Leitartikel08. Juni 2021

Die Zauberlehrlinge

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Als Johann Wolfgang Goethe im Jahr 1797 seine Ballade vom Zauberlehrling verfaßte, ahnte er wohl nicht, daß sich das Drama 200 Jahre später in der internationalen Politik noch wesentlich schlimmer abspielen würde – und das gleich mehrmals. Bei Goethe nutzt der Lehrling die Abwesenheit des Hexenmeisters für eine Erprobung seiner bisher erlernten Zauberfähigkeit, indem er einem Besen befiehlt, Wasser für ein Bad herbeizutragen. Allerdings gelingt es ihm nicht, den Besen wieder zum Einhalten zu bewegen, so daß am Ende das ganze Haus überschwemmt wird. »Die Geister, die ich rief, werd’ ich nun nicht los«.

In der Gegenwart führen sich die politischen Verwalter der Profitinteressen der Banken und Konzerne immer wieder ähnlich auf wie Goethes Zauberlehrling. Im Unterschied zur Ballade gibt es jedoch keinen Hexenmeister, der den Besen schließlich in die Ecke verweist. Ein großer Teil der Probleme, mit denen sich die Politiker und Militärs des Westens heute herumschlagen, ist von ihnen selbst verursacht worden.

Der Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea ist weitgehend darauf zurückzuführen, daß der Westen vor über 30 Jahren eine politische Bewegung unterstützte, die angesichts von Tendenzen einer sozialistischen Entwicklung in Äthiopien eine Spaltung des Landes zum Ziel hatte. Der Südsudan entstand mit massiver Beihilfe der EU, der NATO und der USA, die schließlich ein Unabhängigkeitsreferendum finanzierten, wonach der vom ersten Tage seiner Existenz an gescheiterte Staat Südsudan gegründet wurde. Alle vier Staaten gehören heute zu den schlimmsten Krisengebieten.

Als die Sowjetunion in Afghanistan den Versuch unternahm, eine sozialistisch orientierte Regierung zu unterstützen, begannen Geheimdienste der USA, islamisch geprägte Gruppen zu finanzieren und auszubilden. Daraus entstanden die militanten Taliban, gegen die seit 30 Jahren NATO-Truppen unter Führung der USA einen nicht gewinnbaren Krieg führen – und Jahre später islamistische Terrororganisationen, darunter der sogenannte »Islamische Staat«, für dessen Bekämpfung erneut Truppen aus NATO-Ländern und verbündeten Staaten in einen opferreichen Krieg zogen.

Als die palästinensische Befreiungsorganisation PLO, eine Dachorganisation unterschiedlicher Bewegungen, deren gemeinsames Ziel die Gründung eines Staates Palästina war, nach dem Geschmack Israels und des Westens zu sehr an Einfluß gewann, machten sich Geheimdienste ans Werk, um die Organisation zu spalten. Als Gegenkraft zur »gemäßigten« Fatah, die die Palästinensische Autonomieverwaltung im Westjordanland dominiert, wurde die Hamas im Gazastreifen gestärkt, gegen die Israel nun immer neue Angriffe orchestriert.

Die Kriege der USA gegen den Irak und dessen militärische Besetzung sind eine Ursache für die heute extrem instabile Lage in der Region. Die Teilnahme von NATO-Staaten am Krieg gegen den libyschen Staatschef Gaddafi schließlich führte zu einer Destabilisierung Nordafrikas und der Sahelzone – die jüngsten Ereignisse in Mali sind eines der Resultate. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen, letztlich hat auch die seit Jahren schwelende Flüchtlingskrise ihre Ursache in der irrationalen Politik des Westens.

Goethe schrieb nicht, welche Konsequenz sich für den Zauberlehrling aus der Überschwemmung des Hauses ergab. Leider werden auch die Verursacher der hier genannten Probleme mit keinerlei Konsequenzen rechnen müssen – solange die Machtverhältnisse nicht grundsätzlich verändert werden.