Ausland08. November 2023

Gezerre um Acciaierie Ilva

Rom und ArcelorMittal ringen um Zukunft des größten Stahlwerks Europas im italienischen Tarent. Basisgewerkschaft USB fordert Abbruch der Verhandlungen

von Gerhard Feldbauer

Im süditalienischen Taranto steht das größte Stahlwerk Europas. Doch die Zukunft der Acciaierie Ilva ist ungewiß, denn das Werk steckt seit langem in der Krise. Seit Jahren verhandelt die italienische Regierung mit ArcelorMittal über eine Übernahme durch den offiziell in Luxemburg ansässigen Konzern. Nun hat die Basisgewerkschaft USB in Rom den Abbruch der Verhandlungen gefordert, wie sie am Montag in einer Pressemitteilung bekanntgab.

ArcelorMittal habe sich »nie an eine Vereinbarung gehalten und nur in seinem eigenen Interesse gehandelt«, erklärte die USB. Es müsse verhindert werden, daß die Regierung dem bankrotten Management erneut mit öffentlichen Geldern unter die Arme greife. Von der in der Vergangenheit verabredeten Entwicklung eines Industrieplans im Rahmen eines Programmabkommens sei nichts übriggeblieben, so die USB weiter. »ArcelorMittal wird weiterhin den Staat erpressen und ihn zu ständigen wirtschaftlichen Interventionen zwingen, um Arbeitsplätze zu schaffen, während die Umweltpolitik weiter die Bürger belasten wird. Als USB werden wir, wenn es keine wirkliche Diskussion über Lösungen gibt, mit aller Härte den Widerstand mobilisieren.«

Zuletzt hatte es im September einen 24-stündigen Streik gegeben, weil ArcelorMittal und die italienische Regierung eine Lösung für das Stahlwerk immer wieder hinausgezögert hatten. Zum Arbeitskampf hatten die Gewerkschaften FIM, FIOM und UILM aufgerufen, nachdem ein Treffen der Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit Gewerkschaftsvertretern ergebnislos verlaufen war. Das Treffen, so damals CGIL-Generalsekretär Maurizio Landini, sei über Absichtserklärungen nicht hinausgekommen und habe keine Antworten auf den Konflikt gegeben. Landini forderte »konkrete Lösungen für alle betroffenen Arbeiter«.

2017 wollte ArcelorMittal, der zweitgrößte Stahlkonzern der Welt, das Ilva-Werk übernehmen. Ein Jahr später zog der Konzern seine Kaufzusage jedoch zurück, weil die damalige Regierung Conte in einem Klimadekret strengere Umweltschutzauflagen für die Sanierung des Stahlwerks festgelegt hatte. Nachdem der italienische Staat nach langen Verhandlungen zugesagt hatte, im Falle eines Verkaufs weiterhin 60 bis 70 Prozent seines Flachstahlbedarfs von Ilva zu beziehen, und »bedeutende Investitionen« versprochen hatte, schlossen beide Seiten 2020 ein neues Abkommen, in dem ArcelorMittal die endgültige Übernahme bis Mai 2022 zusagte. Nachdem 2021 mehrere Ilva-Manager wegen der Folgen der Kontamination zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden waren, verlangte ArcelorMittal Garantien, daß ihr Management verschont bleibe. Seitdem ist der Deal nicht zustandegekommen, wofür sich beide Seiten gegenseitig die Schuld geben.

Das Stahlwerk Ilva ist einer der größten Umweltverschmutzer Italiens. Dioxine, Schwefeldioxid und andere tödliche Gifte entweichen aus den Schornsteinen des rund 15 Quadratkilometer großen Werks, die Bewohner der Region leiden überdurchschnittlich oft an Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, Tumoren und Leukämie, Tausende Arbeiter und Anwohner erkranken an Krebs, 400 sind bereits daran gestorben. Der in Straßburg ansässige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilte den italienischen Staat 2019 und erneut 2022, weil er Leben und Gesundheit der Ilva-Arbeiter nicht ausreichend geschützt hatte.