Ausland27. August 2024

Korruptionsskandal in der Region Ligurien bringt Italien Regierung in Bedrängnis

»Contropiano«: Ohne »das System in Frage zu stellen«, wird sich nichts ändern

von Gerhard Feldbauer

Das kommunistische Magazin »Contropiano« hat am Donnerstag an den seit über drei Monaten schwelenden Korruptionsskandal in der Region Ligurien erinnert, der die seit zwei Jahren regierende faschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in Bedrängnis bringt.

Schlüsselfigur der Ereignisse, bei denen ein sizilianischer Mafia-Clan mitmischt, ist Giovanni Toti von der Forza Italia (FI), Präsident der Region Ligurien. Bereits am 7. Mai wurde er wegen schwerer Korruption und Urkundenfälschung zusammen mit weiteren neun Personen verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Es dauerte 80 Tage, bis er am 26. Juli von seinem Amt als Regierungschef von Ligurien zurücktrat, wozu ihn Premierministerin Meloni selbst gedrängt hatte, um den Schaden zu begrenzen und um den Weg für vorgezogene Wahlen, die im Oktober stattfinden sollen, frei zu machen.

Insgesamt wird gegen 25 hochrangige Personen aus Politik und Wirtschaft ermittelt. Bei Totis Kabinettschef Matteo Cozzani, der beschuldigt wird, den Kauf von Stimmen für Totis Wahl durch die Mafia organisiert zu haben, beschlagnahmte die Finanzpolizei Guardia di Finanza laut der Nachrichtenagentur ANSA zu Hause über 200.000 Euro in bar. Die Ermittlungen ergaben Kontakte zu einem sizilianischen Mafia-Clan, der die Aktivitäten in Genua unterstützte.

Schlüsselfigur des von den Beteiligten organisierten Clans ist nach bisherigen Ermittlungen Paolo Emilio Signorini, der als CEO der Iren-Gruppe, eines riesigen Multiversorgers im Energiesektor, der Dienstleistungen in den Bereichen Strom, Wasser, Gas und Fernwärme erbringt, als Präsident der Hafenbehörde von Genua an den Schalthebeln der Macht saß. Die Iren-Leitung hat ihren CEO nach Bekanntwerden von seiner Funktion suspendiert. Toti soll von Signorini unter anderem 74.000 Euro von mit der Cosa Nostra in Verbindung stehenden Unternehmern angenommen haben. Dafür habe er den Mafiosi Vorteile bei der Vergabe von Konzessionen für Hafenflächen in Genua, für die Rinfuse-Flüssigerdgasterminals oder für Werbeflächen, wie die Maxi-Leuchtreklame auf dem höchsten Wolkenkratzer in Genua verschafft und zudem Bestechungsgelder angenommen, die für den Stimmenkauf für seine Wahl verwendet wurden.

Von dem Betreiber von Mülldeponien, Pietro Colucci, dem er gefälschte Konzessionen für weitere Lagerflächen erteilte, habe er 195.000 Euro erhalten. Der verhaftete Logistikunternehmer Aldo Spinelli belastete Toti als treibende Kraft des zum Kauf von Wählerstimmen gebildeten Mafia-Clans. Laut ANSA erklärte er bei den Ermittlungen, er sei von Toti ständig unter Druck gesetzt worden. »Jedes Mal, wenn eine Wahl war, verlangten alle von mir Geld, auch Toti.« Der wies in der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft alle Vorwürfe zurück und behauptete, »jeder gesammelte Euro wurde der Politik zugewiesen«.

Bereits nach Bekanntwerden des Skandals hatte »Contropiano« die Ursachen offen gelegt: »Während Milliarden öffentlicher Gelder zur Förderung klientelistischer Interessen und zum Bau großer, nutzloser Werke – vom neuen Wellenbrecher bis zur Seilbahn, die das Gebiet von Oregina und Lagaccio verwüsten – verschwendet werden, leiden die Menschen der Region an Hungerlöhnen, prekärer Arbeit, grassierender Unterbeschäftigung – Folgen einer Deindustrialisierung der gesamten Region«.

Die Untersuchungen, die zu Totis Rücktritt führten, offenbarten die Korruption eines Systems, das auf den persönlichen und privaten Interessen einer bis ins Mark verdorbenen politischen und wirtschaftlichen Klasse basiert, schrieb das Magazin. Nun legte »Contropiano« nach und schrieb: »Auch wenn ein Toti entfernt wird, einige Politiker ersetzt werden, gegen einige mächtige Leute ermittelt werden muß, wird sich das System nicht ändern. Um dieses völlig korrupte System mit seiner schlechten Regierungsführung zu stoppen, bedarf es einer echten Opposition, die dagegen den gesellschaftlichen Widerstand organisiert«.

Der Skandal offenbart, wie Italien-Experten sich erinnern, daß unter der Meloni-Regierung fortgesetzt wird, was unter einem Ministerpräsidenten Giulio Andreotti Gang und Gebe war. Daß die Mafia der Democrazia Cristiana (DC) Wählerstimmen besorgte, wofür Andreotti gegen Mafiosi laufende Prozesse vor dem Kassationsgericht »in Ordnung« brachte, was hieß, die Angeklagten wurden freigesprochen oder die Verfahren zu Fall gebracht. Ans Licht kam das in dem im Frühjahr 1993 gegen Andreotti eröffneten Prozeß wegen Komplizenschaft mit der Mafia, in dem er angeblich wegen Mangels an Beweisen in letzter Instand freigesprochen wurde, was jetzt im Fall Toti auch nicht ausgeschlossen wird.

Und was Melonis früheren Verbündeten, den verstorbenen Ex-Premier und Führer der faschistischen Forza Italian (FI) Silvio Berlusconi betrifft, wurde dessen enger Vertrauter, Senator Marcello Dell'Utri, 2012 in erster Instanz zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er den »Pakt zwischen der Mafia und Berlusconi« eingefädelt haben soll. Dabei kam ans Licht, daß in Berlusconis Villa Arcore in Mailand ein Mafioso als Stallknecht getarnt untergebracht war. Als dabei aufgedeckt wurde, daß Berlusconi Zahlungen in Millionenhöhe an die Mafia leistete, behauptete er, seine Kinder seien bedroht und er damit zu Schutzgeldzahlungen erpreßt worden.