Kaleidoskop24. Juli 2021

Rotes Moskau für die Nasen der Welt

von Pierre Buchholz


In Rußland besteht seit über 150 Jahren ein durchaus erfolgreiches Parfümhandwerk, welches bis ins Jahr 1843 zurückreicht, als der Franzose Alfonse Rallet die erste französische Kosmetikfabrik in Moskau gründete, aber nur kostspielige Pomaden und Düfte herstellte.

1863 entdeckte der berühmte französische Parfümeur Henri Brocard ein neues Verfahren zur Herstellung von konzentrierten Duftstoffen. Nach dem Verkauf seiner Erfindung öffnete er eine eigene Fabrik in der Moskauer Nikolskaja Straße. Brocard war so fasziniert von der Ge-schichte und der russischen Kultur, daß er sogar den Namen Andrei Afanasyevitch annahm.

In den 1870er Jahren startete Brocard die Produktion von hochwertigen Parfums und wurde zum russischen Marktführer. Seine aromatischen Rohstoffe erhielt er aus der »Roure Bertrand«-Filiale, einem Unternehmen in Grasse. Die Seifen und Düfte fanden nicht allein in Rußland Anerkennung, sondern auch in Paris prämierte man Brocards Kreationen. Darunter auch das Parfüm »Le Bouquet préféré de l’Impératrice«, den Lieblingsduft der damaligen Zarin Alexandra Fjodorowna.

Schöpfer des Regentenparfüms war im Jahre 1913 sein Schüler August Michel. Mit der Russischen Revolution endete vorerst die Blütezeit der französischen Parfümkunst in Moskau. Brocards Erben flohen nach Frankreich, aber August Michel arbeitete nach der Verstaatlichung in der Fabrik weiter und kreierte fortan sowjetische Düfte für jedermann.

Der »Lieblingsduft der Zarin« wurde in »Krasnaya Moskva«, »Rotes Moskau« umbenannt und fand unter diesem Namen weiterhin internationale Beachtung. 1958 wurde das Parfüm »Rotes Moskau« sogar mit einem Grand Prix in Brüssel ausgezeichnet und noch heute gilt das Parfüm mit der schweren Süße, begleitet von einem Hauch von Zitrusfrucht und Nelkengras, von Birkenholz und Moschus als Liebhaber- und Sammlerduft. Und war das Lieblingsparfüm der ersten Dame im Kosmos, Walentina Wladimirowna Tereschkowa.

Die dreigliedrige Duftnotenpyramide vermerkt als Basisnoten des »Krasnaya Moskva« Iris, Vanille und Tonkabohne, als Herznoten werden Ylang Ylang, Rose, Jasmin und Nelke festgestellt und die Kopfnoten bestehen aus Koriander, Neroli und Orangenblüte. Beinahe 70 Jahre lang galt jenes Parfüm als einer der beliebtesten Düfte in der Sowjetunion. Und ist weiterhin weltweit geschätzt und erhältlich.