Verhandlungen und Vernichtungskrieg
Israels Regierung mißachtet jegliches Völkerrecht. USA und Deutschland stehen weiter zu Israels »Recht auf Selbstverteidigung«
Während an vornehmer Adresse im weit entfernten Doha, der Hauptstadt des Golfemirats Katar, die Chefs verschiedener Geheimdienste über einen von Ägypten vorgelegten Plan für einen zweitägigen Waffenstillstand für Gaza berieten, bombardierte die israelische Armee weiter Krankenhäuser und Schulen, in denen Vertriebene Zuflucht gesucht hatten und tötete dabei in Gaza innerhalb von 24 Stunden mehr als 50 Menschen.
Im Libanon wurde am Wochenende und am Montag von der israelischen Luftwaffe auf die historische Hafenstadt Tyros »eingeprügelt«, wie arabische Medien schrieben. Auch um Umland von Saida schlugen israelische Bomben ein. Mindestens 21 Personen kamen innerhalb von 24 Stunden ums Leben, hieß es in libanesischen Medien. Darunter waren Menschen, die vor den israelischen Angriffen aus dem Süden des Landes geflohen waren.
Unter den Toten in Saida war Hussein Fneish, ein Politiker mit Beziehungen zur Hisbollah, der immer wieder Konflikte in der Region beruhigt hatte. Mit ihm starben seine Frau, sein Sohn und andere Angehörige seiner Familie. Die Wohnung der Familie in einem Mehrfamilienhaus war offenbar gezielt von einer israelischen Drohne attackiert worden.
Das libanesische Gesundheitsministerium gibt die Zahl der Toten im Libanon seit dem 8. Oktober 2023 mit 2.672 an, 12.468 Personen wurden verletzt. Dabei stieg die Zahl der bei den massiven israelischen Luftangriffen seit dem 23. September 2024 im Libanon Getöteten um 1.615 Personen. Mindestens 1,3 Millionen Menschen aus dem Süden des Landes wurden vertrieben, mehr als 800.000 halten sich weiter im Libanon auf, während rund eine halbe Millionen Menschen sich in Syrien in Sicherheit zu bringen versuchen. Die meisten dieser Menschen sind Syrer, die nach 2011 aus Syrien in den Libanon flohen, um dort Schutz zu suchen.
Zwei Tage Waffenruhe?
Der ägyptische Präsident Abdal Fattah al-Sisi hatte vor wenigen Tagen den Vorschlag einer zweitägigen Waffenpause unterbreitet, damit vier israelische Gefangene im Gazastreifen innerhalb dieser 48 Stunden freigelassen werden sollten. Im Gegenzug sollte eine Gruppe palästinensischer Gefangener freigelassen werden.
Eine offizielle Mitteilung über ein Telefonat zwischen Al-Sisi und dem holländischen Ministerpräsidenten Dick Schoof gab an, beide Politiker hätten über die ernste Eskalation in der Region gesprochen. Al Sisi habe betont, daß die internationale Gemeinschaft ihre Anstrengungen verstärken müsse, das gelte insbesondere für die Mitgliedstaaten der EU. Grundlage müsse die Zwei-Staaten-Lösung und die Errichtung eines Staates Palästina sein, wie internationale Resolutionen es vorschrieben. Nur so seien »regionale Stabilität und nachhaltige Sicherheit für alle Völker der Region zu erreichen«, wurde Al-Sisi in ägyptischen Medien zitiert.
Informationen über die Gespräche, an denen David Barnea, Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, und William Burns, Chef des Auslandsgeheimdienstes CIA der USA, teilnehmen, gibt es kaum. In einer knappen Erklärung des Büros des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu hieß es am Montag, daß »die Diskussionen zwischen Vermittlern und Hamas fortgesetzt« würden, um »die Möglichkeit von Gesprächen und weiteren Bemühungen für ein Abkommen« zu prüfen. Ein »Durchbruch« werde nicht erwartet, hieß es im katarischen Nachrichtensender Al Jazeera. Eine »neue Chance für einen Waffenstillstand« sei nach der Tötung des Hamas-Anführers Jihia al-Sinwar entstanden, allerdings hat der israelische Ministerpräsident bereits erklärt, den Krieg in jedem Fall weiterführen zu wollen.
»Eisernes Bekenntnis« zu Israel
Angehörige und Freunde der rund 100 israelischen Gefangenen in Gaza protestieren seit Monaten fast täglich gegen Netanjahu und fordern einen Waffenstillstand mit der Hamas, damit ihre Angehörigen freikommen können. Bei einer israelischen Gedenkfeier in Erinnerung an die israelischen Toten des 7. Oktober 2023 wurde Netanjahu bei seiner Rede von Demonstranten mit den Rufen »Schande über dich« unterbrochen. Netanjahu geht auf die humanitären Forderungen der Familien ebenso wenig ein, wie auf Forderungen ausländischer Verbündeter wie den USA und Deutschland.
Allerdings weiß der Regierungschef, daß gerade diese beiden Staaten »eisern entschlossen« an der Seite Israels stehen und den Krieg des Landes gegen Palästina und Libanon unvermindert mit Waffenlieferungen befeuern.
Die USA haben Israel auch angesichts des Angriffs auf den Iran ihre Unterstützung zugesichert. Kriegsminister Austin habe in einem Telefonat mit seinem israelischen Kollegen Galant Israels »Recht auf Selbstverteidigung« und das »eiserne Bekenntnis« der USA zu »Israels Sicherheit« bekräftigt, teilte das Pentagon mit. Die USA hätten zudem ihre Streitkräfte verstärkt, um das USA-Personal, Israel und die Partner in der Region »angesichts der Bedrohung durch den Iran und die vom Iran unterstützten Terrororganisationen« zu schützen.
Die deutsche Bundesregierung hat erst vor wenigen Tagen erklärt, daß die Waffenlieferungen an Israel nicht nur fortgesetzt werden, sondern angesichts des Krieges sogar nahezu verdoppelt worden waren.
Die grüne deutsche Außenministerin besaß sogar die Kühnheit, bei einem Besuch in der libanesischen Hauptstadt Beirut, auch angesichts der dort sichtbaren Zerstörungen durch israelische Angriffe, die Waffenlieferungen zu verteidigen und das erneut mit Israels »Recht auf Selbstverteidigung« zu begründen.
Verschärfte Angriffe gegen den Norden von Gaza
Anstatt ernsthaft über einen Waffenstillstand in Gaza zu verhandeln, hat die israelische Armee ihre Angriffe auf den Norden des Gazastreifens seit Anfang Oktober weiter verschärft. In den vergangenen drei Wochen wurden nur im Norden von Gaza mindestens 640 Palästinenser getötet. Nach einem Luftangriff auf Wohngebäude in Beit Lahia am frühen Dienstagmorgen meldete das Al Awad Krankenhaus den Tod von mindestens 93 Menschen, die in der Klinik eingeliefert worden seien. In dem Gebäude sollen sich laut Berichten von Anwohnern mehr als 100 Menschen befunden haben, die am Tag zuvor aus dem Flüchtlingslager Jabalia vor den anhaltenden Angriffen der israelischen Armee geflohen waren. Eine unbekannte Zahl von Menschen sei unter den Trümmern der eingestürzten Gebäude verschüttet. Weil Israel Rettungssanitäter und Zivilschutzangehörige angreift, wenn sie versuchen zu helfen, sind die Menschen sich selbst überlassen. Zudem fehlt es an dem notwendigen Gerät, um die Trümmer zu entfernen.
Ähnliche Nachrichten kommen fast täglich aus dem Norden des Gazastreifens, wo das israelische Militär am 5. Oktober erneut eine Serie von Angriffen gestartet hatte. Die israelischen Streitkräfte behaupten täglich, man greife »Hamas-Ziele« mit Präzisionsmunition gezielt an, die Angaben von palästinensischer Seite über die Zahl der Toten seien »übertrieben«, heißt es zudem. Auch das Al Awad Krankenhaus wurde Ziel massiver Angriffe der israelischen Armee, die dort am vergangenen Wochenende 44 Ärzte und Krankenpfleger festgenommen und mit unbekanntem Ziel abtransportiert hatte. Augenzeugen und Ärzte berichteten von einer »Spur der Verwüstung«, die die israelische Armee in der Klinik hinterlassen hat.
Vernichtung und Vertreibung
Die Menschenrechtsorganisation Euro-Med Monitor berichtete in Genf, daß die israelische Armee allein im Oktober 39 Notunterkünfte angegriffen habe. Seit Anfang August seien 65 Schulen, Kliniken und Notunterkünfte vor allem in Gaza Stadt und im Norden des Gazastreifens bombardiert und zerstört worden. Die Bevölkerung sei durch die Bombardierungen, direkten Beschuß getötet oder vertrieben worden, ihre Unterkünfte seien verbrannt und zerstört worden, so daß die Menschen nicht zurückkommen könnten. Ziel sei, die Bewohner des Gazastreifens zu vertreiben und ihre Lebensgrundlagen zu vernichten.
Der rechtsextreme, religiös-zionistische Finanzminister Bezalel Smotrich forderte auf einer Versammlung am vergangenen Sonntag, die Palästinenser zu vertreiben und den Siedlungsbau im Westjordanland und in Gaza zu beschleunigen. Wenn die Palästinenser einen Staat wollten, sollten sie »in einen anderen arabischen Staat auswandern«. Die israelische Souveränität müsse »vom Jordan-Fluß bis zum Mittelmeer« ausgedehnt, das Westjordanland und der Gazastreifen müßten annektiert und neu besiedelt werden.
Der Abzug Israels aus dem Gazastreifen 2005 sei ein Fehler gewesen und müsse rückgängig gemacht werden, so Smotrich, der auf einem »Gipfel des Mittleren Ostens« sprach, einer Jahresversammlung von »Israel 365«, einem Medium, das sich an US-amerikanische Evangelikale wendet. Smotrich appellierte an die Versammlung, die Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung fallen zu lassen. Stattdessen müsse es eine »eindeutige israelische Erklärung an die Araber und die ganze Welt geben, daß es einen Staat Palästina nicht geben wird«.

