Ausland20. Juli 2020

»Wir hoffen alle auf Veränderung«

Am Sonntag fanden in Syrien Parlamentswahlen statt

Am späten Sonntagabend sind die Wahlen für das syrische Parlament zu Ende gegangen. Die Öffnungszeiten der Wahlzentren war bis 23 Uhr verlängert worden. Anschläge und schwierige Lebensverhältnisse in Syrien überschatteten den Urnengang.

Eigentlich waren die syrischen Parlamentswahlen für April 2020 vorgesehen. Wegen der drohenden Gefahr einer Coronavirus-Pandemie waren sie zunächst auf Ende Mai und schließlich auf den 19. Juli 2020 verschoben worden. 1.658 Kandidatinnen und Kandidaten aus den 16 syrischen Provinzen waren angetreten, um einen der 250 Sitze im Parlament in Damaskus zu gewinnen. Landesweit waren nach Angaben der Wahlkommission mehr als 7.400 Wahlzentren geöffnet, darunter 1.400 Wahlzentren für Angehörige der syrischen Streitkräfte, die landesweit noch im Einsatz sind. Inlandsvertriebene und ursprüngliche Bewohner der Provinzen Rakka und Idlib konnten dort wählen, wo sie aktuell leben.

Auslandsopposition, SDF und Dschihadisten gegen die Wahlen

Die Provinz Rakka wird derzeit noch von den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) kontrolliert, die wiederum von US-amerikanischen Besatzungstruppen unterstützt wird. Lokman Ahmi, Sprecher der »Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien« erklärte vor Journalisten in Qamishly im Norden Syriens, die Parlamentswahlen hätten »keine Bedeutung für die Autonome Verwaltung«, es werde »keine Wahlurnen geben«

Ähnlich wie die von SDF-Kräften kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens, werden auch die nördlichen Gebiete der Provinz Idlib nicht von der syrischen Regierung kontrolliert. Dort haben Dschihadisten um die als terroristische Organisation gelistete »Hayat Tahrir al Sham« das Sagen, die von Tausenden Soldaten der türkischen Besatzungstruppen unterstützt werden. Im Norden der Provinz Aleppo und im Nordosten Syriens stärkt die türkische Armee verbündeten oppositionellen Kämpfern den Rücken.

Westliche Kommentatoren und syrische Oppositionelle bezeichneten die Wahl als »Farce«. Der in Deutschland lebende Anwalt und selbsternannte »Menschenrechtler« Anwar al-Bunni äußerte seine Kritik ausführlich gegenüber der Deutschen Presse Agentur (dpa). Syrien werde nicht von der Regierung und Präsident Bashar al Assad regiert, sondern »von lokalen Milzen, Warlords und reichen Geschäftsleuten«. Die Wahlen sollten »Assads autoritäre Herrschaft verbergen«, hieß es in einem dpa-Bericht, der Al-Bunni mit den Worten zitierte: »Diese Wahl ist ein Witz.«

Die Wahlen als Recht und eine Verantwortung

In Syrien sieht man das anders. Aufgrund der schwierigen ökonomischen Umstände im Land könnten die Wahlen durchaus als unzulänglich angesehen werden, sagt George Jabbour von der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen im Gespräch mit der Autorin. Unter den gegebenen Umständen habe man aktuell nur zwei Möglichkeiten: »Entweder man führt die Wahlen durch oder man sagt sie ab. Ich finde es richtig, die Wahlen durchzuführen.«

Die Umstände seien nicht nur wegen der Wirtschaftskrise schwierig, viele Syrer seien gar nicht im Land, andere lebten in Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle und könnten die Wahlzentren möglicherweise nicht erreichen. Dann gebe es weiterhin die Gefahr des Coronavirus, weswegen die Grenzen noch immer geschlossen seien.
Die Möglichkeiten in Syrien seien begrenzt und er könne es nachvollziehen, wenn manch einer die Rechtmäßigkeit in Frage stellen wolle. »Diese Wahlen entsprechen der Situation, in der sich Syrien befindet, und es ist immer noch besser, die Wahlen stattfinden zu lassen als nicht.« Zudem seien sie legal, weil die reguläre Amtszeit des Parlaments abgelaufen sei, argumentierte der Historiker, der Syrien zwischen 2002 und 2009 im UNO-Menschenrechtsrat in Genf vertrat.

George Jabbour ging davon aus, daß die Liste der Baath Partei – die landesweit in allen gesellschaftlichen Institutionen fest verankert ist – »ohne Zweifel die meisten Stimmen erhalten wird«. Die Erwartung der Bevölkerung, egal für wen sie stimmen würden, sei aber landesweit die gleiche: »Ob von den Kandidaten, den Parteien oder von der Regierung, alle erwarten, daß die Lage in Syrien sich verbessert«, so George Jabbour. »Wir hoffen alle auf Veränderung.« Gleichwohl sei klar, daß eine Verbesserung der Situation in Syrien »nicht ausschließlich in der Hand der Regierung liegt«.

Innersyrische Opposition weist Sanktionen und Druck aus dem Ausland zurück
Oppositionelle in Damaskus, die namentlich nicht genannt werden wollten, bezeichneten im Gespräch mit der Autorin die Lage in Syrien als außerordentlich schwierig. Politisch habe sich in den letzten Jahren nichts geändert. Die Dominanz der Baath Partei lasse anderen politischen Parteien oder auch unabhängigen Kandidaten bis auf zwei oder drei Sitze im Parlament keinen Raum, sagte ein Gesprächspartner. Für die Bevölkerung stünden allerdings wirtschaftliche Fragen im Vordergrund. Die Sanktionen der USA und der EU drohten Syrien und seine Nachbarn zu erdrosseln.

Ein anderer Gesprächspartner meinte, er werde nicht wählen gehen, weil »keine der Kandidatinnen oder Kandidaten mich überzeugt hat«. Die Kritik der syrischen Auslandsoppositionellen an den Wahlen wies die Person zurück. »Sie machen sich gemein mit den Interessen des Auslands gegen uns. Wir, die Menschen in Syrien, interessieren diese Leute gar nicht.«

Die oppositionelle Syrische Soziale Nationalistische Partei, SSNP stellte keine Kandidaten auf und trat nicht zu den Wahlen an. Gleichwohl halte er die Wahlen grundsätzlich für richtig, sagte Elia Samman, langjähriger Berater des SSNP-Parteivorsitzenden Ali Haidar im Gespräch mit der Autorin. »Es entspricht der Verfassung, die Amtszeit des Parlaments ist abgelaufen.« Samman hob die schwierige ökonomische Lage in Syrien hervor. Die monatlichen Angestelltengehälter seien aufgrund der hohen Inflation und der Wirtschaftskrise auf umgerechnet 25 bis 35 US-Dollar geschrumpft. Keine Familie könne damit einen Monat überleben. Zum Glück würden weiterhin Grundnahrungsmittel von der Regierung staatlich subventioniert. »Wir sind ein reiches Land und wenn man uns in Ruhe ließe, würde es uns bald viel besser gehen. Aber unser Öl und das Gas, die Baumwolle und der Weizen sind in den Händen der Kurden und der USA. Unser Olivenöl wird von den Türken gestohlen.«

Auch die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa bekräftigte die Bedeutung der syrischen Parlamentswahlen. In der schwierigen Situation, in der Syrien sich aktuell befinde, halte Moskau es für »wichtig, daß alle Institutionen von Legislative und Exekutive in Syrien weiter normal arbeiten«, sagte sie am vergangenen Donnerstag bei ihrer wöchentlichen Pressekonferenz. Damit könne die Stabilität des Landes erhalten werden. Maria Sacharowa bezeichnete die Lage in den Gebieten von Idlib und in der Euphrat-Region, die nicht unter Regierungskontrolle stehen, als »angespannt«.

Karin Leukefeld

1.658 Kandidatinnen und Kandidaten aus den 16 syrischen Provinzen bewarben sich um einen der 250 Sitze im Parlament. Wahlplakate in Damaskus (Foto: LOUAI BESHARA/AFP)