»Wir können es schaffen«
155.000 Staatsangestellte in Kanada im Streik für Inflationsausgleich
Es ist einer der größten Arbeitskämpfe in der Geschichte des Landes: Seit Mittwoch befinden sich in Kanada mehr als 155.000 Staatsangestellte landesweit im Generalstreik. Die bisher erfolglosen Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft Public Service Alliance of Canada (PSAC) und der kanadischen Regierung über einen neuen Tarifvertrag für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen laufen bereits seit Juni 2021.
Zum Auftakt demonstrierten einige tausend Werktätige in der Hauptstadt Ottawa. »Jeder denkt, daß Beschäftigte im öffentlichen Dienst des Bundes sechsstellig verdienen. Die Mehrheit der PSAC-Mitglieder verdient aber zwischen 40.000 und 65.000 kanadische Dollar im Jahr«, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Chris Aylward laut Press Progress. Die Regierung spreche gerne von einem »öffentlichen Dienst von Weltklasse«, doch solche Lobhudeleien machten die Angestellten nicht satt. »Wir brauchen ein faires und anständiges Lohnangebot, nicht anders als für jeden anderen Beschäftigten in diesem Land«, erklärte Chris Aylward.
Die Gewerkschaft fordert moderate 4,5 Prozent mehr Gehalt pro Jahr. Rückwirkend ab 2021. Die Regierung bietet nur zwei Prozent pro Jahr für die Zeit von 2021 bis 2025. Angesichts der auch in Kanada steigenden Lebenshaltungskosten viel zuwenig, findet die PSAC, auch wenn die Inflation aktuell etwas abflaut. Allerdings haben sich die Preise für Lebensmittel im Vergleich zum Vorjahr bereits verdoppelt, und daß sie aufs ursprüngliche Niveau fallen werden, ist nicht zu erwarten.
Die Bürgerinnen und Bürger werden die Folgen des Streiks zweifellos spüren. »Einige Dienste werden heruntergefahren und wenigstens verzögert«, sagte Chris Aylward laut Press Progress. Zum Beispiel werde die Bearbeitung von Anträgen auf Reisepässe, Einbürgerung oder Arbeitsversicherung länger dauern als bisher. Das betreffe auch die Einkommenssteuererklärungen. Viele Callcenter werden schlechter zu erreichen sein. »Unsere Importe und Exporte könnten ebenfalls betroffen sein, was sich natürlich auf die Wirtschaft auswirken wird.«
Die oppositionelle, sozialdemokratische New Democratic Party (NDP) unterstützt die Streikenden. »Ich bin zutiefst enttäuscht über das Scheitern der Regierung, die mit der PSAC keine Einigung erzielt hat«, sagte der Vorsitzende Jagmeet Singh in einer Stellungnahme am 18. April. Die Streikenden hätten während der Corona-Pandemie viele Herausforderungen gemeistert und das Land im Dienst der Bürgerinnen und Bürger am Laufen gehalten. »Seit zwei Jahren äußern PSAC-Mitglieder ihre legitimen Forderungen nach fairen Löhnen, Arbeitsplatzsicherheit und einem sicheren Arbeitsumfeld. Doch die Regierung hat eine Einigung hinausgezögert und diese Krise provoziert«, so Jagmeet Singh, dessen Eltern einst aus dem indischen Punjab nach Kanada auswanderten.
Die wirtschaftsliberale Landesregierung von Justin Trudeau »versucht längere Dienstunterbrechungen abzuwenden«, berichtete CTV News am Donnerstag. Die Kanadier hätten Verwaltungsengpässe »nach der Pandemie besonders satt«, Trudeau müsse Ausbrüche von Volkszorn befürchten. Die NDP stellte bereits klar, daß sie kein Gesetz unterstützen werde, mit dem Streikende unter Androhung drakonischer Geldbußen zurück an den Arbeitsplatz gezwungen werden können.
»Wir werden weiter streiken, bis die Regierung unsere Kernthemen am Verhandlungstisch anspricht«, kündigte der Gewerkschaftsvorsitzende Chris Aylward an. »Unsere Mitglieder sind bereit, für einen guten, menschenwürdigen und fairen Tarifvertrag zu kämpfen.« Wie weit der Streikfonds tragen wird, ist noch unklar. Ende 2021 verfügte die Gewerkschaft über etwa 43 Millionen Dollar. Das Streikgeld beträgt laut CTV News für jedes Mitglied 75 kanadische Dollar (etwa 50 Euro) am Tag.
»Wir sind noch längst nicht am Ziel«, erklärte Chris Aylward am Sonntag in einer Botschaft an die Verhandlungsteams. »Aber ich bin sicher, daß wir es schaffen können, eine faire Vereinbarung für die 155.000 Gewerkschaftsmitglieder zu erreichen, dank des starken Mandats, das wir von ihnen haben, und dank der unglaublichen Solidarität, die wir im ganzen Land erleben.«