Ausland29. November 2023

»Keine Klimagerechtigkeit ohne internationale Solidarität«

Greta Thunberg läßt sich von Verleumdern nicht beirren und hält an Palästina-Solidarität fest

von Jürgen Heiser

Als die 15-jährige Greta Thunberg sich im heißen August 2018 mit dem Pappschild »Schulstreik fürs Klima« vor den schwedischen Reichstag setzte, löste sie auf der ganzen Welt einen Protest Tausender Jugendlicher aus. Die Bewegung Fridays for Future (FFF) war geboren. Sie holte das Thema Klimaschutz, das von Politikern aller Couleur zerredet und wie ein altes Kaugummi unter ihre Konferenztische geklebt worden war, zurück in die Köpfe und auf die Straße.

Die starke deutsche FFF-Sektion wurde jedoch schon bald von Bündnis 90/Die Grünen gekapert. Die Einbindung in die Staatspolitik war letztlich der Hauptgrund für die Domestizierung der ursprünglich aufmüpfigen Jugendbewegung. Durch den Völkermord der israelischen Armee in Gaza kam es nun zu einem Akt, der geradezu symbolhaft ist für diesen Niedergang.

Thunberg hatte sich seit Wochen für ein Ende des Mordens in Palästina eingesetzt. Am 20. Oktober teilte sie auf X mit: »Heute streiken wir in Solidarität mit Palästina und Gaza. Die Welt muß ihre Stimme erheben und einen sofortigen Waffenstillstand, Gerechtigkeit und Freiheit für die Palästinenser und alle betroffenen Zivilisten fordern.« In Amsterdam nahm die Aktivistin am 12. November am dortigen »größten Klimaprotest aller Zeiten« (Euronews.com) teil. Zehn Tage vor den Parlamentswahlen hatte ein breites Bündnis zum »Marsch für Klima und Gerechtigkeit – Gemeinwohl vor Profit« aufgerufen. 70.000 Menschen kamen und forderten eine konsequentere Klimaschutzpolitik ein, viele von ihnen protestierten auch gegen den Krieg in Gaza.

Auf der Abschlußkundgebung empfing die Menge begeistert Greta Thunberg, die gleich zur Sache kam. »Als Bewegung für Klimagerechtigkeit müssen wir auf die Stimmen derer hören, die unterdrückt werden und für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen«, sagte sie. Es könne »keine Klimagerechtigkeit ohne internationale Solidarität geben«. Damit übergab sie das Mikro an eine Afghanin und eine Palästinenserin, die zuvor von den Organisatoren am Reden gehindert worden war, weil sie den Satz sagte: »Vom Fluß bis zum Meer – Palästina wird frei sein.« Greta Thunberg teilte ihre Redezeit mit beiden, um sie zu Wort kommen zu lassen.

»Wir stehen nicht am Rande einer Katastrophe, wir leben darin«, sagte Thunberg. Die Menschen an den Frontlinien der Klimakrise schlügen seit Jahrzehnten Alarm, »aber wir alle und die Politiker an der Macht haben nicht zugehört«. Daraufhin versuchte ein Teilnehmer, ihr das Mikro zu entreißen. Er sei nicht wegen Politik, sondern wegen des Klimas gekommen, sagte der Mann, bevor er von der Bühne gedrängt wurde. Die Menge konterte: »Wir wollen Politik, wir wollen Politik«, und Greta Thunberg stimmte mit in den Sprechchor ein: »Auf besetztem Land gibt es keine Klimagerechtigkeit!«

In der BRD fühlte sich nach Thunbergs Auftritt in Amsterdam eine Art »Wächterrat« in Sachen »Israels Sicherheit ist Deutschlands Staatsräson« berufen, erbarmungslos über sie herzufallen. Denunziatorisch hatte »Der Spiegel« die »Umweltikone« schon am 24. Oktober ins Fadenkreuz genommen: »Hier gefährdet eine der einflußreichsten Persönlichkeiten der Gegenwart jüdisches Leben.«

Nach der Demo wurde der Krakeel lauter. Oberwächter Felix Klein – amtlich: »Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus« – posaunte hinaus, Thunbergs »einseitige Einlassungen zum Nahostkonflikt« seien »israelfeindlich und durch die verklausulierte Aberkennung des Existenzrechts Israels auch antisemitisch«. Sie demontiere »sich selbst sowie ihre Reputation als Kämpferin gegen den Klimawandel«.

Klein erwähnte indes nicht den wahren Grund für seine Verleumdungen: die Angst der Herrschenden vor Thunbergs Mobilisierungskraft, die ihr weltweit Respekt einbrachte. Mit ihren Aussagen zum Krieg gegen Gaza sei »Thunberg innerhalb der Organisation leider nicht allein«, mußte Klein einräumen. Deshalb begrüße er, daß sich die deutsche FFF-Sektion von der internationalen FFF-Bewegung distanziert habe. Die Grüne Luisa Neubauer erfüllte diesen Job. Schon Ende Oktober hatte sie über dpa verbreitet, die »antisemitischen Posts« auf internationalen FFF-Kanälen zeigten »Desinformation und Antisemitismus von wenigen«. Doch Greta Thunberg läßt sich nicht beirren und stellt sich nun bei ihrem freitäglichen Klimaprotest mit dem Schild »Gerechtigkeit für Palästina« vor das Parlament in Stockholm.

Außer Klein fühlten sich weitere »Wächter« berufen, Thunberg stellvertretend für alle Kritiker der israelischen Regierung an den Pranger zu stellen. Volker Beck, Präsident der Deutsch-israelischen Gesellschaft, phantasierte, Thunberg sei nun »hauptberuflich Israel-Hasserin«. Die israelische Botschaft in Berlin assistierte: »Keine Bühne für Antisemiten!« Der »Spiegel« provozierte nun weiter, er warf Thunberg vor, die Klimabewegung zu spalten, und stellte die »Greta-Frage«: »Ist sie naiv oder Antisemitin?«

Angesichts der Repression gegen jede Form von Palästina-Solidarität ist es an der Zeit, sich schützend vor Greta Thunberg und alle zu stellen, die sagen, was wahr ist, und sich nicht von denen schrecken lassen, die heute noch hetzen, aber schon morgen die UNO, ihre Menschenrechtserklärung und das Völkerrecht pulverisieren, wie es gerade in Gaza geschieht.