Ausland21. Januar 2020

25.000 Opfer

Bericht: »Antidrogenkrieg« in Philippinen »unerbittlich und teuer«. Nationalpolizei im Zentrum der Kritik

Für den seit Sommer 2016 amtierenden philippinischen Präsidenten Rodrigo R. Duterte begann das neue Jahr turbulenter, als er sich dies wohl jemals vorgestellt hatte. Der Taal-Vulkan, etwa 60 Kilometer südlich der Hauptstadt Manila gelegen, zeigt sich nach seinem letzten verheerenden Ausbruch 1965 mit über 350 Toten wieder von seiner bedrohlichen, feuerspeienden Seite. Zehntausende Menschen mußten aus den vom Vulkanausbruch hauptsächlich betroffenen Provinzen Batangas, Cavite und Laguna evakuiert und in Notunterkünften untergebracht werden.
Aus gesundheitlichen Gründen reagierte Duterte diesmal nicht prompt und eilte nicht samt Hilfslieferungen an den Ort des Geschehens, wie er dies früher häufig öffentlichkeitswirksam demonstriert hatte. Erst Stunden nach dem Vulkanausbruch machte er sich in Begleitung seiner engsten Vertrauten per Hubschrauberflug ein Bild von der Lage. Einen Tag später besuchte er ein Evakuierungszentrum in Batangas. Sein erster Kommentar lautete: »Ich bin überrascht, wie viele schöne Frauen es hier gibt.«

Apropos Frauen. Immer wieder fällt Duterte durch üble misogyne Attacken auf. Was vor allem dann der Fall ist, wenn es sich um politische Rivalinnen handelt. Vehemente Kritikerin des präsidialen »Antidrogenkriegs«, der laut internationalen Menschenrechtsorganisationen bisher landesweit mindestens 25.000 Opfer forderte, ist seine Vizepräsidentin Maria Leonor Gerona Robredo. Nachdem Duterte ihr am 6. November vergangenen Jahres scheinheilig den Kovorsitz der ressortübergreifenden Kommission gegen illegales Rauschgift (ICAD) übertragen hatte, folgte die baldige öffentliche Demontage.

Bereits am 24. November lautete die knappe präsidiale Botschaft an Robredo: »Sie sind gefeuert!« Was diese nicht daran hinderte, am 6. Januar einen 40-seitigen Bericht über ihre kurze Amtszeit als ICAD-Kovorsitzende zu präsentieren. Trotz der »unerbittlichen und teuren« Kampagne seien, so das Fazit des Berichts, landesweit noch immer große Mengen an illegalen Drogen im Umlauf. Die Behörden, so Robredo weiter, hätten in den vergangenen dreieinhalb Jahren nur etwa ein Prozent davon beschlagnahmt – ein »enormer Mißerfolg«.

Der Robredo-Report ist ein direkter Affront gegen den bisherigen »Antidrogenkrieg«, über den bis dato nicht einmal verbindliche Statistiken vorliegen. Hier hat Duterte für sich die alleinige Deutungshoheit reklamiert, die unhinterfragt blieb. Mit Benjamin Reyes und Dionisio Santiago feuerte der Präsident gleich zwei Chefs des »Dangerous Drugs Board« (DDB), der Regierungsbehörde, deren Aufgabe die Entwicklung einer Politik für den Umgang mit illegalen Drogen in den Philippinen ist. Die beiden mußten nacheinander gehen, weil sie Duterte offen widersprachen. Während der Präsident landesweit von zeitweise sieben bis acht, dann von vier Millionen Drogenabhängigen ausgeht, veranschlagen Mitarbeiter des DDB deren Zahl auf 1,6 bis 1,8 Millionen, die Nationalpolizei (PNP) schätzt sie auf 1,5 Millionen.

Nach seinen jüngsten Erhebungen Mitte Dezember vergangenen Jahres, kam das Meinungsforschungsinstitut SWS Mitte Januar zu dem Ergebnis, daß 78 Prozent von 1.200 Befragten der Meinung seien, die PNP sei mit »Ninja cops« durchsetzt – mit Polizisten, die selbst aktiv in den Drogenhandel verstrickt sind. 66 Prozent der Befragten gingen zudem davon aus, daß PNP-Mitglieder hinter außergerichtlichen Hinrichtungen politisch mißliebiger Aktivisten und Drogenabhängigen steckten. Nahezu alle Befragten (95 Prozent) waren der Meinung, Drogendelinquenten seien lediglich festzunehmen.

Wenngleich Duterte die PNP öffentlich mehrfach wegen grassierender Korruption geißelte, unterließ er letztlich Schritte, dagegen wirksam vorzugehen. Der am heftigsten kritisierte ehemalige PNP-Direktor, Ronald dela Rosa, wurde Mitte Mai vergangenen Jahres zum Senator gewählt.

Rainer Werning

Maria Leonor Gerona Robredo, gefeuerte Kovorsitzende der ressortübergreifenden Kommission gegen illegales Rauschgift (ICAD), kritisiert den »unerbittlichen und teuren« Antidrogenkrieg (Archiv-Foto: EPA/MARK R. CRISTINO)