Ausland16. November 2021

Von Grenzen und Flüchtlingen

von Karin Leukefeld, Damaskus/Beirut

Die Zeit ist vorbei, als die Bewohner Bagdads oder Basras nach Damaskus, Beirut, Jerusalem oder Kairo reisen konnten – und umgekehrt – um zu studieren oder Handel zu treiben. In Krisen und Kriegen haben zunächst die Europäer und der Völkerbund nach 1918 ein französisches und ein britisches Mandatsgebiet errichtet. 1948, als die neuen Staaten Irak, Syrien und Palästina sich auf ihre Unabhängigkeit vorbereiteten, wurde der Region ein weiterer Schlag versetzt.

Die gewaltsam durchgesetzte Gründung Israels 1948 zerriß Familien, Nachbarschaften und Wirtschaftsräume. Die Vertreibung der Palästinenser war erst der Anfang einer nicht enden wollenden Zerteilung des Gebiets zwischen Euphrat, Tigris und dem Mittelmeer. Seitdem ziehen immer neue Flüchtlinge von einem Land zum anderen, um schließlich in einem der vielen Lager zu stranden, wo es außer Hilfsprojekten und Almosen keine Perspektive gibt.

Zehn Jahre Krieg in Syrien haben die Region verändert. Die Grenzübergänge im Norden zur Türkei sind von verschiedenen Armeen und bewaffneten Gruppen besetzt, die sich am Schmuggel – von Menschen in die eine Richtung und von Waffen und Söldnern in die andere Richtung – ebenso bereichern wie an den vom »Westen« finanzierten Hilfslieferungen.

Im Osten Syriens liegt die Grenze zum Irak in einem Wüstengebiet, in dem arabische Stämme leben. USA-Besatzungstruppen sorgen ebenso wie US-amerikanische und israelische Luftangriffe dafür, daß die Armeen Syriens und des Irak ihre gemeinsame Grenze nicht kontrollieren können. Israelische, iranische und andere Kampfdrohnen liefern sich um den einzigen geöffneten Grenzübergang Al Bukamal einen Schattenkrieg.

Am südlichen Grenzübergang Al Tanf/Al Walid, der an der Strecke zwischen Bagdad und Damaskus liegt, hat die USA-Armee – auf syrischem Territorium, also unter Verletzung des Internationalen Rechts – eine Militärbasis errichtet und eine 50 Kilometer breite Pufferzone gezogen. Auf dem Gelände bildet sie eine »Revolutionäre Kommandoarmee« aus, die offiziell gegen den »Islamischen Staat« kämpfen soll, der sich allerdings in der Region weitgehend aufgelöst hat.

Rund 100 Kilometer südlich von Damaskus liegt der Grenzübergang Nassib, der nach Jordanien führt. Während des Krieges war die Grenze geschlossen. Als sie 2018 wieder geöffnet wurde, kehrten Zehntausende syrische Flüchtlinge aus Jordanien in ihre Heimat zurück. Anfang 2020 wurde der Grenzübergang erneut wegen des Ausbruchs der Corona-Pandemie geschlossen. Ende September 2021 wurde erneut geöffnet, doch nur zwischen 700 und 1.000 Fahrzeuge passieren ihn pro Tag in beide Richtungen, sagt General Mazen von den syrischen Grenztruppen, der für das Gespräch mit der Autorin eine Genehmigung des Innenministeriums erhalten hatte.

Die Reisenden seien Geschäftsleute, die in Jordanien, Saudi Arabien oder in einem der Golfemirate zu tun haben. Lastwagen transportierten Gemüse oder Textilien aus Syrien nach Jordanien, in den Irak oder in die Golfstaaten, umgekehrt würden Waren von dort nach Syrien und in den Libanon gebracht. Die Fahrer der Lastwagen seien meist Pakistaner oder Ägypter, berichtet der General. Zwischen 50 und 70 Lastwagen überquerten die Grenze in beide Richtungen pro Tag. Vor dem Krieg seien es täglich mehr als 1.000 Lastwagen gewesen.

Auch UNO-Diplomaten und Hilfsorganisationen reisten zwischen Damaskus und Amman hin- und her. Reisebusse aus Saudi Arabien brächten Angehörige von syrischen Gastarbeitern aus Saudi Arabien nach Syrien, die ihre Familien besuchen wollten. Manche müßten Papiere in Damaskus verlängern oder andere Behördengänge erledigen. Für Jordanien seien die Transitgebühren eine wichtige Einnahmequelle, sagt General Mazen. Nur wenige Privatpersonen überquerten den Grenzübergang, die Corona Regeln seien streng und machten das Reisen teuer.

Will man von Damaskus nach Amman reisen, muß zunächst ein PCR-Test gemacht werden. Ein weiterer Test wird auf der jordanischen Seite der Grenze vorgenommen, der wieder bezahlt werden muß. Das Taxi kostet für eine Strecke zwischen Damaskus und Amman 100 Jordanische Dinar (JOD), umgerechnet rund 120 Euro. Mangels Kundschaft muß ein Reisender oft den Wagen ganz bezahlen, den sich normalerweise vier Personen à 25 Dinar teilen können. Für die Taxifahrer lohnt sich die Fahrt kaum. Ein Fahrer darf nur eine Fahrt machen und muß dann fünf Tage pausieren, bevor er wieder fahren darf.

Der Fahrer, der sich Ahmad nennt, dessen Transportunternehmen mit mehreren Wagen vor dem Krieg täglich mehrmals die Strecken Damaskus – Amman oder Damaskus – Beirut fuhr, fährt wegen der schwierigen Bedingungen nicht nach Amman. Auch Kundschaft von Beirut nach Damaskus oder umgekehrt hat er seit Monaten nicht gehabt. Viele Männer seines Alters verließen Syrien, berichtet er der Autorin.

Gerade erst seien ehemalige Kollegen von ihm über Beirut nach Minsk geflogen. »Dort bleiben sie einige Tage im Hotel, dann bringt man sie an die Grenze zur EU. Sie wandern etwas durch die Wälder, passieren die Grenze und werden auf der anderen Seite von ihren Verwandten abgeholt, die in Deutschland leben«, erzählt er. Umgerechnet mindestens 10.000 Euro koste das, räumt Ahmad ein. »Was sollen sie machen? Es gibt hier keine Arbeit, keine Perspektive.« Für ihn selber käme das nie in Frage, sagt Ahmad. Er werde seine Familie im Dorf nicht verlassen und außerdem, fügt er hinzu: »Ich kenne niemanden in Deutschland.«