Ausland11. Juni 2022

Italien in dramatischer Wirtschafts- und Sozialkrise

Kommunalwahlen als Test für Parlamentswahlen im Frühjahr 2023

von Gerhard Feldbauer

In letzter Minute haben der Chef der Lega Matteo Salvini und die Führerin der faschistischen Partei Brüder Italiens (FdI) Georgia Meloni ihren Streit beigelegt und sich »in einer Umarmung« für die Kommunalwahlen an diesem Sonntag die gegenseitige Unterstützung ihrer Kandidaten für die bevorstehende Kommunalwahl zugesichert. Dabei geht es, wie die Nachrichtenagentur ANSA am Freitag berichtete, vor allem um die Unterstützung des Bürgermeisters von Verona, Federico Sboarina, der zur FdI übergewechselt ist und zur Wiederwahl antritt. Es ist laut ANSA ein »Zeichen des Zusammenhalts« zwischen den beiden Parteichefs, die sich in den vergangenen Tagen auf Distanz um die Vorherrschaft zwischen den »Kräften der Rechten Mitte« – wie die faschistische Allianz sich verharmlosend präsentiert – gestritten hatten. Es herrsche bei ihnen große Sorge, ob Sboarina es schaffen werde. Es gehe um jede Stimme, »um die Linke zu besiegen«, betonte Meloni. Salvini erklärte, damit seien »die Mitte-Rechts-Parteien« kompakt und sie müßten »vor niemandem Angst« haben. Bei einem Blick auf Wählerumfragen ist nicht sicher, ob dem so ist.

Gewählt werden in 982 Kommunen, darunter 26 Provinzhauptstädte und vier Regionalhauptstädte, neue Gemeinderäte und die Bürgermeister. Laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts AGI Youtrend steht FdI derzeit mit 21,5 Prozent Stimmen auf Platz eins, während die Lega nur mit 15,9 Prozent rechnen kann und die Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi (FI) nur noch mit 8,7 Prozent bewertet wird. Der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) liegt mit 21,3 Prozent dicht hinter der FdI. Allerdings ist die Fünf Sterne-Bewegung (M5S) von Ex-Premier Giuseppe Conte auf 13,3 Prozent abgesunken und die »Linke Mitte«(PD und M5S) hat zu keiner vergleichbaren Einheit gefunden.

Die Kommunalwahlen finden vor dem Hintergrund einer im Ergebnis der Folgen der Teilnahme der Draghi-Regierung an der NATO- und EU-Unterstützung des Krieges in der Ukraine sich dramatisch verschärfenden sozialen und Wirtschaftslage statt. Laut den neuesten Daten des Amtlichen Instituts für Statistik (Istat) ist derzeit ein Viertel der italienischen Familien mit ständig wachsenden finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert. Die Kosten für Energie sind um 73 Prozent, für Gas um 66,3 Prozent, für Sonnenblumenöl um 70,2 Prozent und für Mehl um 18,6 Prozent gestiegen. Die Spritpreise pendeln bei zwei Euro pro Liter.

Unter der Losung »Raus aus dem Krieg« und »Die Waffen nieder, die Löhne hoch!« hatten Gewerkschaften mit der Unione sindacale di Base (USB) an der Spitze am 20. Mai zu einem Generalstreik und mehreren Massendemonstrationen zum Protest gegen den Krieg, gegen sinkende Sozialausgaben und für höhere Löhne mobilisiert. Die USB warnte: »Wir stehen vor einer neuen Periode des Elends, der Energiekrise, der Inflation und natürlich des Krieges«. Dieses »räuberische kapitalistische System« werde »die Ausbeutung noch mehr verschärfen, neue Angriffe auf die Löhne und Arbeiterrechte führen, die repressiven Maßnahmen und Kontrollmechanismen verschärfen, um seine Herrschaft zu sichern«.

Diesen arbeiterfeindlichen Kurs haben in einer so genannten »Regierung der nationalen Einheit« unter Premierminister Mario Draghi, dem früheren Chef der Europäischen Zentralbank, die Parteien der »Linken Mitte« – PD und M5S – zusammen mit den Faschisten der FI von Ex-Premier Berlusconi und der Lega Salvinis mitgetragen. Sie fürchten jetzt bei den Kommunalwahlen, vor allem aber bei den im Frühjahr 2023 anstehenden Parlamentswahlen von den Wählern abgestraft zu werden. Ins Fäustchen lachen kann sich dagegen die Führerin der faschistischen Brüder Italiens, Georgia Meloni, die in der Opposition geblieben ist und jetzt die Früchte einheimsen will. Meloni, eine Gesinnungs- und persönliche Freundin von Frankreichs Faschistin Marie Le Pen, jubelt bereits »Wir werden die Führung der Nation übernehmen«.

Meloni, die Möchtegern-»Füherin der Nation«, hat im Mai auf einer Trauerfeier für die Witwe von Georgio Almirante, des Gründers des Movimento Sociale Italiano (MSI), der Nachfolge-Partei der Mussolini-Faschisten, diesen mit einem Bekenntnis zum faschistischen Erbe gefeiert. Georgio Almirante war unter dem »Duce« Staatssekretär und erließ einen Genickschußbefehl gegen Partisanen. Melonis Partei ist über den 1995 in Alleanza Nazionale (AN) umbenannten MSI direkt aus dieser Mussolini-Nachfolgepartei hervorgegangen.

PD-Chef Enrico Letta steht weiter »in Treue fest« zu Premier Draghi und erklärte, »diese Regierung muß bis zum letzten Tag durchhalten«. Er setzt auf Draghi, der nach Meinung von Beobachtern in Rom als »Italiens Macron« nach den Wahlen im Frühjahr für eine weitere Amtszeit zur Verfügung stehen müsse, um einen Wahlsieg Melonis zu verhindern. Anders der M5S-Chef Giuseppe Conte, der selbst als Premierminister von Juni 2018 bis Februar 2021 Regierungserfahrungen hat und nun retten will, was noch zu retten ist. Gegenüber der Nachrichtenagentur ANSA hat er am 3. Juni bekannt gegeben, er stehe nach den Wahlen für eine weitere Regierung in dieser Konstellation nicht mehr zur Verfügung. Zum Krieg in der Ukraine erklärte Conte: »Wir haben mit drei Waffenlieferungen einen Beitrag geleistet. Unsere Bemühungen müssen sich jetzt auf die diplomatische Ebene konzentrieren«. Und er fügte hinzu: »Wir dürfen nicht länger glauben, daß wir Rußland durch Sanktionen besiegen können«.

Außer daß alle Regierungsparteien nun versprechen, sich für einen Mindestlohn einzusetzen, ist eine Abkehr vom arbeiterfeindlichen Kurs Draghis nicht auszumachen. Die antikapitalistische Linkspartei Potere al Popolo hat bei dem Generalstreik am 20. Mai klar Flagge gezeigt und sich voll hinter die Forderungen der USB gestellt. Während die Partei am Sonntag in einer Reihe von Gemeinden allein antritt, wurden in einigen Städten, so Palermo, Padua und Catanzaro mit außerparlamentarischen Linken gemeinsame Listen aufgestellt, in Parma gemeinsam mit den Kommunisten des Partito Comunista Italiano (PCI) und der Rifondazione Comunista (PRC).

»Wir wollen eine kämpferische Alternative bilden gegen den Gewaltenblock, der das Land derzeit in Schach hält und uns ein lebenswertes Leben verwehrt, gegen Klientelismus und Privatinteressen«, heißt es in dem gemeinsamen Wahlaufruf.