Erneut in Richtung Armutsgrenze
Griechen leiden unter hohen Energiepreisen. Ukraine-Krieg und EU-Sanktionen zwingen Regierung zu »Alternativen«
Mehr als zehn Jahre lang hat die EU-Kommission Griechenland in ein skandalöses Kürzungsprogramm gezwungen und die weitgehende Zerstörung des dortigen Sozialsystems billigend in Kauf genommen. Die Austeritätspolitik, vorangetrieben vor allem von der deutschen Bundesregierung unter Angela Merkels, halbierte an der Ägäis die Renten, sprengte das Lohngefüge der öffentlichen Dienste – vor allem im Gesundheits- und Bildungswesen – und trieb ein Drittel der elf Millionen Griechen zeitweise unter die Armutsgrenze. Der Krieg in der Ukraine und die Preisexplosion in allen Sparten der Grundversorgung in der EU, die zunehmend mit dem Krieg in der Ukraine »begründet« wird, stellen das Land erneut vor ein riesiges Finanzierungsproblem: Energie, egal ob Elektrizität, Benzin oder Heizöl, ist für die meisten von ihnen nahezu unbezahlbar geworden. Die Abhängigkeit des Landes von russischem Gas und Erdöl will die konservative Athener Regierung nun mit »Alternativen« überbrücken.
Bis kurz vor Ende März durchlebten Städter und Landbewohner auf dem Festland und auf den Inseln einen der härtesten Winter seit Generationen. Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt, selbst auf den sonnenverwöhnten Kykladen und im Süden der Insel Kreta, beherrschten die Wetterlage über mehr als vier Monate. Die Preise für Heizöl verdoppelten sich im gleichen Zeitraum, der Literpreis für Benzin stieg zuletzt auf rund 2,15 Euro. Der Bauer Grigoris Maropakis aus dem kretischen Dorf Souri klagte gegenüber dem Autor: »Ich kann Kraftstoff für mein Fahrzeug nicht mehr finanzieren, brauche es aber für meine tägliche Arbeit.« Um das Leben seiner Familie abzusichern, bearbeitet Maropakis nicht nur sein karges Land und hält eine kleine Schafherde. Wie viele Kleinbauern in Griechenland muß er, nachdem er morgens sein Vieh versorgt hat, täglich für acht Euro Stundenlohn auf einer der vielen tausend Baustellen des Landes Geld verdienen.
Den Alptraum, den die Mehrheit der Griechen in diesen Tagen durchlebt, hat nicht zuletzt Regierungschef Kyriakos Mitsotakis zu verantworten. Der Premierminister von der konservativen Partei Nea Dimokratia, der seit seinem Amtsantritt im Juli 2019 einer streng neoliberalen politischen Agenda folgt, sorgte mit seiner Privatisierungspolitik dafür, daß sich das Kapital auch im Energiesektor breitmachen konnte und dort inzwischen die Preise bestimmt. Noch Ende Februar, da hatte der Krieg in der Ukraine – mit all seinen absehbaren wirtschaftlichen Folgen für Griechenland – bereits begonnen, zwang Mitsotakis die Elektrizitätsgesellschaft DEI, die Gewerkschaftsvertreter aus dem Verwaltungsrat zu werfen. Der »Abstieg« des einstigen Staatsmonopolisten zu einer rein privatwirtschaftlich organisierten, auf Gewinn ausgerichteten Gesellschaft werde nicht nur die Lohnabhängigen treffen, sondern vor allem auch die Verbraucher, warnten Gewerkschaften und Betriebsrat. Das gegenwärtige Preisgefüge beim größten Stromversorger des Landes gibt ihnen inzwischen recht.
Griechenland bezieht rund 40 Prozent seines Erdgases aus Rußland, rund 26 Prozent sind es beim Erdöl. Die Regierung Mitsotakis spricht inzwischen von einem Risiko einer »Verknappung«. Am 30. März schickte Mitsotakis seinen Energieminister Kostas Skrekas mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit, in der für den Versorgungsnotfall zunächst nicht näher definierte Alternativen für die russischen Lieferungen angekündigt wurden. Der Plan, den ein interministerieller Krisenstab demnächst vorlegen soll, sieht in diesem Szenario offenbar die erneute Inbetriebnahme von Kohlekraftwerken vor, die das Land nach bisherigem Energieprogramm bis 2025 abschalten wollte. Eine generelle Reduzierung des Geschäfts mit Rußland sei derzeit allerdings – im Gegensatz zu Überlegungen der EU-Partner – nicht denkbar, hieß es in Athen.
Mitsotakis‘ Blick richtet sich dennoch auch nach Westen auf das im Vergleich zum russischen Markt weitaus kostspieligere Gasangebot der US-amerikanischen »Freunde«. Der griechische Naturgaskonzern Desfa soll in den nächsten Tagen eine Studie über »die Schaffung eines Flüssiggasterminals« auf einer der Athen vorgelagerten kleinen Ägäisinseln vorlegen.