Ausland11. September 2009

»Das ineffizienteste System der Welt«

In den USA hat nur jeder dritte Bürger eine ausreichende Krankenversicherung

Viele Briten haben wahrlich viel zu meckern über ihr Gesundheitssystem. Aber als in der Hetzkampagne der Republikanischen Partei gegen Obamas Gesundheitsreform unlängst der britische Nationale Gesundheitsdienst (NHS) als Prototyp für die Verwerflichkeit des angeblich auch vom USA-Präsidenten angestrebten »sozialistischen« Modells aufgerufen wurde, das einen Mann wie den krebskranken Senator Ted Kennedy einfach nicht mehr behandeln würde, da gab es auf der Insel den großen Schulterschluß von Medien und Politikern.
»Amerikaner geben doppelt so viel wie wir für ihre Krankenversicherung aus, doch die Leistungen sind nicht doppelt so gut. Der britische Gesundheitsschutz mag bürokratisch und aufgebläht sein, doch ist er überraschenderweise relativ rentabel«, schrieb etwa die konservative Zeitung »The Sunday Times«.

Am Geld liegt es also nicht. Die größte Dachorganisation für Gesundheitsfragen, die National Coalition on Health Care, veranschlagt die US-amerikanischen Gesundheitskosten in diesem Jahr auf 2,5 Billionen Dollar. Das sind 17,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (2007 waren es noch 16,2) und rund 7.200 Dollar pro Kopf. Damit ist dieses System das teuerste der Welt. Mit weitem Abstand folgt die Schweiz (rund 4.400 Dollar pro Kopf und wie in Deutschland elf Prozent des BIP).
In Kuba und in den USA haben die Menschen ungefähr dieselbe durchschnittliche Lebenserwartung (Männer 75, Frauen 80 Jahre). Doch liegen die Ausgaben im international anerkannten kubanischen Gesundheitswesen nur bei 230 Dollar pro Kopf. Für Robert Murphy, Professor an der Harvard School of Public Health (Boston), ist das kein Wunder: »Die USA haben das am stärksten fragmentierte und ineffizienteste Gesundheitssystem der Welt.« Bei der Bewertung dieser Systeme auf Basis vermeidbarer Todesfälle zum Beispiel liegt »Gottes eigenes Land« im Vergleich mit anderen OECD-Staaten auf dem letzten Platz.

Obwohl die Gesundheitskosten inzwischen drei Mal schneller steigen als die Löhne, bekommen viele US-Amerikaner für ihr Geld in diesem profit- und marktorientierten System – das zwar auch staatliche Programme für Ältere (Medicare) und Ärmere (Medicaid) kennt, aber von 1.600 privaten Krankenversicherungen und einer einflußreichen Pharmaindustrie dominiert wird – nur mäßige Ergebnisse. Auch weil 31 Prozent des Riesenbudgets für Verwaltung ausgegeben werden; im benachbarten Kanada sind es nur 16,7 Prozent.

Wobei von den 2007 erfaßten 177 Millionen USA-Bürgern im Alter von 19 bis 64 Jahren 58 Prozent entweder gar nicht (mit 47 Millionen Betroffenen ein einsamer Spitzenwert unter den Industriestaaten) oder nur unterversichert waren. Letztlich war lediglich jeder Dritte von ihnen ausreichend über das gesamte Jahr hinweg geschützt und hatte keine Geldprobleme beim Erwerb notwendiger Gesundheitsleistungen öder Probleme bei der Bezahlung von Behandlungen. Laut Schätzungen des Washingtoner Urban Institute sterben im reichsten Land der Welt jedes Jahr 27.000 Menschen, weil sie keinen oder nur mangelhaften Zugang zur Gesundheitsversorgung haben.

Wer es sich leisten kann, kann in den USA auf allen Gebieten medizinische Spitzenleistungen kaufen. Doch selbst für eine wachsende Zahl Versicherter ist der Schritt von kostspieligen Behandlungen zum persönlichen Bankrott oft nur klein. Zwei Drittel der Privatkonkurse (rund eine Million im Vorjahr) wurden hauptsächlich durch Medikamenten-, Arzt- und Krankenhausrechnungen ausgelöst. Das Forschungsinstitut Commonwealth Fund schätzt die Zahl der US-Amerikaner im erwerbsfähigen Alter, die so in Zahlungsschwierigkeiten oder Schulden geraten sind, auf 72 Millionen. Und da die Mehrzahl der Privatversicherten Verträge über den »Arbeitgeber« abschließt und der Schutz damit an den Arbeitsplatz gebunden ist, steigt die Zahl der Unversicherten in Zeiten der Wirtschaftskrise weiter an.

Olaf Standke