Ausland31. März 2021

Der High-Tech-Kampfjet der EU

Einflußkämpfe um den geplanten deutsch-französischen Kampfjet der nächsten Generation und das Luftkampfsystem FCAS

von German Foreign Policy

Fortdauernde Rivalitäten zwischen den beteiligten Konzernen lassen ein Scheitern des Rüstungsprojekts Future Combat Air System (FCAS) möglich erscheinen. Das FCAS, das sich um einen Kampfjet der nächsten, mittlerweile sechsten Generation zentriert und insbesondere Drohnen und Drohnenschwärme umfaßt, soll von 2040 an einsatzbereit sein.

Bis zu 300 Milliarden Euro

Das FCAS ist das aktuell wohl bedeutendste Rüstungsprojekt auf EU-Ebene. Kern des Vorhabens ist ein Kampfjet der nächsten, sechsten Generation (Next Generation Fighter, NGF); dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung der heute modernsten, fünften Generation, zu der unter anderem die US-amerikanische F-35, die russische Suchoj Su-57 oder die chinesische Chengdu J-20 gehören. Die modernsten europäischen Kampfjets wie der Eurofighter oder die französische Rafale werden zur vierten Generation gezählt.

Zeichnet sich die fünfte Generation insbesondere dadurch aus, daß ihre Jets über Tarnkappeneigenschaften verfügen, so ist die sechste darüber hinaus als Teil eines komplexen Kampfsystems, vernetzt unter anderem mit Drohnen und mit Drohnenschwärmen, definiert.

Auf die gemeinsame Entwicklung und Produktion des neuen Kampfjets (NGF) bzw. des gesamten Luftkampfsystems (FCAS) haben sich Berlin und Paris auf Regierungsebene bereits im Juli 2017 geeinigt; vergangenes Jahr wurde offiziell noch Spanien in das Vorhaben integriert. Hauptsächlich getragen wird das Projekt von den Konzernen Dassault (Frankreich) und Airbus (Deutschland, Spanien). Die Kosten für das FCAS, das ab 2040 einsatzbereit sein soll, werden auf einen Wert zwischen 80 und 300 Milliarden Euro beziffert.

Die neue Dreierkonstellation

Gab es innerhalb des FCAS-Projekts schon seit je Rivalitäten und Einflußkämpfe zwischen den beteiligten Konzernen, so sind diese Ende vergangenen Jahres und dann besonders seit Februar 2021 eskaliert. Ein wichtiger Auslöser ist die Einbindung Spaniens in das Vorhaben gewesen, die Berlin gegen Paris durchgesetzt hat. Für die deutsche Bundesregierung ist die neue Dreierkonstellation taktisch günstig: Da der deutsche und der spanische FCAS-Hauptbeteiligte – Airbus Defence and Space aus Taufkirchen bei München bzw. der Airbus-Ableger in Spanien – demselben Konzern angehören, sind sie gegenüber dem französischen Hauptbeteiligten Dassault tendenziell im Vorteil.

Für die französische Regierung wiegt das schwer. Paris legt traditionell besonderen Wert darauf, in der Rüstungsindustrie eigenständig handlungsfähig zu sein; so stammt die Rafale allein aus französischer Produktion, während der Eurofighter in multinationaler Kooperation hergestellt wird. Entsprechend trägt Dassault am meisten Know-how zum neuen Kampfjet bei – und muß nun zusehen, wie die deutsch-spanische Konkurrenz Wissen abschöpft und sich lukrative Teile der Fabrikation sichert. Bei Dassault habe man »den Eindruck ..., bei FCAS mehr zu verlieren als zu gewinnen« zu haben, erläuterte vor kurzem der französische Militärexperte Jean-Charles Larsonneur: »Verschleudern wir nicht unser technologisches Wissen?«

»Schwierige Diskussionen«

Im Februar ist es trotz energischen politischen Drucks im Anschluß an den »deutsch-französischen Verteidigungsrat« vom 5. Februar nicht gelungen, eine Lösung für die industriellen Einflußkämpfe zu finden: »Es gibt schwierige Diskussionen«, hieß es Ende vergangenen Monats aus dem unmittelbaren Umfeld des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Anfang März schien sich dann zunächst ein wenig Entspannung abzuzeichnen: »FCAS ist nicht mehr in Lebensgefahr«, äußerte Dassault-Chef Eric Trappier.

Inzwischen werden jedoch wieder Zweifel laut. Zu den industriellen Differenzen kommt nach wie vor hinzu, daß Paris fordert, der neue Kampfjet müsse atomwaffenfähig und darüber hinaus in der Lage sein, von einem Flugzeugträger aus zu starten; Berlin, das weder über Atomwaffen noch über einen Flugzeugträger verfügt, legt darauf keinen Wert. Umgekehrt hieß es zuletzt aus der deutschen Hauptstadt, das FCAS könne eventuell zu teuer werden: Da »die Betriebskosten der Streitkräfte pro Jahr um zwei bis drei Prozent« stiegen und die Aufstockung der Bundeswehr auf 203.000 Soldaten »jährlich zwei Milliarden Euro zusätzlich« koste, müsse man womöglich »im Rüstungsbereich neue Prioritäten« setzen, erklärt der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestags (2015 bis 2020) Hans-Peter Bartels. Er fordert: »Deutschland braucht ... einen Plan B«.

Einen »Plan B« hat Anfang des Monats zudem Dassault-Chef Trappier ins Spiel gebracht. Trappier bekräftigt zwar, nach wie vor »Plan A« zu favorisieren – Entwicklung und Produktion des neuen Kampfjets sowie des gesamten FCAS gemeinsam mit Airbus Defence and Space und Airbus Spanien. Aufgrund der weiterhin ungelösten Differenzen komme man allerdings nicht umhin, über mögliche Alternativen nachzudenken. Trappier erklärt: »Was die Technologie betrifft – Dassault weiß, wie man ein Flugzeug alleine baut.« Die französischen Konzerne Safran und Thales seien fraglos fähig, Motoren für Kampfflugzeuge zu konstruieren bzw. die Elektronik zu gewährleisten; MBDA mit Sitz in Le Plessis-Robinson, einem Vorort von Paris, könne die Raketen herstellen. Die französische Industrie verfüge also über das notwendige Know-how. Experten bestätigen dies: Frankreich sei »fast mit Gewißheit« in der Lage, zumindest den Kampfjet der sechsten Generation zu produzieren, heißt es in einer aktuellen Einschätzung des Londoner Royal United Services Institute (RUSI).

Die Konzernspitze von Airbus Defence and Space wiederum räumt offen ein, über keinen »Plan B« zu verfügen: Scheitere »Plan A«, dann werde die US-amerikanische F-35 den europäischen Rüstungsmarkt vollständig erobern, wurde kürzlich der Airbus-Manager Antoine Bouvier zitiert.

Konkurrenzmodell »Tempest«

Die Streitigkeiten um das FCAS und die französische Option, gegebenenfalls einen Alleingang mit dem Projekt zu starten, sind für Berlin umso mißlicher, als ein europäisches Konkurrenzvorhaben, das britische Luftkampfsystem »Tempest«, nicht nur Fortschritte macht, sondern inzwischen auch EU-Staaten einbezieht. Die Arbeit an »Tempest« ist offiziell im Juli 2018 eingeleitet worden, ein Jahr nach dem Startschuß für das FCAS; Ziel ist es gleichfalls, einen Kampfjet der sechsten Generation und ein Begleitsystem aus Drohnen und Drohnenschwärmen zu konstruieren.

An dem Projekt beteiligen sich mittlerweile zwei EU-Staaten, die nicht am FCAS beteiligt wurden – Italien mit seinem Rüstungskonzern Leonardo sowie Schweden mit Saab. Experten attestieren dem »Tempest« beachtliche Fortschritte. Die britische Regierung hat beschlossen, den ursprünglich geplanten Kauf von 138 US-amerikanischen F-35 signifikant zu reduzieren und die frei werdenden Mittel in das »Tempest«-Projekt zu investieren; erst kürzlich hat London für die kommenden vier Jahre zwei Milliarden Pfund bereitgestellt. Das britische Luftkampfsystem soll den Plänen zufolge ab 2035 einsatzbereit sein – vier Jahre vor dem FCAS, sofern dieses tatsächlich zustande kommt.