Ausland21. März 2023

Die Jahrestage dreier Angriffskriege

In diesen Tagen jähren sich drei völkerrechtswidrige Überfälle westlicher Mächte auf fremde Staaten, die zahllose Opfer forderten – auch durch Kriegsverbrechen –, aber bis heute straflos bleiben

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Die ersten Bombardierungswellen dreier völkerrechtswidriger Angriffskriege, die für die Täter keinerlei Konsequenzen hatten, jähren sich in dieser Woche. Am Montag vor 20 Jahren starteten USA-Truppen die Invasion in den Irak, an der sich britische, australische und polnische Einheiten beteiligten. Sie wurde mit offenen Lügen legitimiert und diente genauso machtstrategischen Zielen wie der Überfall auf Libyen, den französische Kampfjets am Sonntag vor zwölf Jahren einleiteten – erst unter Berufung auf eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats, die allerdings umgehend gebrochen und illegal zum Sturz der libyschen Regierung mißbraucht wurde.

Am Freitag vor 24 Jahren überfielen NATO-Truppen, darunter deutsche, ebenfalls völkerrechtswidrig Jugoslawien, um dessen südliche Provinz Kosovo abzuspalten. Dieser Tage forderte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock unter großem medialen Beifall, das Führen von Angriffskriegen dürfe nicht »straflos bleiben«, will dies freilich – ebenso wie die deutschsprachigen Leitmedien – nicht auf westliche Kriege bezogen wissen. Dasselbe gilt für schwerste Kriegsverbrechen, die westliche Soldaten begangen haben. Bestraft werden lediglich Whistleblower, die sie aufzudecken halfen.

Kriegsziel: Umsturzdomino

Der USA-geführte Überfall auf den Irak begann vor genau 20 Jahren mit ersten Luftangriffen in der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 und mit der unmittelbar folgenden Invasion von Bodentruppen. Beteiligt waren neben den Streitkräften der USA Einheiten aus Britannien, Australien und Polen. Der Überfall erfolgte ohne Zustimmung des Sicherheitsrates der UNO und damit unter Bruch des Völkerrechts. Die offiziell vorgebrachte Begründung, Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, war frei erfunden. In Wirklichkeit ging es darum, eine dem Westen mißliebige Regierung durch eine prowestliche zu ersetzen.

In der Regierung von USA-Präsident George W. Bush war damals außerdem von einem »demokratischen Dominoeffekt« die Rede, wonach auf einen Sturz der Regierung im Irak derjenige weiterer Regierungen im Nahen und Mittleren Osten folgen werde, insbesondere in Syrien und Iran. Eine »erste arabische Demokratie« im Irak werde »einen sehr großen Schatten in der arabischen Welt werfen«, erklärte damals der stellvertretende Pentagonchef Paul Wolfowitz. Auch Rohstoffinteressen spielten eine zentrale Rolle. Der damalige polnische Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz zum Beispiel bekräftigte Anfang Juli 2003, Warschau habe »nie unseren Wunsch« nach »Zugang zu Rohstoffquellen für polnische Ölfirmen verborgen«; dieser sei »unser letztes Ziel«.

Hunderttausende zivile Todesopfer

Die menschlichen Kosten des Irak-Kriegs haben mehrfach Wissenschaftler vom Costs of War Project des Watson Institute for International and Public Affairs an der Brown University in Providence (USA-Staat Rhode Island) zu beziffern versucht; die Brown University zählt zu den acht berühmten Ivy League-Universitäten in den USA. Seine jüngste Untersuchung hat das Costs of War Project kurz vor dem gestrigen Jahrestag der USA-Invasion vorgelegt. Demnach sind allein während der ersten großen Angriffswelle zwischen dem 19. März und dem 19. April 2003 nachweislich mindestens 7.043 Zivilisten zu Tode gekommen, ein Drittel von ihnen durch Luftangriffe der USA-Kriegskoalition.

Die Kämpfe haben allerdings nie wirklich aufgehört und sind nicht zuletzt in den westlichen Krieg gegen den IS gemündet; die Terrormiliz entstand faktisch aus den zerfallenden sozialen Strukturen des kriegszerstörten Zweistromlandes. Insgesamt beziffert das Costs of War Project die Zahl der Todesopfer, die bis zum März 2023 im Irak und in den zeitweise vom IS kontrollierten Gebieten Syriens zu verzeichnen waren, auf 549.587 bis 584.006, darunter bis zu 348.985 Zivilisten. Der Bericht weist darauf hin, daß es sich dabei nur um die nachgewiesenen unmittelbaren Todesopfer handelt. Die Anzahl der indirekten Todesopfer – durch Kriegsfolgen wie Krankheit, Unterernährung etc. – sei wohl drei- bis viermal so hoch.

Kriegsziel: Einfluß ausweiten

Am Sonntag vor zwölf Jahren begann der Krieg des Westens gegen Libyen, der mit Angriffen der französischen Luftstreitkräfte begann und schon bald zum NATO-Krieg ausgeweitet wurde. Zu der offiziellen Kriegsbegründung, man habe ein Massaker der libyschen Streitkräfte an Zivilisten verhindern wollen, erklärten renommierte Experten später vor einem britischen Parlamentsausschuß, ein solches Szenario sei überaus unwahrscheinlich gewesen. In der Tat bestätigten Offiziere des französischen Geheimdiensts dem Ausschuß, die tatsächlichen Ziele ihrer Regierung seien gewesen, »Frankreichs Einfluß in Nordafrika zu vergrößern«, stärkeren Zugriff auf die libysche Erdölförderung zu bekommen sowie die Schlagkraft der französischen Streitkräfte zu demonstrieren.

Ein UNO-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung wurde zum Sturz der Regierung mißbraucht, also gebrochen. Die Zahl der zivilen Todesopfer des Libyen-Krieges allein im Jahr 2011 wurde von der britischen Organisation Airwars mit mindestens 1.142, womöglich sogar bis zu 3.400 angegeben. Der Krieg hat Libyen nicht nur materiell, sondern auch gesellschaftlich weitestgehend zerstört; immer wieder sind Kämpfe zwischen unterschiedlichen Milizen zum Bürgerkrieg eskaliert. Zwölf Jahre nach dem NATO-Krieg liegt das Land immer noch am Boden.

»Pro-Kreml-Desinformationsnarrativ«

Am Freitag vor 24 Jahren wiederum überfiel die NATO Jugoslawien – gleichfalls ohne ein Mandat des UNO-Sicherheitsrats und damit unter Bruch des Völkerrechts. Begründet wurde der Angriffskrieg mit der Behauptung, im Kosovo drohe eine sogenannte ethnische Säuberung. Interne Berichte widerlegen dies; so hieß es zum Beispiel am 19. März 1999 in einem Dokument der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), »über die ganze Region hinweg« sei die Lage »angespannt, aber ruhig«, während Fachleute im damals noch Bonner Militärministerium noch am 22. März konstatierten, Tendenzen zu »ethnischen Säuberungen« seien »weiterhin nicht erkennbar«.

Dem Überfall auf Jugoslawien kommt insofern besondere Bedeutung zu, als er der erste völkerrechtswidrige Angriffskrieg seit den Umbrüchen der Jahre von 1989 bis 1991 war und damit einen Präzedenzfall für spätere Angriffskriege wie diejenigen gegen den Irak oder gegen Libyen schuf. Die Zahl der zivilen Todesopfer wird zum Beispiel vom Wilson Center auf rund 2.000 geschätzt. Dabei muß sich die renommierte Washingtoner Einrichtung heute von einer EU-Stelle (»EuvsDisinfo«), die angebliche Propaganda widerlegen soll, vorwerfen lassen, dies sei ein »Pro-Kreml-Desinformationsnarrativ«. Zu den Zielen, die die NATO damals bombardierte, gehörten unter anderem die Botschaft der Volksrepublik China in Jugoslawien sowie das Hauptgebäude des staatlichen Fernsehsenders RTS.

Wer Angriffskriege führen darf

Die Staats- und Regierungschefs, die die völkerrechtswidrigen Angriffskriege befohlen haben, sind dafür nie zur Verantwortung gezogen worden. Das gilt für USA-Präsident George W. Bush, den britischen Premier Tony Blair und den polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski (Irak-Krieg 2003) genauso wie für den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy (Libyen-Krieg 2011) bzw. den deutschen Kanzler Gerhard Schröder und Vizekanzler Joseph Fischer (Jugoslawien-Krieg 1999). »Niemand darf im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg führen und dabei straflos bleiben«, erklärte Mitte Januar die deutsche Außenministerin. Frau Baerbock bezog das allerdings nicht auf Kriegsverantwortliche aus den westlichen Staaten, sondern einzig und allein auf die Regierung Rußlands, mit dem der Westen einen Machtkampf austrägt.

Wer bestraft wird und wer nicht

Auch die Kriegsverbrechen, die die westlichen Militärs begangen haben – unter anderem im Afghanistan-Krieg –, sind so gut wie nie geahndet worden. Das gilt für ein Massaker an über 100 Zivilisten bei Kundus, das von einem deutschen Offizier befohlen wurde, ebenso wie für einen Initiationsritus einer berüchtigten australischen Spezialeinheit, der darin bestand, mindestens einen afghanischen Zivilisten zu ermorden, sowie für Dutzende Morde britischer Militärs an wehrlosen Gefangenen am Hindukusch.

Verfolgt werden stattdessen investigative Journalisten und Whistleblower, die die Kriegsverbrechen öffentlich machen. Das gilt beispielsweise für den australischen Militäranwalt David McBride, der vor Gericht steht, weil er geholfen hat, australische Kriegsverbrechen öffentlich zu machen, sowie für den australischen Journalisten, der im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh auf die Auslieferung an die USA wartet, da er deren Kriegsverbrechen im Irak dokumentierte: Julian Assange.