Ausland06. Mai 2021

Vor dem Jahrestag der Ermordung Aldo Moros

Durchschaubares Manöver

Auslieferung von früheren Mitgliedern der Roten nach Italien durch Macron vertuscht Rolle der CIA

von Gerhard Feldbauer

Eine reichliche Woche vor dem Jahrestag der Ermordung des Führers der Democrazia Cristiana (DC), Aldo Moro, am 9. Mai 1978, hat der französische Präsident Macron entschieden, daß die Justizbehörden den Anträgen Italiens nach Auslieferung von früheren Mitgliedern linksextremer Organisationen wie der Brigate Rosse, stattgeben sollen. Sieben von ihnen seien bereits festgenommen worden, nach weiteren werde gefahndet. Zwei hätten sich der Justiz gestellt, heißt es in Medienberichten.

Frankreich hatte zahlreichen in Italien gesuchten Linksradikalen jahrzehntelang Asyl gewährt bzw. ihren Aufenthalt geduldet und Auslieferungen nach Italien abgelehnt. Der Hintergrund war, daß in Italien nach der von der CIA inszenierten Ermordung Moros Tausende Linksradikale, viele von ihnen ohne sich eines Vergehens strafbar gemacht zu haben, verfolgt und in Gefängnisse geworfen wurden. Mindestens 100.000 Personen waren von den polizeilichen Ermittlungen erfaßt, rund 40.000 wurden angeklagt, etwa 15.000 verurteilt.

Das jetzige Vorgehen Macrons ordne sich in seine Politik der Beschleunigung der »neoliberalen Agenda« ein, schrieb das kommunistische Onlineportal »Contropiano« am Montag. Mit seinem Gesetzesprojekt »Sécurité global« verfolge auch er heute »die Kriminalisierung und Unterdrückung jeglicher Form sozialer Opposition«, um »mit vorbeugenden Maßnahmen«, jede Art von »gewalttätiger Aktion« einzuschüchtern und zu schwächen. »Contropiano« verweist auf die Proteste in Paris am 1. Mai gegen Macrons Sicherheitsgesetz und gegen die geplante Auslieferung, mit der er die gegen die USA-Vorherrschaft gerichtete »Mitterand-Doktrin« aufweichen wolle.

Laut der staatlichen Nachrichtenagentur »ANSA« beginnen schon ab Mitte dieser Woche vor der Chambre de l'instruction in Paris die Verfahren, die von Fall zu Fall über das Auslieferungsersuchen Italiens entscheiden sollen.

In den Mainstream-Medien wird ausschließlich davon gesprochen, daß es sich um linksextreme Terroristen handele, die in den 70er und bis in die 80er Jahre hinein in den sogenannten »anni di piombe«, den bleiernen Jahren, Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen, Wirtschaftsmanager oder Personen des Repressionsapparates verübten. Nicht erwähnt wird, daß es sich zumeist um autonome und außerparlamentarische, radikal agierende Linke handelte, die mit ihren Aktionen der faschistischen Gefahr entgegentreten wollten.

Im Dezember 1970 war der frühere Marine-Kommandeur Mussolinis, der wegen 800-fachen Mordes an Partisanen verurteilte, dann jedoch begnadigte Kriegsverbrecher Valerio Borghese mit dem Versuch gescheitert, in einem von der NATO unterstützten Putsch wieder ein faschistisches Regime zu errichten.

Höhepunkt dieser von der CIA inszenierten Spannungsstrategie, in der Gruppierungen der radikalen Linken von der CIA und ihren italienischen Partnern unterwandert wurden, war das Mordkomplott gegen Aldo Moro, zu dem die sogenannten Roten Brigaden durch eingeschleuste Agenten angestiftet worden waren. Ziel war, die unter dem Motto »Historischer Kompromiß« angestrebte Regierungszusammenarbeit der kommunistischen Partei (PCI) mit der DC »auf jeden Fall« zu verhindern.

Obendrein befand sich diese »Neue Linke«, wie sie auch genannt wurde, bereits im Visier der CIA – vor allem aufgrund ihrer Proteste gegen den Vietnamkrieg der USA, ihrer Solidarität mit der Black-Power-Bewegung in Nordamerika, mit dem Guerillakampf im Süden des amerikanischen Kontinents, des vielerorts siegreichen bewaffneten Befreiungskampfes in Asien, Afrika und Lateinamerika, aber auch mit dem Kampf der palästinensischen Befreiungsbewegung.

Der zuständige Ausschuß des Repräsentantenhauses der USA empfahl 1968 allen Geheimdienstorganen, für ihre Aktionen stärker linksextremistische Kräfte zu nutzen. Am 18. März 1970 gab der militärische Geheimdienst der USA, Defence Intelligence Agency (DIA), zur Durchführung entsprechender Geheimdienstoperationen ein Field Manual (Feldhandbuch 30-31) heraus. Die Ziffer 30 war die Ordnungszahl der DIA und 31 der Code für Spezialoperationen. Das Handbuch enthielt detaillierte Anweisungen für die Einschleusung von Agenten in linksradikale Organisationen. Die Undercover-Agenten sollten zu gegebener Zeit Operationen – von der Provozierung von Unruhen bis zu politischen Morden – auslösen. Die »linken Gewalttaten« sollten schließlich als Vorwand genutzt werden, ein Regime der »starken Hand« zu errichten.

Zwei Jahre nach Erlaß dieser Weisung berichtete die Pariser Tageszeitung »Le Monde«, daß mindestens zehn Prozent aller Mitglieder linksradikaler Vereinigungen Agenten der Polizei und von Geheimdiensten seien.

Am 14. Juni 1975 enthüllte der Chefredakteur der römischen Wochenschrift »Tempo«, Livio Januzzi, in Rom auf einer Pressekonferenz, daß Polizeiagenten in Absprache mit der CIA als aktive Mitglieder in den Brigate Rosse tätig sind und deren Mitglieder anleiten, wie Kommandounternehmen zur Entführung und Ermordung von Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur durchzuführen sind. Die »Gefängnisse« der Brigate Rosse für entführte Personen hatte der italienische Geheimdienst vorbereit. Die in die Brigaden eingeschleusten Agenten würden in einem geheimen NATO-Stützpunkt auf Sardinien auf ihre Operationen vorbereitet, enthüllte Januzzi.

Die Ausführungen von Livio Januzzi wurden später auch durch die als seriös bekannten Geheimdienstexperten Antonio und Gianni Cipriano in ihrem Buch »Sovranità limitata. Storia dell’Eversione atlantica in Italia (Rom 1991) bestätigt.

1977 enthüllte das Mailänder Nachrichtenmagazin »Panorama« in seiner Ausgabe 571, daß CIA-Agenten getarnt als Studenten der John Hopkins University Baltimore, USA-Bundesstaat Maryland, Kontakte zur linken sozialen Bewegung »Autonomia Operaia« in Bologna aufnahmen, um dieser ihre »Erfahrungen« bei der Vorbereitung und Durchführung bewaffneter Aktionen zu vermitteln.

Im Ergebnis der von der CIA organisierten Spannungsstrategie stieg die Anzahl der Terroranschläge von 150 im Jahre 1969 bis zum Jahr 1978 auf fast 2.400 – mit Hunderten von Toten und Tausenden Verletzten.

Nach der Entführung Aldo Moros berichtete die römischen »Repubblica« am 20. März 1978, daß die fünf Männer des Personenschutzes von Moro bei dessen Entführung von einem CIA-Spezialisten erschossen wurden. Der langjährige Kommandeur der geheimen NATO-Truppe mit dem Decknamen »Gladio«, Gerardo Serravalle, bestätigte nach deren Aufdeckung 1990 nicht nur diese frühzeitige Enthüllung, sondern auch, daß Moro zeitweise auf einem Stützpunkt der »Gladio« bei Rom versteckt worden war.

Besonderes Aufsehen erregte es, als die kommunistische Zeitung »Liberazione« am 23. Oktober 2007 berichtete, der damalige Stellvertreter Moros, Giovanni Galloni habe erklärt, daß »die Vereinigten Staaten wußten, wo Aldo Moro gefangen gehalten wurde«, und zudem die Infiltration der Brigate Rosse durch die Geheimdienst-Agenten bestätigte.

Die CIA nutzte den Mord an Aldo Moro durch die von ihren Agenten gesteuerten Brigate Rosse, um gemeinsam mit ihren italienischen Komplizen einen Enthauptungsschlag gegen die Linke und vor allem gegen die Italienische Kommunistische Partei (PCI) zu führen, die als deren »Schöpfer« diffamiert wurde.

Unverzüglich richtete sich eine Welle der Repression mit aller Wucht gegen Linke und als linksradikal apostrophierte Intellektuelle. Der Hetzjagd fielen ganze Universitätsfakultäten zum Opfer. Der angesehene linke Professor Antonio Negri wurde angeklagt, Chef der Roten Brigaden zu sein und die Entführung Moros organisiert zu haben.

Angesichts dieser Repression formten revisionistische Kräfte im PCI die Partei 1990 zur sozialdemokratisch geprägten »Partei des demokratischen Sozialismus«. 2007 folgte eine Fusion mit dem katholischen Zentrum zum heutigen Partito Democratico (PD). Aber neben den zersplitterten Kommunisten gibt es auch im PD unter dem früheren Kommunisten Nicola Zingaretti immer noch starke Kräfte, die sich der von Premierminister Mario Draghi mit Faschisten gebildeten Regierung widersetzen. Der Ex-EZB-Chef, der dabei ist, Italien der EU vollständig unterzuordnen, es mit Spanien, Frankreich und Deutschland zu den »Big Four« der EU machen und dazu die letzten Linken ausschalten will, erhält mit der Auslieferung der einstigen Linksradikalen Schützenhilfe von Macron.

Ein durchaus beabsichtigter, durchschaubarer Effekt ist zudem, daß alte Fragen über die Urheberschaft und die Inszenierung der Entführung und des Mordes an Aldo Moro erneut völlig in den Hintergrund treten und die alten Anschuldigungen wieder aufgewärmt werden können, daß es »die Linksextremisten« bis hin zu den Kommunisten waren – und daß, wer da heute noch mit ihnen liebäugelt, bekämpft und ausgeschaltet werden müsse.