Ausland09. Oktober 2021

Zum Parteitag der britischen Labour-Party

Den Kapitalismus retten

von Morning Star

Am Mittwoch vergangener Woche endete im englischen Brighton der Parteitag der sozialdemokratischen Labour-Party. Es war ein Parteitag der Skandale und des weiteren »Aufräumens« der rechten Führung. Ganz gelungen ist das nicht. Ein Antrag zu 15 Pfund Mindestlohn, den die Führung um Parteipräsident Keir Starmer verhindern wollte, wurde angenommen, aus Protest gegen die Haltung der Parteiführung in dieser Frage trat Andrew McDonald, im Schattenkabinett Starmers zuständig für Arbeitsrecht, zurück. Zuvor war eine Reihe von Delegierten, die zum linken Flügel gehören, zu Beginn des Parteitags vor Ort über ihren Ausschluß informiert worden.

Die Gewerkschaften, in Britannien traditionell Mitglieder der Labour-Party, zeigten der Parteiführung, was sie von ihrem Kurs halten. Das erste Mal nahm die Präsidentin von Britanniens größter Gewerkschaft nicht am Parteitag teil. Sharon Graham, Generalsekretärin von UNITE, besuchte statt dessen Streikposten. Die Nahrungsmittelgewerkschaft BFAWU trat kollektiv aus der Labour-Party aus.

Seine Abschlußrede mußte Keir Starmer unter Polizeischutz halten.

Wir dokumentieren hier die Einschätzung des britischen »Morning Star« zur Rede Starmers, übersetzt und redaktionell bearbeitet von Manfred Idler.

Keir Starmers Rede auf dem Labour-Jahrestreffen war ebenso unverschämt wie inhaltsleer: eine Aneinanderreihung von Platitüden, gespickt mit Geringschätzung für die Mitglieder und Aktivisten, die die Arbeiterbewegung ausmachen.

Vor sechs Jahren, als Jeremy Corbyn die Führung der Labour-Partei übernahm – auch dank der großen Zahl von Sozialisten, die sich einer Partei anschlossen, die unwiderruflich an die neoliberale Rechte verloren schien –, sagte er diesen Sozialisten: »Willkommen zu Hause!«

Starmer richtete dieselben Worte an die Zerstörer, die Labours Chancen unter Corbyn sabotiert haben, als er in seiner Eröffnungsansprache die Blairistin Louise Ellman erwähnte. Es war eine Nebenbemerkung, umso beleidigender, als er sich nicht einmal die Mühe machte zu erwähnen, daß eine Mitgliedsgewerkschaft, die unterbezahlte Arbeiter der Lebensmittelindustrie vertritt, sich so unerwünscht fühlte, daß sie tags zuvor den Austritt beschloß.

Der Labour-Chef ist so unehrlich wie illoyal und seine kalkulierten Beleidigungen gegen Corbyn spiegeln diese Verlogenheit wider.

Wenn Angehörige der Arbeiterklasse sagen, daß ihre Großeltern sich eher im Grab umgedreht hätten statt 2019 Labour zu wählen, wie er behauptet: Wie viel hat das dann mit dem Verrat am Votum für den Austritt aus der Europäischen Union zu tun, hinter dem er in Corbyns Schattenkabinett steckte, und wie viel mit den fünf Jahren täglicher Medienattacken auf einen Labour-Führer, der für einen echten Wandel stand?

Starmer ist sich dessen klar. Er sprach von schändlicher Falschdarstellung Corbyns in den Medien, als er für dessen Nachfolge kandidierte und die Stimmen der Sozialisten brauchte. Das war ebenso substanzlos wie seine Haltung, als er 2019 mit einem Transparent der Bäckergewerkschaft posierte, auf dem er einen Stundenlohn von 15 Pfund für Fast-Food-Beschäftigte forderte – was er, wie wir diese Woche erfahren haben, bekämpft hat.

Die Linke und die Gewerkschaftsbewegung müssen den Fokus auf solche präzisen Forderungen beibehalten, denn dies ist ein Labour-Führer, der jede Lücke nutzen wird, um sich herauszuwinden – und seine »Politik« hat viele Lücken.

Was nützt sein Aufruf an die Delegierten, »Zustimmung für die Beschäftigten des Gesundheitswesens zu signalisieren«, wenn er sich weigert, die Lohnforderungen der Gewerkschaften zu unterstützen, die diese Beschäftigten vertreten? Wenn die Labour-Party so jämmerlich gegen eine Lohnkürzung durch die Tories auftrat – sie schwafelte, daß Krankenschwestern mehr als eine einprozentige Erhöhung verdienten, weigerte sich aber zu sagen, wie hoch die Erhöhung sein sollte –, daß sie nur Wochen später von den Konservativen auf dem falschen Fuß erwischt wird, als diese beleidigende drei Prozent anbieten, die immer noch besser sind als der Labour-Vorschlag?

Die Probleme in Starmers Rede sind bekannt. Labour fordert nicht mehr die Eigentumsverhältnisse und die Kontrolle über die britische Wirtschaft heraus. Die Partei ist »wieder im Geschäft« – oder zurück in der Tasche des Großkapitals.

Man wolle in die Industrie und die Bekämpfung des Klimawandels investieren, beteuert Starmer – aber was ist daran Besonderes? Die Konservativen sind schon dazu übergegangen, staatliche Investitionen in die Industrie zu unterstützen, was zum Teil ein Ergebnis der Corbyn-Bewegung ist mit ihrer Feststellung, daß es eine Alternative zu Sparmaßnahmen und dem Fanatismus der »freien Marktwirtschaft« gibt.

Wir wissen, daß die Tories Steuergeld in die Bereicherung privater Unternehmen auf Kosten aller »investieren«. Aber nichts anderes wird die Labour-Partei mit dieser Sichtweise auch tun.

Eine nationale Energiekrise, in der die Preise steigen und die Zapfsäulen leerlaufen, in Verbindung mit einem Beschluß, Verstaatlichungen zu unterstützen, und Umfragen, die zeigen, daß dies eine überwältigende öffentliche Unterstützung hat, veranlassen Starmer nicht dazu, öffentliches Eigentum in diesem oder einem anderen Sektor zu fordern. Nein, Labour ist »wieder im Geschäft«.

Dies ist ein Labour-Führer, der keine Antworten auf die Krisen hat, denen Britannien und die Welt gegenüberstehen. Sein stabiler Kapitalismus ist eine Sackgasse für Labour und die Arbeiterbewegung. Aber wir haben auf dem Jahrestreffen gesehen, daß in der Labour-Party immer noch eine große, kämpferische Linke existiert, die die Rechte schlagen kann.

Starmers langer Grabgesang mag die Stimmung drücken, aber unsere Aufgabe bleibt offensichtlich. Nicht jammern – organisieren!