Mißtrauen und Konkurrenz
Unklare Machtverhältnisse zwischen den Akteuren im Libyen nach Ghaddafi
Während USA, NATO und Europa sich für einen Neuanfang in Libyen in Stellung bringen, bleiben die internen Machtverhältnisse zwischen politischen und militärischen Akteuren noch unklar. Unter den führenden Leuten der bewaffneten Gaddafi-Gegner gelten einige als Islamisten, andere fühlen sich den Stämmen verpflichtet, wieder andere könnten im Auftrag westlicher Interessen in die Kämpfe eingegriffen haben. Der weiterhin ungeklärte Mord am Oberkommandierenden Abdel Fattah Younes Ende Juli hat die Unsicherheit der zukünftigen militärischen Ausrichtung Libyens erhöht.
Die Führungspersonen des »Nationalen Übergangsrates« werden auf Konferenzen und bei Empfängen hofiert, den Sieg aber hätten nicht sie, sondern »die revolutionären Kämpfer« erobert, »die an der Front ihr Leben gelassen haben« , erinnert Ismail Salabi. Als Kommandeur des Bataillons »17. Februar« in Bengasi hatte er sich einen Namen gemacht, gleichzeitig gilt er als einer der schärfsten Kritiker des »Übergangsrates« . Die meisten Mitglieder des Rates seien Minister unter Gaddafi gewesen, »einige von ihnen haben in Monaten nur wenige Stunden in Libyen verbracht« , sagte der 35-jährige Salabi kürzlich im Gespräch mit westlichen Journalisten in Bengasi.
Manchen dieser neuen Machthaber gilt Salabi als Anhänger von Al-Qaida, was dieser aber zurückweist. »Sie versuchen, uns als Islamisten unglaubwürdig zu machen« , die Libyer seien eine konservative, muslimische Gesellschaft, »westliche Staaten kennen unsere Sitten und Gebräuche nicht« . Zusammen mit der NATO habe er »für ein neues Libyen gekämpft« , in dem »Rechtsstaatlichkeit und Freiheit regieren« sollen, so Salabi und fügte hinzu : Al-Qaida würde das sicher nicht tun.
Die Führer des »Übergangsrates« unterstützen jedoch lieber Abdelhakim Belhaj, eine weitere schillernde Figur unter den militärischen Führern des »neuen Libyen« . Der 1966 geborene Belhaj kämpfte als einer der führenden »arabischen Afghanen« an der Seite der afghanischen Mudschaheddin – unterstützt von den USA und Saudi Arabien – gegen die Sowjetunion. 1989 gründete er die Islamische Kampfgruppe, die in rund 20 Staaten aktiv wurde.
1993 kam Belhaj zurück nach Bengasi und organisierte den islamistischen Widerstand gegen Gaddafi. Als die Organisation aufflog, setzte Belhaj sich erneut nach Afghanistan ab, wurde 2004 von der CIA festgenommen und – nach ausgedehnten Verhören – an Gaddafi ausgeliefert, der ihn im Gefängnis verschwinden ließ. Im März 2010 kam Belhaj wieder frei, ein Jahr später schloß er sich den Aufständischen an, übrigens mit bis zu 800 weiteren ehemaligen Kämpfern der Islamistischen Kampfgruppe. Im Kampf um Tripoli gilt Belhaj als »Eroberer von Bab Al-Azizia« , dem früheren Präsidentenpalast von Gaddafi.
Einer der ersten hochrangigen Offiziere, die Ende Februar 2011 von Gaddafis Truppen ins andere Lager gewechselt waren, war General Suleiman Obeidi, der seit 1969 fest an der Seite von Muammar Gaddafi gestanden hatte. Er war dem Druck seines Stammes, den Obeida, gefolgt, die mehrheitlich in und um Bengasi leben und eine treibende Kraft zum Sturz von Gaddafi waren. Obeidi übernahm nach dem Mord am Armeechef der Rebellen, Abdel Fattah Younes, der ebenfalls lange Weggefährte von Gaddafi war, bevor er zu den Rebellen überlief, dessen Posten.
Als Mann der CIA gilt Beobachtern Khalifa Haftar. Als Kommandeur der libyschen Truppen im Tschadkrieg (1980–1987) ist Haftar in Libyen bekannt, wandte sich aber während oder unmittelbar nach diesem Krieg von Gaddafi ab und ließ sich in den USA als politischer Flüchtling nieder. Einem Bericht in »Le Monde diplomatique« soll er dort eine von der CIA finanzierte Miliz aufgebaut haben. Im April 2011 wurde Haftar von den USA nach Bengasi eingeflogen, wo er als Generalleutnant – unmittelbar hinter Abdel Fattah Younes – eine Führungsposition bei den aufständischen Kampftruppen einnahm.
Karin Leukefeld