Bundeswehr veranlaßte Luftangriff
NATO verantwortlich für dutzendfachen Mord an Zivilisten in Afghanistan
Kundus/Brüssel – Die deutsche Bundeswehr hat in Afghanistan einen Luftangriff ausgelöst, bei dem mindestens 90 Menschen getötet wurden. Laut Angaben der afghanischen Polizei wurden mindestens 40 Zivilpersonen getötet, darunter auch Kinder. Die Bundeswehr und die NATO haben erst nach langem Zögern zugegeben, daß es bei dem Angriff Tote gab. Sie stritten jedoch am Freitagnachmittag immer noch ab, daß darunter auch Zivilisten waren.
Der Angriff in der nordaf-ghanischen Provinz Kundus in der Nacht galt der Zerstörung zweier Tanklastzüge, die offenbar von Aufständischen erobert worden waren. Die menschenverachtende Begründung der deutschen NATO-Besatzer für die Anforderung der Luftwaffe lautete, daß die Tanklastwagen »von den Taliban für Selbstmordanschläge hätten genutzt werden können«.
»Unbeteiligte sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu Schaden gekommen«, erklärte ein Sprecher der Bundeswehr in Berlin zynisch. Zu diesem Zeitpunkt lagen längst die Meldungen der afghanischen Polizei vor. Am Ort des Massenmordes hatten Einwohner bereits damit begonnen, die größtenteils bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Opfer des NATO-Krieges zu bestatten.
Der Luftangriff wurde von dem Kommandanten des deutschen Bundeswehrkon-tingents in Kundus ausgelöst. Aufständische hatten die beiden Tanklastzüge an einem vorgetäuschten Kontrollpunkt ungefähr sieben Kilometer südwestlich des Bundeswehr-Stützpunktes erobert. Eine Drohne habe die Entführer verfolgt, mit der Kamera des unbemannten Flugzeugs seien angeblich 67 Taliban-Kämpfer gezählt worden, behauptete die Bundeswehr in Kundus. Daraufhin sei ein US-Kampfjet angefordert worden.
Der Angriff erfolgte gegen 2.30 Uhr Ortszeit, nur 40 Minuten nach der Entführung der Fahrzeuge. Die Tanklaster waren bei der Überquerung eines Flusses auf einer Sandbank stecken geblieben. Durch die Angriffe des Kampfjets gingen die beiden Fahrzeuge in Flammen auf. Eine NATO-Vertreterin in Kabul sprach indessen nicht von einem US-Kampfjet, sondern von mehreren NATO-Kampfjets.
Laut der afghanischen Polizei handelt es sich bei den mindestens 40 zivilen Opfern um Personen, die Treibstoff aus den Tankern abgezapft hätten. Der Direktor des Krankenhauses von Kundus, Humanjun Chmosch, sagte, es seien zwölf Personen mit schweren Verbrennungen eingeliefert worden. Bei einem der Schwerverletzten handele es sich um einen zehnjährigen Jungen.
Ein Taliban-Sprecher bestätigte, daß Aufständische die Tanklastzüge eroberten und im Fluß stecken geblieben sind. Daraufhin seien die Ventile geöffnet und Treibstoff abgelassen worden, um die Lkw wieder flott zu bekommen. Aus dem nahegelegenen Dorf seien rund 500 Einwohner herbeigeströmt, um den ausfließenden Treibstoff aufzusammeln.
Verhandlungen über neue NATO-Strategie
Überschattet von dem folgenschweren Luftangriff in Nordafghanistan hat die NATO Verhandlungen über ein neues strategisches Konzept aufgenommen. Der von der NATO eingesetzte »Rat der Weisen« unter Vorsitz der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright trat am Freitag erstmals in Brüssel zusammen. In einer gemeinsam Sitzung mit den Botschaftern der 28 NATO-Staaten wollten die Experten erste Ideen für das neue Konzept erörtern.
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte, die Entwicklung eines neuen strategischen Konzepts sei überfällig. Das bisherige stammt von 1999, »seither hat sich die Welt verändert, die Bedrohungen haben sich verändert, und auch die NATO«, sagte Rasmussen unter Verweis auf die Anschläge vom 11. September 2001, den NATO-Krieg in Afghanistan und die Piratenangriffe vor der Küste Somalias. »Wir brauchen ein strategisches Konzept, das die heutige Wirklichkeit und die Herausforderungen von morgen widerspiegelt.«