Ausland05. März 2022

Deal für das Großkapital

Diskussionen über Viertage-Arbeitswoche in Belgien. PTB kritisiert den »Arbeitsdeal« und warnt vor Zehn-Stunden-Arbeitstagen

von Gerrit Hoekman

Wäre das nicht wunderbar? Nur vier Tage in der Woche arbeiten und drei Tage frei? In Belgien soll das Realität werden. Das hat die Regierung Mitte Februar beschlossen. Aber bevor jetzt großer Jubel ausbricht – an den verbleibenden vier Tagen muß neuneinhalb Stunden malocht werden. Die volle Stelle wird also nur auf weniger Tage verteilt.

Die Länge des Arbeitstages kann sogar auf zehn Stunden erweitert werden, wenn sich Gewerkschaften und Unternehmerverband in einem Tarifvertrag darauf einigen. Wer will, kann aber auch weiterhin ganz normal an fünf Tagen auf der Arbeit erscheinen. Darüber hinaus werden sich abwechselnde Wochenpläne möglich sein, was Patchworkfamilien zugute kommt. Das bedeutet: In der einen Woche kann weniger gearbeitet und in der nächsten können die fehlenden Stunden nachgeholt werden.

Reaktionen kamen prompt. Raoul Hedebouw, der Vorsitzende der oppositionellen, marxistischen Partei der Arbeit (PTB/PVDA) kritisierte den »Arbeitsdeal«. Auf der Parteihomepage wird er wie folgt zitiert: »Zehn-Stunden-Arbeitstage werden dann zur Normalität«. Die meisten müßten ohnehin »freiwillig« Überstunden leisten, was hieße, daß sie am Ende auch am fünften Tag arbeiten. »Die 45-Stunden-Woche ist damit in der Praxis legalisiert.«

Im Moment müssen Chefs in Belgien fünf Tage im Voraus bekanntgeben, wann Teilzeitarbeiter mit flexiblen Jobzeiten auf der Arbeit erscheinen müssen. Demnächst soll der Dienstplan sieben Tage vorher bekanntgemacht werden. In einem Tarifvertrag kann die Frist aber wie bisher auf nur einen einzigen Tag verringert werden.

Auf diese Neuerungen einigte sich die belgische Regierung am 14. Februar: »Wir müssen es einfacher machen, den Arbeitsmarkt dynamischer zu gestalten«, meinte Premierminister Alexander De Croo laut der Onlineausgabe der Tageszeitung »Het Laatste Nieuws« (HLN) tags drauf. Verabschiedet das Parlament den »Arbeitsdeal«, dürfen Beschäftigte im Onlinehandel in Zukunft bis 24 Uhr eingesetzt werden, sofern sich auch nur eine der belgischen Gewerkschaften mit der Belegschaft darauf verständigen kann. Für die Spätschicht soll es einen Lohnzuschlag geben.

Raoul Hedebouw bemängelte ferner laut »HLN«, die Dealerei um den Werktag sei auf das Großkapital zugeschnitten und nicht auf die Arbeiterklasse: »Arbeitsbedingter Streß, Burnout und Langzeiterkrankungen nehmen zu. Und wie entscheidet die belgische Regierung? Mehr Flexibilität durch flexiblere Nachtarbeit und zehnstündige Arbeitstage.«

Der »Arbeitsdeal« beinhaltet auch das »Recht auf ungestörte Freizeit«. In Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten müssen Malocher nach Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub weder online noch telefonisch für das Unternehmen erreichbar sein. Die Gewerkschaften sollen das mit der tarifpolitischen Gegenseite in einem künftigen Vertragswerk regeln. Nur, wer soll das kontrollieren? Und: Wer in einem Betrieb mit weniger als 20 Beschäftigten arbeitet, ist praktisch vogelfrei. »Dann kann Ihr Arbeitgeber Sie schikanieren, wann immer er will«, betonte der PTB-Vorsitzende.

Auf Deutschland lasse sich das belgische Modell nicht einfach übertragen, schrieb das »Handelsblatt« am 23. Februar. »Schuld daran sind die starren deutschen Arbeitszeitgesetze«, ärgert sich der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Philipp Byers. Zwar lasse sich eine 40-Stunden-Woche auch in deutschen Unternehmen auf vier Tage verteilen. Aber »jede Minute Mehrarbeit, die der Mitarbeiter innerhalb seiner Viertagewoche leistet, würde automatisch zu einem Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz führen, da dann die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden gerissen werden würde«.

Ufuk Altun vom Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (IFAA) weist im »Handelsblatt« darauf hin, daß sich zehn Stunden Arbeit an vier Tagen negativ auf die Produktivität auswirken könnten. Wer dann noch pendeln müsse, komme schnell auf zwölf Stunden und mehr. »Eine 40-Stunden-Woche, verteilt auf vier Tage, kann ich mir allenfalls in Kombination mit Homeoffice vorstellen, weil dann zumindest die Wegezeiten wegfallen«, so Altun weiter.