Staatsstreich, rief zum Widerstand auf und erklärte, daß er seinen Posten nicht verlassen werde: »Ich bin bereit, die mir von den Werktätigen gegebene Macht mit meinem Leben zu verteidigen.« Es war die erste von mehreren Reden, die Allende an diesem Tag an die Bevölkerung hielt, um sie über die Entwicklung zu informieren.

War man im Präsidentenpalast La Moneda zunächst davon ausgegangen, daß es sich um eine Rebellion der Kriegsmarine handle, sprach Allende um 8.45 Uhr erstmals davon, daß sich die Mehrheit der Streitkräfte an dem Umsturz beteilige. Erneut betonte er: »Ich werde La Moneda erst verlassen, wenn das mir vom Volk verliehene Mandat endet. Ich werde diese chilenische Revolution verteidigen und ich werde die Regierung verteidigen, weil das die Aufgabe ist, die mir das Volk übertragen hat. Ich habe keine Alternative.

Nur wenn sie mich mit Kugeln durchsieben werden sie den Willen brechen können, das Programm des Volkes zu erfüllen. Wenn sie mich ermorden, wird das Volk seinen Weg fortsetzen. Es wird den Weg aber vielleicht mit dem Unterschied weiter verfolgen, daß die Dinge sehr viel härter sein werden, sehr viel gewaltsamer, denn das wird eine für die Massen sehr klare, objektive Lehre sein, daß diese Leute vor nichts zurückschrecken.«

Eine knappe halbe Stunde meldete sich der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende zum letzten Mal über den letzten noch arbeitenden Sender der Unidad Popular, das von der Kommunistischen Partei Chiles betriebene Radio Magallanes, zu Wort. Seine Rede ging in die Geschichte ein: »Dies wird höchstwahrscheinlich die letzte Gelegenheit sein, daß ich mich an Sie wende. (…) Man kann weder durch Verbrechen noch durch Gewalt die gesellschaftlichen Prozesse aufhalten. Die Geschichte gehört uns, es sind die Völker, die sie machen. (…) In diesen düsteren und bitteren Augenblicken, in denen sich der Verrat durchsetzt, müßt ihr wissen, daß sich früher oder später, sehr bald, erneut die breiten Alleen auftun werden, auf denen der würdige Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht.«

Die Rede war von den Redakteuren bei Radio Magallanes aufgezeichnet und vor der Besetzung des Senders durch die Putschisten herausgeschmuggelt worden. Wenige Tage später übergab einer der Mitarbeiter die Aufzeichnung bei einem konspirativen Treff dem Kulturattaché der DDR-Botschaft in Santiago. Als die DDR kurz darauf die diplomatischen Beziehungen mit der Junta abbrach, befand sich im Gepäck der ausreisenden Botschaftsangehörigen auch die Kassette mit der Aufnahme.

Das Fernsehen der DDR strahlte die Rede noch im September in einer Sondersendung aus, unterlegt mit Bildern vom Staatsstreich, die deutsche Übersetzung als Fließtext eingeblendet. Die Schallplattenfirma Eterna brachte die Rede als Single mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren heraus. Sie war nach drei Tagen vergriffen.

Der Putschist Henry Kissinger

Nachdem 1974 die »New York Times« erstmals die Verwicklung Washingtons in den Staatsstreich aufdeckte, rechtfertigte der kurz zuvor als Nachfolger Richard Nixons ins Amt gelangte USA-Präsident Gerald Ford die Beteiligung. Die Intervention der USA »zur Erhaltung der demokratischen Institutionen Chiles« sei »im eigenen Interesse des chilenischen Volkes und sicherlich auch in unserem Interesse« gewesen. Kissinger behauptete später, es sei den USA nur um die 1976 bevorstehenden Präsidentschaftswahlen gegangen, nicht aber um den Putsch 1973, »von dem wir nichts wußten und mit dem wir nichts zu tun hatten«. Das war gelogen, wie in der Zwischenzeit offengelegte Dokumente klar belegen.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland fehlte es nicht an Unterstützern des Staatsstreichs. Der CDU-Politiker und frühere Bundesminister Bruno Heck machte noch im Oktober 1973 der Junta seine Aufwartung und ließ sich das Nationalstadion zeigen, in dem zu diesem Zeitpunkt noch immer rund 5.000 Menschen inhaftiert waren und gefoltert wurden. Nach Westdeutschland zurückgekehrt, verkündete er dann bei einer Pressekonferenz, das Leben im Stadion sei bei sonnigem Frühlingswetter »recht angenehm«.

Der Chef der bayerischen CSU, Franz Josef Strauß, schrieb 1973 im Parteiorgan »Bayernkurier«, daß »das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang« erhalte. Das westdeutsche Kapital jubelte ebenfalls darüber, daß die Junta Gewerkschaften und Linke entmachtet hatte. Die Exporte aus der BRD nach Chile stiegen 1974 um über 40 Prozent, die Importe aus Chile um 65 Prozent.

Doch auch die vom Sozialdemokraten Willy Brandt geführte Bundesregierung unterstützte zumindest indirekt die Putschisten. Der Auslandsgeheimdienst BND wußte im Vorfeld von den Staatsstreichplänen – das wiederum wissen wir heute aus den Berichten eines DDR-Aufklärers, der die Behörden in Berlin Stunden vor Beginn des Putsches informierte. Bis heute verweigern sämtliche deutsche Bundesregierungen jedoch Aufklärung darüber, was damals im Vorfeld des Putsches bekannt war und wie der Bundesnachrichtendienst (BND) in Zusammenarbeit mit der CIA darin verwickelt war.

Nachdem der Linkspartei-Abgeordnete Jan Korte dem Bundesaußenministerium Ende 2018 eine Reihe von entsprechenden Fragen vorgelegt hatte, erhielt er nur lückenhaft Auskunft. »Diese Antworten sind eine Frechheit sondergleichen«, erklärte Korte anschließend. Immerhin räumte das Auswärtige Amt ein, daß die Regierung Brandt über den geplanten Putsch vorher informiert war. Details zur Rolle der Bundesregierung und ihrer Institutionen wollte das Ministerium allerdings nicht herausrücken und verwies auf das »Staatswohl«. »Durch eine Offenlegung von Inhalten in Bezug auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Sicherheitsbehörden würde die gegenseitige strikte und unbefristete Vertraulichkeit, die die Grundlage jeglicher nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit bildet, verletzt«, verweigerte das Ministerium die Auskunft.

»Es ist davon auszugehen, daß es diese enge Zusammenarbeit zwischen dem BND und der CIA gab und daß diese ideologisch in Westdeutschland durch Antikommunismus legitimiert wurde«, schlußfolgerte Korte. Offen ließ die Bundesregierung auch, ob zwischen 1965 und 1995 chilenische Militärangehörige in Westdeutschland ausgebildet wurden.

Faschismus und Widerstand

Die Putschisten zerschlugen die demokratische Ordnung mit brutalster Gewalt. Bereits in den ersten Tagen der Diktatur wurden zehntausende Menschen verhaftet, tausende ermordet oder in die eilig eingerichteten Konzentrationslager deportiert. Das Nationalstadion in Santiago wurde zum Gefangenenlager und zur Folterstätte. Ungezählte Menschen wurden dort ermordet, unter ihnen der kommunistische Volkssänger Victor Jara.

Bücher wurden öffentlich verbrannt, die Kommunistische und die Sozialistische Partei verboten. Öffentlich rief die Junta dazu auf, Anhänger der gestürzten Regierung als »Vaterlandsverräter« bei Polizei und Militär zu denunzieren. Insgesamt wurden nach offiziellen Angaben mehr als 40.000 Menschen Opfer der Diktatur – sie wurden hingerichtet, »verschwanden« nach ihrer Verhaftung oder wurden zu Tode gefoltert.

Zehntausende Menschen mußten ins Exil fliehen, fanden Zuflucht in anderen Ländern Lateinamerikas oder auch in Europa. Die DDR nahm die Verfolgten sofort auf, die Exilführung der Unidad Popular richtete ihren Sitz in Berlin ein. In der BRD war es dagegen die linke Opposition, die mit Chile-Komitees und anderen Initiativen die Solidarität mit den verfolgten Chilenen entwickelte. Erst nach längerem Zögern öffnete auch die sozialdemokratisch-liberale Bundesregierung die Grenzen für die Flüchtlinge.

Für die chilenische Linke begann der schwierige Weg, den Widerstand gegen die Diktatur aufzubauen – aus dem Exil und im Inland. Die Unidad Popular spielte schnell nur noch eine symbolische Rolle, da alle beteiligten Parteien ihre eigenständige Politik entwickelten. Nachdem sich die Sozialistische Partei Ende der 1970er Jahre spaltete, löste sich die UP schließlich offiziell auf.

Die Bewegung der Revolutionären Linken (MIR), die schon vor dem Putsch die Regierung Allende als zu zögerlich kritisiert hatte, nahm sofort nach dem Putsch den bewaffneten Kampf auf. Sie verlor hunderte Mitglieder durch die Repression der Faschisten, auch ihr Generalsekretär Miguel Enríquez wurde 1974 vom Militär ermordet. Ein Versuch, in den ländlichen Regionen Chiles eine Guerillaorganisation aufzubauen, scheiterte Anfang der 1980er Jahre.

Die Kommunistische Partei Chiles wurde von der Repression brutal getroffen. Unzählige Funktionäre und Mitglieder mußten ins Ausland flüchten oder wurden verhaftet und eingekerkert wie ihr Generalsekretär Luis Corvalán. Es begann der mühsame Weg des Wiederaufbaus illegaler Strukturen im eigenen Land, unterstützt durch die internationale Solidarität aus Kuba und den sozialistischen Ländern Europas. Über Radio Moskau und Radio Berlin International wurden über Kurzwelle besondere Programme nach Chile gesendet und auch Radio Magallanes konnte über Sender in der Sowjetunion den Betrieb zumindest symbolisch fortsetzen. Emigranten konnten in ihren Zufluchtsländern studieren, so in der DDR die spätere chilenische Präsidentin Michelle Bachelet.

Anfang der 1980er Jahre verstärkten die chilenischen Kommunisten den Widerstand und gründeten mit der Patriotischen Front Manuel Rodríguez (FPMR) eine eigene bewaffnete Struktur. Im Dezember 1983 gelang es ihren Kämpfern, mit Anschlägen auf Hochspannungsmasten einen Stromausfall zu provozieren, der die gesamte Zentralregion Chiles erfaßte und die Hauptstadt Santiago für anderthalb Stunden dunkel werden ließ.

Am 7. September 1986 versuchten Kämpfer der FPMR, Pinochet bei einem Anschlag auf seinen Autokonvoi zu töten, doch der Diktator überlebte leicht verletzt. In der Folge rückte die Partei von der Strategie des bewaffneten Aufstandes ab, während Teile der FPMR nun als unabhängige Organisation den Kampf bis in die 1990er Jahre hinein fortsetzten.

Auch wenn der bewaffnete Kampf nicht zum Sturz des Regimes führte, trug er zur Destabilisierung der Diktatur bei, wie Luis Corvalán rückblickend feststellte. Die FPMR sei deshalb nicht gescheitert, sondern habe einen Beitrag zur Beendigung der Diktatur geleistet.

Die Mehrheit sagt Nein zu Pinochet

1988 ließ Pinochet ein Referendum durchführen, das ihm erlauben sollte, bis 1997 an der Macht zu bleiben. Grundlage dafür war die von der Diktatur selbst eingeführte Verfassung von 1980, die die Amtszeit auf acht Jahre befristete und anschließend eine Volksabstimmung vorsah. Hätte eine Mehrheit mit »Ja« gestimmt, wäre Pinochet für weitere acht Jahre im Amt bestätigt worden, das er mit militärischer Gewalt erobert hatte und mit blutigem Terror bis zu diesem Zeitpunkt verteidigte.

Die Opposition erkannte ihre Chance und mobilisierte in einem breiten Bündnis dafür, mit »Nein« zu stimmen. Und tatsächlich besiegelte das Referendum das Ende der Diktatur: Fast vier Millionen Menschen, 56 Prozent der abgegebenen Stimmen, votierten »Nein«.

Der Übergang zur bürgerlichen Demokratie erwies sich als schwierig, widersprüchlich und holprig.

Erst 2019 erkämpfte eine breite Volksbewegung die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung, die ein neues Grundgesetz ausarbeitete. Doch der vorgelegte Entwurf wurde am 4. September 2022 mit rund 62 Prozent der Stimmen abgelehnt – ein Votum, das als Protest gegen die Politik von Präsident Gabriel Boric interpretiert werden mußte.

Aktuell gibt es einen neuen Anlauf, der jedoch unter ungleich schlechteren Vorzeichen steht. In dem im Mai 2023 gewählten Verfassungsrat haben die reaktionären Parteien die Mehrheit, stärkste Kraft ist die ultrarechte Republikanische Partei, deren Führer die Pinochet-Diktatur verherrlichen.

Der Weg zur Demokratie ist auch heute noch weit in Chile. Das Erbe Allendes und der Unidad Popular weist den Weg: Venceremos!