Ausland26. Mai 2021

Die Syrer wollen keine Bevormundung

Präsidentschaftswahlen mit drei Kandidaten. EU und USA wollen Ergebnis nicht anerkennen

von Karin Leukefeld

Am heutigen Mittwoch wird in Syrien ein Präsident gewählt. Drei Kandidaten treten an, darunter auch der amtierende Präsident Baschar al-Assad. Vieles deutet darauf hin, daß Assad für eine vierte Amtszeit gewählt werden wird. Trotz massiver Kritik aus dem westlichen Ausland halten die Syrer an ihrem »verfassungsgemäßen Recht zu wählen« fest.

51 Personen hatten sich um das höchste Amt in Syrien beworben, unter ihnen waren erstmals auch Frauen. Das Verfassungsgericht ließ schließlich drei der Kandidaten zu den Wahlen zu. Landesweit wurden 12.000 Wahlzentren eingerichtet. 14 Staaten haben auf Einladung des syrischen Parlaments Delegationen zur Wahlbeobachtung entsandt.

Neben Amtsinhaber Baschar al-Assad, der von der Baath-Partei nominiert wurde und dem allein schon wegen seiner Bekanntheit die besten Chancen zugerechnet werden, tritt der wenig bekannte Politiker Abdallah Saloum Abdallah von der linksgerichteten Nasseristischen Partei Syriens an. Abdallah stammt aus Aleppo, strebt die Einheit Syriens im Sozialismus an und ist Herausgeber einer Zeitung.

Der dritte Kandidat ist Mahmoud Ahmed Marei von der oppositionellen Demokratischen Arabischen Sozialistischen Union (DASU). Mit zwölf anderen Parteien hatte die DASU sich 2011 zum Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCC) zusammengeschlossen, einer zunächst sehr einflußreichen Dachorganisation der syrischen Opposition, die sich nicht im bewaffneten Kampf gegen die Regierung befindet.

Von vielen wird der Jurist Marei aufgrund seines persönlichen Werdegangs als glaubwürdige Alternative zum bestehenden politischen System favorisiert. Sechs Jahre war Marei als politischer Gefangener inhaftiert, 2011 wurde er eine der führenden Personen der innersyrischen Opposition. Marei ist Vorsitzender der Syrischen Arabischen Organisation für Menschenrechte und gehört der Delegation der innersyrischen Opposition an, die in Genf an den Verhandlungen des Verfassungskomitees unter dem Dach der UNO teilnimmt. Im Zentrum seiner Kampagne stehen die Forderungen nach der Freilassung der politischen Gefangenen und nach der Bildung einer »Regierung der nationalen Einheit mit einer wirklichen Vertretung der Opposition«.

Beobachter rechnen mit einer mäßigen Wahlbeteiligung um die 50 Prozent. Angesichts der vielen Probleme, mit denen die Bevölkerung täglich zu kämpfen haben, nehmen die Wahlen keinen prominenten Platz ein. Die Syrer gelten besonders nach den verheerenden Entwicklungen im Irak und Libyen als risikoscheu und wollen eher an dem Bekannten festhalten.

Millionen staatliche Angestellte und Beamte werden ebenso zur Wahl gehen, wie Hunderttausende Pensionäre. Sie erhalten regelmäßig ihre Gehälter und Pensionen, als Vorwahlgeschenk gab es für diese Bevölkerungsgruppe eine zusätzliche monatliche Zahlung. Als Zeichen des guten Willens wurden zudem vor den Wahlen tausende Gefangene freigelassen. Darunter waren auch etwa 400 Juristen, Angestellte und Journalisten, die in den sozialen Medien die schlechte wirtschaftliche Lage massiv kritisiert hatten.

Die Kommunistische Partei und die Syrische Soziale Nationalistische Partei werden ihre Anhänger zu den Wahlen mobilisieren. Einerseits wollen sie damit ihre politische Präsenz zeigen, andererseits halten sie angesichts der massiven zumeist von EU-Staaten und den USA verbreiteten Kritik an den Wahlen, die Wahlbeteiligung für wichtig.

Kritik an den Wahlen wird seit Monaten schon von der EU und den USA geäußert. Sie werden als »Farce« diffamiert, und es wurde bereits lange vor dem Wahltermin erklärt, daß man deren Ergebnis nicht akzeptieren werde. Auf eine Anfrage der Autorin antwortete das Auswärtige Amt in Berlin, die deutsche Bundesregierung habe »bereits im März in einem gemeinsamen Statement mit den USA, Vereinigtem Königreich, Frankreich und Italien sowie im Rahmen einer EU-27-Erklärung (...) klar Stellung bezogen«. Die Präsidentschaftswahlen seien »weder frei noch fair« und entsprächen nicht »der maßgebenden UNO-Sicherheitsrats-Resolution 2254«. Eine formelle Anfrage der syrischen Botschaft zur Teilnahme der in Deutschland lebenden syrischen Wahlberechtigten an den Wahlen in der Botschaft in Berlin, habe das Auswärtige Amt »abschlägig beschieden«, hieß es weiter. »Völkerrechtlich besteht keine Verpflichtung der Bundesregierung«, die Wahlen zu genehmigen.

Eine kleine Gruppe von Staaten, darunter auch Deutschland, die USA und die Türkei hatten den Syrern am 20. Mai 2021 die Möglichkeit verweigert, in den Botschaften zu wählen. In 40 Staaten hingegen war die Teilnahme der dort lebenden Syrer an den Wahlen erlaubt. Besonders viele Syrer machten von ihrem Wahlrecht im Libanon Gebrauch. Auch massive Angriffe der »Libanesischen Kräfte«, einer christlichen Miliz im Zedernstaat, die mit Stangen und Fäusten die Menschen auf dem Weg zur Botschaft in Beirut attackierten, konnten die Wähler nicht stoppen.

Im UNO-Sicherheitsrat erklärten die USA, Britannien und Frankreich, die Wahlen nicht anerkennen zu wollen. Wassili Nebensja, der russische Boschafter bei der UNO, warnte davor, sich in die inneren Angelegenheiten Syriens einzumischen. Die westlichen Staaten sollten keine falschen Informationen verbreiten, so Nebensja. Die Präsidentschaftswahlen in Syrien hätten »nichts mit der Arbeit des Verfassungskomitees zu tun«, das tage unter dem Dach der UNO.

Kritik an den Wahlen kam von dem kurdisch geführten »Syrischen Demokratischen Rat« am vergangenen Montag in Qamischli. Man habe nichts mit diesen Wahlen zu tun und werde auch »nicht dazu beitragen, daß irgendwelche Wahlen stattfinden, die die Bedeutung der UNO-Resolution 2254 verletzen«, hieß es in einer Erklärung. Wahlen in Syrien könnten nur »in Übereinstimmung mit internationalen Entscheidungen« stattfinden.

Die Nationale Koalition Syrischer Revolutions- und Oppositionskräfte (Etilaf) mit Sitz in Istanbul organisierte zahlreiche Proteste gegen die Wahlen in Gebieten unter ihrer Kontrolle. Der Chef der Syrischen Oppositionellen Organisation (SOC), Nasr al-Hariri bezeichnete die Wahlen als »Putsch gegen den politischen Prozeß« in Syrien. Die einzigen akzeptablen Wahlen in Syrien seien Wahlen, »an denen der Kriegsverbrecher Baschar al-Assad nicht teilnimmt«.

Die Syrer reagierten auf ihre Weise auf die Kritik. Landesweit fanden am vergangenen Sonntag Demonstrationen »Für das verfassungsgemäße Recht zu wählen« statt. Auch wenn man wisse, daß man an der Lage wenig ändern könne, müßten die Wahlen stattfinden, sagte eine Geschäftsfrau aus Damaskus der Autorin am Telefon. »Wir stimmen weniger über einen der Kandidaten ab als für das grundsätzliche Recht zu wählen«, sagte die Frau, die namentlich nicht genannt werden wollte. »Die Syrer sind politisch sehr bewußt. Sie wollen sich nicht bevormunden lassen, von niemandem.«