Ausland29. April 2022

Für eine »Freie Republik der Bauern und Bergknappen«

Vor 490 Jahren wurde Michael Gaismair, Führer der Tiroler Bauernaufstände 1525/26, von Habsburger Söldlingen ermordet

von Gerhard Feldbauer

In zentralen Abhandlungen über den großen deutschen Bauernkrieg werden die Aufstände unter dem Obristen Michael Gaismair in den österreichischen Alpenländern wenig erwähnt. Dabei war er, wie Friedrich Engels in »Der Deutsche Bauernkrieg« schrieb, ein Münzerscher, »das einzige bedeutende militärische Talent unter sämtlichen Bauernchefs«. Sein politisches Ziel war »die völlige politische, rechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung der Bürger und Bauern mit dem Adel und der Geistlichkeit, was auch das Ende der weltlichen Herrschaft der Kirche einschloß.« Wie Thomas Müntzer (1489 – 27. Mai 1525) war er damit seiner Zeit weit voraus.

Die österreichischen Aufstände bestätigten noch einmal die Tragik der zersplittert kämpfenden Bauern als eine wesentliche Ursache ihrer Niederlage. Zwar hatte Müntzer Emissäre nach Tirol geschickt, aber ihre Saat ging zu spät auf. Die gegen die vereinten Söldnerheere kämpfenden deutschen Bauern gingen bereits ihrer Niederlage entgegen, als ihre Brüder in Tirol gegen ihre Unterdrücker losschlugen. Zwei Tage vor der entscheidenden Niederlage der mitteldeutschen Bewegung bei Frankenhausen in Thüringen wählten die österreichischen Bauernhauptleute am 13. Mai 1525 den 35-jährigen Michael Gaismair zu ihrem Obristen.

Gaismair stammte aus einer begüterten Bergbauunternehmer- und Beamtenfamilie. Als Schreiber des Tiroler Landeshauptmanns und Burggrafen von Vols als auch Sekretär des Brixener Bischofs lernte er die brutale Unterdrückung des Volkes kennen, hatte aber auch Gelegenheit, sich mit den Lehren der großen Reformatoren vertraut zu machen. Von ihnen beeinflußten Thomas Müntzer und Huldrych Zwingli sein weiteres Handeln und ließen ihn neben ihnen zu einem der hervorragendsten Vertreter des radikalen Flügels der frühbürgerlichen Revolutionen werden.

Gegen die Augsburger Fugger

Im Gegensatz zu Deutschland hatten Bauern und städtische Honoratioren bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Tirol sogenannte Landesstände durchgesetzt, in denen sie neben Prälaten und Rittern vertreten waren. Die Macht der Grundherren über die bäuerliche Bevölkerung war durch die Landstände zugunsten der Beamten der Gerichte, wie die unterste Verwaltungseinheit hieß, in gewissem Umfang beschnitten. Nun forderten die Bergknappen im Bündnis mit den Bauern weitere Rechte und Freiheiten. Sie marschierten nach Innsbruck und verlangten die Aufhebung der Kontrolle der Bergwerke durch die Augsburger Fugger, Mitsprache bei der Direktion der Betriebe und an der Landesregierung. Die Volkserhebung dehnte sich rasch auf die Gebiete Brixen, Bozen, Sterzing, Ghries und Hall aus.

In dieser Situation wurde am 12. Juni 1525 der Innsbrucker Landtag eröffnet. Auf ihm waren auch die Nachbarn vertreten, neben dem Schwäbischen Bund Bayern, Graubünden, Venedig, Mailand, Bourbon, Neapel und der Kaiser. 200 Vertreter der Bauern - in ihrem Schlepptau die Städte – verlangten nicht nur, die Geistlichkeit auszuschließen, sondern sogar die Bergknappen zum Landtag zuzulassen. Der Adel – ein in ganz Deutschland beispielloser Fall – war so eingeschüchtert, daß er sich vielfach den Forderungen der Bauern anschloß. Das Bistum Brixen und der Deutsche Orden wurden säkularisiert. Die Gemeinden erhielten das Recht, den Pfarrer der Landesregierung vorzuschlagen. Das römische Recht wurde eingeschränkt, Fischfang und Jagd wurden für frei erklärt, die Abgaben der Bauern wurden reduziert.

Nachdem der Schwäbische Bund die letzten Erhebungen im Allgäu zerschlagen hatte, verfügte Erzherzog Ferdinand jedoch über die Streitkräfte des Bundes und verhinderte die Annahme einer neuen Landesverfassung, die einen radikalen Umbau der Verwaltung, die Beseitigung der Vorherrschaft des Herrenstandes, die Wahl der Richter und Beamten und die Übereignung des Bodens an die Bauern vorsah. Im August 1525 lockte er Michael Gaismair nach Innsbruck und ließ ihn in den Kerker werfen. Die von Gaismair verfolgten Reformen scheiterten.

Michael Gaismair gelang es, aus dem Kerker zu entkommen und nach Zürich zu fliehen, wo er von Zwingli Anregungen für seine reformatorische Programmschrift, die »Tiroler Landesordnung« erhielt, die er anschließend in Klostern in Graubünden ausarbeitete. Darin entwarf er das Zukunftsbild einer von Unterdrückung befreiten, auf Gottes Wort gegründeten freien Republik der Bauern und Bergknappen. Der erste Artikel verlangte die Ausrottung aller Gottlosen, die das ewige Wort verfolgen, den gemeinen armen Mann beschweren und den gemeinsamen Nutzen verhindern.

Brillante Gefechte

Im April 1526 setzten die Bauern an, die »Tiroler Landesordnung« gewaltsam durchzusetzen. Am 20. April kam es am Lueg-Paß zu einer der bedeutendsten Schlachten im Bauernkrieg. Zwischen Golling und Werften attackierte Michael Gaismair mit seinem Haufen das erzbischöfliche Heer, vier bis fünftausend Mann zu Fuß und zu Roß, in der Nacht so überraschend, daß es furchtbare Verluste erlitt und nur knapp der Vernichtung entkam. Es verlor alle seine Stellungen, darunter den strategisch wichtigen Lueg-Paß.

In einer glänzenden Kampagne lieferte Michael Gaismair anschließend den von verschiedenen Seiten heranziehenden Bayern, Österreichern, schwäbischen Bundestruppen und erzbischöflichen Landsknechten bei Golling, Kitzbühel, Kirchberg und Mauterndorf eine »Reihe brillanter Gefechte«, wie es Friedrich Engels formulierte. Bei Kitzbühel kam es mehrfach zu für die Aufständischen siegreichen Kämpfen, die geschickt ihre Ortskenntnisse im Gebirgsterrain zu nutzen wußten. Bei Kuchel an der Salzach führte Gaismair am 14. Juni den Angriff gegen acht beste Fähnlein des Schwäbischen Bundes selbst an und errang einen glänzenden Sieg. Mit seinem Haufen verfolgte er die fliehenden Kriegsknechte bis vor Salzburg. Drei Tage später erlitt das Bundesheer schwere Verluste, als es vergeblich versuchte, den Lueg-Paß zurück zu erobern.

In seiner Landesordnung hatte Michael Gaismair davon gesprochen, »die Trutzburgen des Adels, Schlösser und Befestigungen« zu schleifen. Davon zeugten jetzt die Gefechte. Die Haufen von Rauris, Pongau und Gastein stürmten und verbrannten die Alpenschlösser Mittersill, Kaprun Fischhorn, Taxenbach, Lichtenberg, Engelberg und Ittern. Um Radstatt schloß Gaismair einen festen Belagerungsring. Mehrere Angriffe mißlangen jedoch, da es an Belagerungsgeschütz fehlte.

Der Versuch, die Tiroler Landesordnung im Salzburgischen Aufstand im Juni/Juli 1526 durchzusetzen, scheiterte ein weiteres Mal. Weil mit keiner weiteren Hilfe zu rechnen war, brach Michael Gaismair vor den in erdrückender Übermacht anrückenden feudalen Obristen mit Zustimmung seiner Hauptleute den Aufstand ab. Der Versuch, ihn zur Verzweiflungsschlacht zu stellen und zu vernichten, schlug fehl. Nach mehreren hinhaltenden Gefechten gelang es diesem talentierten Heerführer aus dem Volk, der Niederlage zu entgehen und die bei ihm verbliebenen Bauernhaufen in einem in der Geschichte beispiellos dastehenden Rückzugsmarsch aus der feindlichen Umzinglung über die Alpen nach Venedig zu führen.

In Venedig sehr willkommen

In der Stadtrepublik Venedig, deren Grenzen er im Juli 1526 überschritt, war er sehr willkommen, denn seine kriegserfahrenen Haufen stellten eine Verstärkung der Kräfte der »Heiligen Liga von Cognac« – Allianz Frankreich, England, Papst, Mailand, Florenz, Genua und Venedig – bei der Verteidigung der Lagunenstadt und Norditaliens gegen die Kaiserlichen Truppen dar. Der legendäre Bauernführer wurde mit großen Ehren empfangen. Venedig übernahm seine Truppen und stellte ihm und seinen Hauptleuten einen Palast als Quartier zur Verfügung. Der Schweizer Kanton Zürich verlieh ihm das Bürgerrecht.

Schon kurz nach seinem Eintreffen nahm er mit seinen Truppen bei Vicenza, Verona, Brescia und Bergamo an mehreren Gefechten gegen die Kaiserlichen teil. Eine entscheidende Rolle spielte er in der Schlacht vor der kaiserlichen Festung Cremona, die die Truppen der Liga belagerten. Die hartnäckigen Angriffe unter Führung von Michael Gaismair trugen dazu bei, daß die Festung nach der den ganzen August und bis Mitte September 1526 andauernden Schlacht übergeben werden mußte.

Michael Gaismairs Hoffnungen, mit Hilfe der neuen Verbündeten den Kampf um die Befreiung Tirols vom Joch der Habsburger wieder aufzunehmen, erfüllten sich jedoch nicht. Am 23. Dezember 1529 schloß Venedig mit dem Kaiser einen Friedensvertrag. Im Juli 1530 traf sich Gaismair nochmals mit Zwingli in Zürich. Als das Schweizer Revolutionsheer am 11. Oktober 1531 in der Schlacht bei Kappel, in der Zwingli den Tod fand, von der klerikal-katholische Reaktion geschlagen wurde, zerstob auch die von dieser Seite erwartete Hilfe.

Mit ihren Versuchen, gegen hohe Entschädigungssummen Gaismairs Auslieferung zu erreichen, hatten die Habsburger keinen Erfolg. Schließlich setzten sie ein Kopfgeld aus, für das zwei spanische Söldlinge Gaismair am 15. April 1532 in Padua vor seinem Haus hinterrücks überfielen und ihn mit über 40 Hieb- und Messerstichen ermordeten. Seine Frau mit vier Kindern verließ 1533 Padua und zog nach Zürich, wo Freunde Zwinglis sie aufnahmen.