Ausland14. September 2021

Neues Kapitel nationaler Würdelosigkeit

Proteste bei Italiens neuer Fluggesellschaft ITA halten an. 8.000 Beschäftigte kämpfen um ihre Arbeitsplätze

von Gerhard Feldbauer

In den vergangenen Monaten hat Italien mit der Zerschlagung seiner Fluggesellschaft Alitalia ein bisher beispielloses Kapitel nationaler Würdelosigkeit erlebt. Der dafür verantwortliche frühere EZB-Chef und jetzige Premier Mario Draghi hat sich dabei als ein williger Vollstrecker der Weisungen aus Brüssel gezeigt. Das Ergebnis sei die neue Gesellschaft Italia Trasporto Aereo (ITA), »eine kleine Billigfluggesellschaft, die auf kommerzieller Ebene bereits tot geboren ist. Wenige Flugzeuge (ungefähr fünfzig), wenige Strecken und fast keine der profitabelsten«, faßt das kommunistische Onlineportal »Contropiano« zusammen.

Mit den Folgen – zu denen weiter gehört, daß 8.000 von den etwa 11.000 Beschäftigten skrupellos auf die Straße gesetzt werden – wollen die Alitalia-Mitarbeiter sich nicht abfinden. Am Samstag demonstrierten sie auf der Piazza San Silvestro in Rom und forderten von der Regierung sofortige Maßnahmen zur Gestaltung der neuen ITA auf sicherer ökonomischer Basis und der Gewährleistung entsprechender Arbeitsplätze. Es war, berichtete das linke »Manifesto«, »eine einheitliche Demonstration der Alitalia-Mitarbeiter aus allen Bereichen: Piloten, Flug- und Bodenpersonal bis zur Wartung«.

Inzwischen ist bekannt geworden, daß noch nicht einmal sicher ist, ob frühere Alitalia- Beschäftige die zugesagten 2.800 Arbeitsplätze bei der ITA erhalten. Für diese Stellen sind Ausschreibungen veröffentlicht worden, auf die sich rund 30.000 Bewerber gemeldet haben, »darunter auch Personen, die offensichtlich keine Berufserfahrung in der Luftfahrtbranche haben, als auch Mitarbeitern anderer Billigunternehmen, die von einem besseren Gehalt träumen«. Es sei klar, so »Manifesto«, das es sich hier um einen »Austritt aus dem nationalen Vertrag, mit Lohnkürzungen« handelt.

Von den Verhandlungen über die Bildung der ITA waren die Gewerkschaften ausgeschlossen. Es sei, so der Generalsekretär der größten Gewerkschaft CGIL, Maurizio Landini, »inakzeptabel, daß die Europäische Kommission entscheidet, welche Art von Verträgen auf italienische Beschäftigte angewendet werden«. Die Tragweite bestehe darin, daß »ein Präzedenzfall« geschaffen werde. Der nationale Sekretär von Filt CGIL, Fabrizio Cuscito, warnte: »Die Regierung schaut untätig zu, die Spannungen wachsen«, und er forderte eine sofortige Beratung der Regierung. Ansonsten »bewegen wir uns auf einen Punkt ohne Wiederkehr zu«. Der Nationalsekretär von Uiltrasporti, Ivan Viglietti, forderte Arbeitsminister Andrea Orlando auf, für die Alitalia-Mitarbeiter, die nicht von ITA übernommen werden »soziale Sicherheitsnetze« zu garantieren.

Unter dem Druck der Gewerkschaften versprach Minister Orlando laut der Nachrichtenagentur ANSA Verhandlungen über die Einstellung und den Vertrag aufzunehmen. Vize-Finanzministerin Laura Castelli habe zugesagt, noch in dieser Woche im Ministerium »einen Tisch für Arbeit und Sozialpolitik« einrichten, um die Gespräche über die Einstellung neuer Mitarbeiter fortzusetzen, schreibt ANSA.

Konfliktstoff dürfte laut ANSA weiterhin sein, daß ITA in den nächsten drei Jahren nicht mehr als 1,35 Milliarden Euro Kapital erhalten soll, davon 700 Millionen in diesem Jahr. Im Relaunch-Dekret der Conte-Regierung seien Kapitalerhöhungen in Höhe von 3 Milliarden Euro vorgesehen gewesen.

Inzwischen fordern »die Wettbewerbshüter der EU-Kommission« die Rückerstattung staatlicher Beihilfen in Höhe von 900 Millionen Euro, die Italien für Alitalia erhalten habe. Das sehe Brüssel als »illegale staatliche Beihilfen« Laut ANSA soll die Regierung das Geld zuzüglich Zinsen von Alitalia zurückfordern. Die Summe war als Darlehen gezahlt worden, damit Alitalia seinen Betrieb aufrechterhalten konnte.