Ausland13. Juni 2023

Westliche Waffen außer Kontrolle

Belgische Sturmgewehre bei Angreifern auf Gebiete Rußlands identifiziert. Kiew schweigt

von Gerrit Hoekman

Die mit Neonazis gespickten ukrainischen oder pro-ukrainischen Milizen setzen bei ihren Überfällen auf russische Dörfer bei Belgorod neben gepanzerten Fahrzeugen aus NATO-Beständen auch das Sturmgewehr FN Scar aus der belgischen Waffenschmiede Fabrique Nationale Herstal ein. Das berichtete die »Washington Post« nach einer Analyse eines Videos und mehrerer Fotos, die am 22. Mai von den Milizen selbst ins Netz gestellt wurden. Belgiens Premierminister Alexander De Croo sprach bei »Radio 1« von einer »ernsten Angelegenheit«.

Belgien hatte die Gewehre seit März des vergangenen Jahres an die Ukraine geliefert. Sie sollten »ausschließlich zur Verteidigung« dienen. Um wie viele Gewehre es genau geht, will die Regierung in Brüssel nicht preisgeben, es soll sich um mehrere tausend handeln, berichtete allerdings die Tageszeitung »De Standaard« am vergangenen Montag. »Die Ukraine darf diese Waffen nicht an unabhängige Gruppen weitergeben, die eine Agenda auf russischem Gebiet haben«, antwortete die belgische Armeeministerin Ludivine Dedonder auf Anfrage des Blatts. Die Regierung werde die Ukraine an diese Bedingungen erinnern und von Kiew genauere Informationen erfragen. Der belgische Geheimdienst untersuche den Vorfall, sagte Premierminister De Croo laut der Nachrichtenagentur Belga.

»Putin kann nun nachweisen, daß auf russischem Boden westliche Waffen gegen ihn eingesetzt werden. Er sagt seit einiger Zeit, daß er von der NATO angegriffen wird«, zeigt sich der ehemalige belgische Oberst Roger Housen am vergangenen Montag gegenüber der flämischen Tageszeitung »De Morgen« ebenfalls besorgt. Auch er ist eindeutig sicher, daß es sich bei den Waffen auf den Bildern um das belgische Gewehr FN Scar handelt, und prophezeit, daß »die Kritik an der zwiespältigen Haltung der NATO, die bereits in Asien und Südamerika Widerhall findet«, noch zunehmen werde.

Der Direktor des Flämischen Friedensinstituts, Nils Duquet, befürchtet, daß in Zukunft noch mehr an Kiew gelieferte Waffen in unbefugte Hände fallen werden. Die Ukraine bemühe sich zwar, »das Risiko zu begrenzen, aber ganz ausschließen läßt sich das nie«, sagte er dem «Standaard«. Bis heute würden Waffen aus den Kriegen in Jugoslawien in kriminellen Kreisen auftauchen. Diese Waffen seien später auch von der Terrororganisation Islamischer Staat benutzt worden, ergänzte Ex-Oberst Housen in »De Morgen«, und seien auch bei Konflikten in Afrika aufgetaucht. »Sollte sich herausstellen, daß die Ukraine vorsätzlich gegen die Vereinbarungen mit dem Westen über Waffentransfers verstoßen hat, könnte das schwerwiegende Folgen für unsere weitere militärische Unterstützung des Landes haben«, so Duquet. Es müsse jetzt so schnell wie möglich ermittelt werden, wie die Sturmgewehre in die Hände dieser Milizen gelangt sind.

Die Milizionäre behaupten, sie hätten sie »von getöteten russischen Soldaten erobert«, die sie ihrerseits »von gefallenen Ukrainern erbeutet« hätten. Wahrscheinlicher ist, daß die ukrainische Armee die Milizen unter der Hand mit NATO-Waffen ausstattet. Offiziell will Kiew aber nicht einmal vorab von den Angriffen im russischen Grenzgebiet gewußt haben. In jedem Fall kommen sie der Ukraine zupaß, binden sie doch bei Belgorod russische Kräfte.

Neben den belgischen Sturmgewehren entdeckte die Washington Post« auf den ihr vorliegenden Fotos auch tschechische Automatikwaffen vom Typ CZ Bren. Ferner vier gepanzerte Fahrzeuge. Drei wurden ursprünglich von den USA und eines von Polen an die Ukraine übergeben. Die Fahrzeuge wurden anscheinend später von der russischen Armee erbeutet, denn sie tauchten danach in einem Video auf, das die russische Nachrichtenagentur »Iswestija« veröffentlichte.

»Wir haben deutlich zum Ausdruck gebracht, daß wir den Einsatz von in den USA hergestellter Ausrüstung für Angriffe innerhalb Rußlands (…) nicht unterstützen«, zitierte die »Washington Post« bereits am vorigen Sonntag einen Sprecher des USA-Außenministeriums. »Die gelieferten Waffen wurden stets an die offiziellen Behörden und die für sie zuständige reguläre Armee weitergegeben«, hieß es auch vom belgischen Armeeministerium. Kiew reagierte offenbar genausowenig auf die Bitte der Zeitung um eine Stellungnahme wie Polen und Tschechien.