Ausland13. August 2021

Immer mehr tödliche Arbeitsunfälle in Italien

Bauarbeiter in Foggia von Betonplatte zerquetscht

von Gerhard Feldbauer

Der 47-jährige Arbeiter Alessandro Rosciano aus Foggia ist am Montag auf einer Baustelle in San Giovanni Rotondo, einem Vorort der Provinzhauptstadt Foggia in der südlichen Region Apulien ums Leben gekommen. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA wurde er von einer herabfallenden Betonplatte zerquetscht. Die zum Unfallort gerufenen Notärzte konnten nur noch seinen Tod feststellen. Die Polizei untersuche die Unfall-Ursachen, hieß es bei ANSA.

Einen weiteren Todesfall gab es am Dienstag in Bergamasco in San Paolo d’Argon in der norditalienischen Lombardei. Ein 36-jähriger, aus Indien stammender Arbeiter stürzte bei der Firma Toora Casting aus acht Meter Höhe vom Dachgerüst in die Tiefe, weil das aufgespannte Sicherheitsnetz nicht standhielt.

Zu mehreren weiteren Todesfällen zählte am 3. August die 40-jährige Arbeiterin Laila El Harim, eine Migrantin aus Marokko, die in der Süßwarenfabrik Bombonette in Camposanto bei Modena in Norditalien ums Leben kam. Die Mutter einer vierjährigen Tochter war in eine Schneidemaschine zur Herstellung von Verpackungsbehältern geraten und tödlich verletzt worden.

Diese jüngsten Todesfälle am Arbeitsplatz haben in der Öffentlichkeit scharfe Proteste hervorgerufen. Die Generalsekretäre der regionalen Gewerkschaft CGIL, Pino Gesmundo, und der Arbeiterkammer von Foggia, Maurizio Carmeno, kritisieren die Untätigkeit der zuständigen Institutionen als nicht länger hinnehmbar. Die Zeitung »Il Fatto Quotidiano« hielt fest, die sich häufenden Todesfälle am Arbeitsplatz seien »für ein zivilisiertes Land nicht tragbar«.

Diesen Massakern seien in den letzten zehn Jahren mehr als 17.000 Arbeiter zum Opfer gefallen schrieb das Tagesblatt »Il Pane Quotidiano«. Im Juni 2021 hatte die den Gewerkschaften nahe stehende Zeitung in einer Recherche eingeschätzt, daß die Arbeiter »der Profitgier der Confindustria, des Verbandes der Großindustriellen geopfert« werden, sie an den »Nebeneffekten der zunehmenden Ausbeutung sterben«, und daß die Regierung und die verantwortlichen Institutionen dem Geschehen tatenlos zuschauen.

Wie das Institut für Versicherung gegen Arbeitsunfälle (INAIL) berichtete, sind die tödlichen Arbeitsunfälle seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor 18 Monaten drastisch gestiegen. Das Sinken des Bruttoinlandprodukt 2020 um 9 Prozent habe sich auf die Arbeitsbedingungen ausgewirkt. 2020 habe es nach offiziellen Angaben mit 1.538 Todesfällen am Arbeitsplatz eine Zunahme von 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gegeben. Dieser Trend habe sich im ersten Quartal 2021 mit einer Zunahme von 9.3 Prozent tödlichen Arbeitsunfällen gegenüber dem Vorjahr weiter gesteigert. Berechnet auf das erste Halbjahr 2021 registrierte INAIL insgesamt 444 tödliche Arbeitsunfälle. Das seien mehr als zwei tödliche Vorfälle täglich. Aber das, so wird eingeschränkt, seien nur die offiziellen Angaben, die Dunkelziffer werde höher geschätzt.

Besonders hoch sind laut dem Observatorium für Arbeitssicherheit Vega Engineering die Arbeitsunfälle im Transportsektor, wo es im ersten Halbjahr 2021 mindestens 40 tödliche Arbeitsunfälle gab. In der Industrie seien es 41 gewesen, im Bauwesen mit 51 die höchsten. Auch hier dürften die tatsächlichen Zahlen noch höher liegen.

Zu den Ursachen zitiert INAIL aus Untersuchungsberichten eine mangelnde Durchsetzung von Sicherheitsvorschriften, ein hohes Arbeitstempo und vermehrte Schwarzarbeit. So wurden 2020 bei der Kontrolle von 7.486 Unternehmen in 86 Prozent der untersuchten Fälle Verstöße gegen den Arbeitsschutz oder fehlende Arbeitsverträge (Schwarzarbeit) aufgedeckt. Zur Kontrolle stünden nicht genügend Kräfte zur Verfügung. Das nationale Arbeitsinspektorat, dem diese Aufgaben obliegen, sei von 246 Inspektoren 2020 sogar um 21 Mitarbeiter reduziert worden.