Ausland06. Mai 2022

Erdöl-Embargo gegen Rußland

von German Foreign Policy

EU-Kommission schlägt neue Sanktionen gegen Rußland vor. Mit massiven Preissteigerungen wird gerechnet

Die EU-Kommission schlägt ein Ölembargo gegen Rußland vor und treibt damit den Erdölpreis weiter in die Höhe. Die Pläne der Kommission, die deren Präsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch vorstellte, sehen ein zeitlich abgestuftes, zum Jahresende aber endgültig in Kraft tretendes Verbot von Erdöleinfuhren aus Rußland vor.

Experten sind sich einig, daß der Schritt den Rohstoff nicht nur innerhalb der EU, sondern weltweit verteuern wird.

Einfuhrstopp zum Jahresende

Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihre Pläne für ein umfassendes Embargo auf russisches Erdöl vorgestellt. Das Embargo ist Teil des mittlerweile sechsten Pakets von EU-Sanktionen, die gegen Rußland verhängt werden; sie umfassen daneben den Ausschluß der größten russischen Bank – der Sberbank – vom internationalen Zahlungssystem SWIFT, einen Entzug der Lizenzen für drei russische Sender und Strafmaßnahmen gegen russische Militärs, denen die EU vorwirft, im Ukraine-Krieg Verbrechen an Zivilpersonen begangen zu haben.

Das Ölembargo, das wohl am schwersten wiegt, soll zeitlich abgestuft bis Jahresende den Erwerb russischer Ölprodukte untersagen – zunächst den Kauf von Rohöl, dann auch den Import raffinierter Erdölprodukte jeglicher Art. Ungarn und die Slowakei fordern, zumindest für eine längere Zeit russisches Öl weiter einführen zu dürfen, weil ihnen – als Binnenländern – Importhäfen fehlen und weil für sie zum anderen eine Umstellung auf andere Rohölsorten außergewöhnlich teuer kommt. Inzwischen teilte Bulgarien mit, es strebe gleichfalls eine Ausnahmegenehmigung an. Tschechien wiederum wünscht eine gerechtere Verteilung der Umstellungskosten. Die nötige Zustimmung der EU-Staaten zu dem Embargo wird in Kürze erwartet.

Die Preise steigen

Experten gehen dabei von weitreichenden Auswirkungen des Embargos auf die EU-Staaten selbst aus. So werden die Treibstoff- und Heizölpreise erheblich steigen: Zum einen muß billiges russisches Erdöl durch teureres Öl etwa aus Norwegen, Britannien oder den USA ersetzt werden; zum anderen sind aufwendige Anpassungen bei der Infrastruktur erforderlich. So müssen ausfallende Pipelinelieferungen durch kostspieligere Schiffsimporte ausgeglichen werden. Hinzu kommen aufwendige Anpassungsmaßnahmen an Raffinerien, die auf die ganz besondere chemische Zusammensetzung des russischen Erdöls ausgerichtet sind.

In einem aktuellen Bericht des deutschen Wirtschaftsministeriums heißt es, mit »regionalen temporären Mangelsituationen« sei zu rechnen: »In der Folge dürften die inländischen Kraftstoff- und Heizölpreise weiter steigen.« Von Benzinpreisen in Höhe von zeitweise bis zu drei Euro pro Liter ist die Rede.

Zu Lasten der Ärmsten

Die Auswirkungen sind dabei nicht auf die Staaten der EU und Nordamerikas beschränkt, die mit ihren Sanktionen Rußland in die Knie zu zwingen suchen. Der Anstieg des Ölpreises ist global; bereits am Mittwoch schnellte er in Reaktion auf die Ankündigung des Embargos in die Höhe. Damit trifft die Embargopolitik der EU vor allem ärmere Länder in aller Welt, die für Energierohstoffe immer mehr Geld ausgeben müssen – dies zusätzlich zu den kriegs- und sanktionsbedingt gestiegenen Nahrungsmittelpreisen.

Die Entwicklung beschäftigt auch die Bundesregierung, allerdings nur, weil sie Anreize bietet, trotz aller westlichen Drohungen russisches Öl zu kaufen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck etwa wurde mit folgendem Einwand beim Treffen der EU-Energieminister am vergangenen Montag zitiert: »Was ist, wenn die [Repräsentanten ärmerer Länder, d.Red.] dann sagen: Europa und die USA haben die Preise nach oben getrieben und unsere Armut verschärft – und dann kommt Putin und sagt: Ich helfe euch raus, mit Discount. Ich will nur politische Solidarität«. Tatsächlich bietet Moskau schon heute russisches Öl zu verbilligten Preisen an; zu den Ländern, die es kaufen, gehört auch Indien.

Rußland profitiert

Dem entspricht, daß die russischen Erdölexporte im vergangenen Monat nicht gefallen, sondern vielmehr gestiegen sind. So lagen die Ölausfuhren in Länder jenseits der ehemaligen Sowjetunion in den ersten vier Aprilwochen bei 4,88 Millionen Barrel pro Tag – über zwei Prozent mehr als im März. Dabei zeichnete sich eine deutliche Verschiebung ab. Gingen ursprünglich, vor dem Ukraine-Krieg, um die 50 Prozent aller russischen Erdgasexporte nach Europa, so floß im April der größere Teil der Erdöllieferungen nach Asien, vor allem nach Indien und nach China.

Europäische Rohstoffhändler haben angekündigt, sich noch im Mai aus dem Geschäft mit russischem Erdöl zurückzuziehen. Allerdings ist unklar, inwieweit dies die Lieferungen in asiatische Staaten tangiert. In Verbindung mit dem drastischen Anstieg der Öl- und Gaspreise ist es Rußland seit Kriegsbeginn sogar gelungen, seine Einnahmen aus dem Export fossiler Brennstoffe deutlich zu erhöhen. Laut einer Studie des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) mit Sitz in Helsinki verdienten russische Firmen mit der Ausfuhr von Öl, Gas und Kohle in den ersten beiden Kriegsmonaten insgesamt 62 Milliarden Euro; 44 Milliarden davon zahlten EU-Staaten – fast doppelt so viel wie im Vorjahr, als sie in zwei Monaten rund 24 Milliarden Euro für russische Energierohstoffe ausgaben.

Extraterritoriale Sanktionen

Da die Embargopolitik – gemessen am Ziel Berlins und der EU, Rußland materiell zu schädigen bzw. zu »ruinieren« (Außenministerin Annalena Baerbock) – zu scheitern droht, ist bereits seit geraumer Zeit die Einführung extraterritorialer Sanktionen im Gespräch. Dabei handelt es sich um Sanktionen, wie sie die USA exemplarisch gegen den Iran verhängt haben; sie zielen darauf ab, Unternehmen aus allen Ländern weltweit vom Kauf russischen Erdöls abzuhalten, indem sie ihnen mit sehr empfindlichen Strafen in den USA drohen. Bereits Mitte April hatte die stellvertretende USA-Außenministerin Wendy Sherman erklärt, »manchmal« seien extraterritoriale Sanktionen »als Zwangsmittel notwendig« – und sie seien es gewiß in diesem Fall.

Mit extraterritorialen Sanktionen bedroht müßten dann allerdings auch Staaten wie der NATO-Staat Türkei oder Indien, das trotz massiven Drucks aus dem Westen nach wie vor an der Wirtschaftskooperation mit Rußland festhält. Ob sich dies bewerkstelligen läßt, ohne die eigenen Bündnisstrukturen unvorteilhaft zu schädigen, ist völlig unklar.