Ausland07. Dezember 2023

Bombengeschäft für Rüstungskonzerne

Die 100 größten Rüstungskonzerne weltweit stehen wegen globaler Hochrüstung vor gewaltigem Aufschwung

von German Foreign Policy

Der globalen Rüstungsindustrie, darunter deutsche Konzerne, steht nach einem vergleichsweise schwachen Jahr 2022 ein gewaltiger Boom bevor. Dies geht aus dem jüngsten Bericht des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI zu den 100 größten Rüstungsunternehmen weltweit hervor.

2022: Sondereffekte

Die Zahlen, die das Stockholmer Forschungsinstitut SIPRI am Montag vorgelegt hat, lassen das bevorstehende rasante Wachstum auf den ersten Blick nicht wirklich erkennen. Zwar lag der Umsatz der 100 größten Waffenschmieden weltweit im vergangenen Jahr um 14 Prozent über demjenigen im Jahr 2015 – ein klares Zeichen für einen langfristigen Anstieg. Doch lag er mit 597 Milliarden US-Dollar zugleich um 3,5 Prozent unter dem Vergleichswert von 2021.

Insbesondere der Umsatz der US-amerikanischen (-7,9 Prozent) und der russischen (-12 Prozent) Unternehmen unter den Top 100 ging beträchtlich zurück. SIPRI führt das allerdings auf Sondereffekte zurück. So hatten Rüstungsfirmen in den USA mit Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie zu kämpfen gehabt – vor allem mit Personalmangel und mit ernsten Problemen in den Lieferketten. Dennoch übertraf ihr Umsatz mit rund 302 Milliarden US-Dollar immer noch die Hälfte des Umsatzes weltweit.

Den Rückgang bei den russischen Rüstungsfirmen führt SIPRI auf fehlende Daten, Inflation und die kriegsbedingt erforderliche, aber weniger Umsatz bringende Modernisierung alten Geräts zurück. Die Produktion der russischen Rüstungsindustrie insgesamt läuft seit Kriegsbeginn erklärtermaßen auf Hochtouren.

Die Lage in der EU

Bei den 26 Rüstungskonzernen aus den EU-Staaten unter den globalen Top 100 registrierte SIPRI im Vergleich zum Vorjahreswert ein leichtes Wachstum um 0,9 Prozent auf ein Volumen von insgesamt 121 Milliarden US-Dollar. Gebremst wurde es unter anderem von Rückgängen in Frankreich (-3,9 Prozent) und Italien (-5,6 Prozent), die das Stockholmer Institut ebenfalls auf Sondereffekte zurückführt.

Im Falle Frankreichs schlugen vor allem Einbußen bei Dassault und Safran zu Buche; beide Konzerne sind stark in die Herstellung des Kampfjets Rafale involviert, von dem im vergangenen Jahr weniger ausgeliefert wurden, und sie hatten zudem ebenfalls mit Problemen in den Lieferketten zu kämpfen. Im Falle Italiens wiederum machten sich Verzögerungen bei der Auslieferung von Eurofightern an Kuwait bemerkbar; der Konzern Leonardo, der an ihrer Herstellung beteiligt ist, verzeichnete harte Einbußen.

Die vier deutschen Waffenschmieden unter den Welt-Top 100 (Rheinmetall, ThyssenKrupp, Hensoldt, Diehl) steigerten ihren Umsatz um durchschnittlich 1,1 Prozent. Hinzu kommen Firmen mit deutscher Beteiligung, die in mehreren Ländern Europas verankert sind – Airbus (+17 Prozent), KNDS (+11 Prozent) und MBDA (-7,3 Prozent). In KNDS ist der deutsche Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann (KMW) aufgegangen.

In drei Jahren verdoppelt

Rheinmetall, zur Zeit erfolgreichster deutscher Rüstungskonzern, konnte seinen Rüstungsumsatz von 2021 auf 2022 um 6,0 Prozent auf 4,55 Milliarden US-Dollar steigern. Das Unternehmen hält sich auch eine Kfz-Zuliefersparte, die eigentlich dazu dient, Schwankungen im Rüstungsgeschäft auszugleichen; Schwankungen nach unten sind jedoch auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Die Kfz-Zuliefersparte erwirtschaftete 2022 ohnehin nur noch ein Drittel des Gesamtumsatzes (6,74 Milliarden US-Dollar) von Rheinmetall.

Der Konzern – auf der Rangliste der 100 größten Rüstungskonzerne weltweit von Platz 31 auf Platz 28 aufgestiegen – zeigt, welches dramatische Wachstum in den kommenden Jahren für die Branche möglich ist. Schon für dieses Jahr rechnet die Düsseldorfer Konzernzentrale mit einem durch den Rüstungsboom erzielten Umsatzwachstum auf 7,4 bis 7,6 Milliarden Euro.

Kontinuierlich gehen neue Aufträge ein, aktuell etwa ein Auftrag aus einem nicht namentlich genannten NATO-Staat, eine fünfstellige Zahl Artilleriegranaten des Kalibers 155 Millimeter für die Ukraine herzustellen; der Preis beläuft sich auf gut 142 Millionen Euro. Rheinmetall geht davon aus, seinen Umsatz bis 2026 auf 13 bis 14 Milliarden Euro steigern zu können. Das wäre eine knappe Verdoppelung binnen nur drei Jahren.

Rheinmetalls neuer Heimatmarkt

Rheinmetall setzt dabei nicht nur auf die deutsche Bundeswehr, die von einem rasant steigenden Rüstungshaushalt profitiert – gegenwärtig von den Sonderschulden (»Sondervermögen«) der Bundesregierung, künftig von dem regulären Militäretat, der laut Kriegsminister Boris Pistorius nach dem Auslaufen der Sonderschulden um mindestens 23 Milliarden Euro pro Jahr steigen soll. Der Konzern will zudem bereits in Kürze die Produktion in der Ukraine aufnehmen, dort laut Vorstandschef Armin Papperger »nach etwa sechs bis sieben Monaten das erste radgetriebene Fahrzeug fertig haben – und nach zwölf bis 13 Monaten den ersten [Schützenpanzer] Lynx«.

Daneben setzt das Unternehmen stark auf die USA, deren Streitkräfte es schon lange beliefert. Die Beziehungen sind mittlerweile so eng, daß Rheinmetall den Auftrag erhalten hat, für das Exportmodell des Kampfjets F-35A Lightning II Rumpfmittelteile zu bauen. Der F-35 wird unter Führung des US-amerikanischen Konzerns Lockheed Martin hergestellt, des mit einigem Abstand umsatzstärksten Rüstungsunternehmens weltweit. Rheinmetall ist zudem in der Schlußauswahl im Bieterkampf um den Bau des Schützenpanzers, der in den Streitkräften der USA die Nachfolge des »Bradley« antreten soll. Die USA könnten bis Ende der 2020er Jahre ein »neuer Heimatmarkt« werden, heißt es bei Rheinmetall.

Neue Konkurrenz

SIPRI bestätigt in dem neuen Bericht, daß zum Teil schon für 2023, allgemein aber für die kommenden Jahre mit einem massiven Rüstungswachstum zu rechnen ist: Dann schlagen die Aufträge, die seit Beginn des Ukraine-Kriegs eingegangen sind und jetzt abgearbeitet werden müssen, in Form steigender Umsätze und vor allem wachsender Profite zu Buche.

Einen Eindruck vom Ausmaß, das das Wachstum annehmen kann, bieten die jüngsten Konzernergebnisse und die Prognosen von Rheinmetall. Dabei zeigt der SIPRI-Bericht auch, daß sich die Konkurrenz in der EU, aber auch weltweit verschiebt. So steigt in der EU der polnische Rüstungskonzern PGZ (Polska Grupa Zbrojeniowa) stark auf und liegt bei SIPRI mittlerweile auf Platz 71, knapp hinter der deutschen Nummer 3, Hensoldt (Platz 69).

PBZ profitiert von dem gewaltigen Aufrüstungsprogramm, mit dem die polnische Regierung die polnischen Landstreitkräfte zu den »größten in Europa« machen will; dabei kommen statt deutschen südkoreanische Kampfpanzer zum Zuge.

Die Türkei wiederum ist mittlerweile mit vier statt wie zuvor zwei Rüstungsfirmen unter den globalen Top 100 vertreten; aufgestiegen sind Roketsan, ein Unternehmen, das Raketen herstellt, und vor allem Baykar, der Hersteller der Militärdrohne mit den weltweit meisten Kunden – der Bayraktar TB2. Die türkische Rüstungsindustrie boomt auch sonst, produziert mittlerweile Kampfpanzer und Kampfjets und wird dieses Jahr wohl Rüstungsgüter im Wert von 6 Milliarden US-Dollar exportieren – nach lediglich 2,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020. Damit entsteht in Teilbereichen für die alten westeuropäischen Rüstungskonzerne neue Konkurrenz.