Erinnerung an Opfer der Polizeigewalt
In Paris wurden im Februar 1962 beim »Massaker der Metro Charonne« Demonstranten für Frieden in Algerien getötet
Das von Emmanuel Macron unterzeichnete Kommuniqué aus dem Elysée war kurz, aber bemerkenswert. Der erste Satz erinnerte an das historische Ereignis: »Am 8. Februar 1962 wurde in Paris eine breit angelegte Demonstration für den Frieden und die Unabhängigkeit in Algerien und gegen die Attentate der OAS organisiert. Sie wurde durch die Polizei gewaltsam niedergeschlagen. Dabei verloren neun Menschen das Leben und mehrere Hundert wurden verletzt.«
Dann kam der Satz, den noch kein Präsident in der Geschichte Frankreichs formuliert hat: »60 Jahre nach dieser Tragödie verneige ich mit in ehrendem Gedenken vor den Opfern und ihren Familien.«
Dabei muß man wissen, daß zu der Demonstration seinerzeit die Französische Kommunistische Partei (PCF) und die Gewerkschaft CGT sowie weitere ihnen nahestehende Organisationen aufgerufen hatten, und daß acht der neun Todesopfer Kommunisten waren. Für die Polizei-Aktion verantwortlich war der seinerzeitige Polizeipräfekt Maurice Papon, der dann 1998 als ehemaliger hoher Beamter des Vichy-Regimes wegen seiner Mitverantwortung für die Deportation von Juden vor Gericht stand und zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde.
Mit dem ehrenden Gedenken an die Opfer des Polizeieinsatzes des 8. Februar 1962, das als »Massaker der Metro Charonne« in die Geschichte eingegangen ist, setzt Emmanuel Macron wenige Wochen vor der Präsidentenwahl seine ganz persönliche historische Aufarbeitung des Algerienkrieges fort. Begonnen hatte das, als Macron noch Präsidentschaftskandidat war. Als er bei einem Besuch in Algerien in einem Interview den französischen Kolonialismus als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« bezeichnete, löste er damit einen Sturm der Entrüstung aller rechten und rechtsextremen Kräfte aus. Macron hat zwar diese Aussage nie wiederholt, aber auch nicht zurückgenommen oder relativiert.
Als Präsident hat er sich bemüht, die immer noch durch die Erinnerung an den Kolonialismus und den Befreiungskrieg belasteten Beziehungen zu Algerien zu normalisieren und gleichzeitig zur Versöhnung der Franzosen beizutragen, die auf beiden Seiten in den Konflikt verwickelt waren. So hat er sich wiederholt mit Harkis getroffen, algerischen Hilfssoldaten an der Seite der Kolonialarmee, die aber durchaus nicht alle Kriegsfreiwillige waren, sondern nur zu oft in diese Rolle gezwungen wurden. Die meisten hat man beim Abzug 1962 vor Ort ihrem Schicksal, also der Rache der siegreichen FLN, überlassen. Nur einige tausend wurden zusammen mit ihren Familien evakuiert, haben dann aber in Frankreich viele Jahre in Notquartieren und oft arbeitslos wie Parias der Gesellschaft gelebt. Ihnen sprach Macron sein Mitgefühl aus und er verurteilte ihre ungerechte Behandlung.
Andererseits hat Macron aber auch 2018 als erster Präsident die Verantwortung des Staates für den jahrzehntelang geleugneten Mord an dem Kommunisten Maurice Audin anerkannt, der als Lehrer in Algier illegal für die FLN gearbeitet hat und der im Juni 1957 von französischen Fallschirmjägern verhaftet, gefoltert und ermordet wurde. Macron suchte die Witwe auf und sprach ihr sein Mitgefühl aus.
Vor wenigen Tagen machte der Präsident eine Geste gegenüber den »pieds noirs«, den ehemaligen französischen Siedlern in Algerien, die durch die Unabhängigkeit ihren Besitz verloren haben und von denen es viele schwer hatten, nach der Flucht nach Frankreich hier Fuß zu fassen. In einer Rede Ende Januar vor Vertretern ihrer Verbände hat Macron ihr Schicksal gewürdigt und ihnen seine Anerkennung für ihre Lebensleistungen ausgesprochen. In diesem Zusammenhang erinnerte er daran, daß eine Woche nach dem am 18. März 1962 in Evian unterzeichneten Unabhängigkeitsvertrag in Algier eine Demonstration von Anhängern des »französischen Algerien« stattfand, die sich mit der Unabhängigkeit nicht abfinden wollten. Diese friedliche Demonstration wurde von französischen Militärs mit Maschinengewehren zusammengeschossen, wobei mehr als 50 Menschen das Leben verloren. Daß hier »Franzosen auf Franzosen geschossen haben«, verurteilte Macron als eine »für die Republik unverzeihliche« Tat. Andererseits erklärte er, daß auch die Opfer des Massakers von Oran zu ehren sein werden, wo im Juni 1962 Kämpfer der FLN und algerische Zivilisten unter den zurückgebliebenen Franzosen ein Blutbad angerichtet und mehrere hundert Menschen getötet haben. Dieses Massaker hat die endgültige Massenflucht der Europäer aus Algerien ausgelöst. Die algerische Regierung hat sich nie von dieser wahrscheinlich nicht befohlenen, aber auch nicht geahndeten Tat distanziert.