Ausland24. September 2024

Israel trägt schmutzigen Gaza-Krieg in den Libanon

Hisbollah greift militärisch-industriellen Komplex Israels an

von Karin Leukefeld

Nach den Angriffen des israelischen Mossad mit manipulierten Kommunikationsgeräten in der vergangenen Woche forderte der Libanon eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrates, die auf Antrag Algeriens, einem nicht-ständigen Mitglied im Sicherheitsrat, am Freitag stattfand.

Der UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk nannte die Angriffe »eine neue Entwicklung der Kriegsführung. Kommunikationsgeräte werden Waffen«. Zeitgleich tausende Menschen durch die manipulierten Geräte anzugreifen, ohne zu wissen, wer das jeweilige Gerät benutze, sei ein Verstoß gegen das internationale humanitäre Recht. Die »tragische Situation« dürfe nicht isoliert gesehen werden, denn sie hänge direkt mit dem Krieg in Gaza und der anhaltenden israelischen Besatzung von palästinensischem Territorium zusammen.

Türk forderte einen sofortigen Waffenstillstand, humanitäre Hilfe für die Bevölkerung im gesamten Gazastreifen, die bedingungslose Freilassung aller Geiseln in Gaza und ein Ende der willkürlichen Inhaftierung von tausenden Palästinensern durch Israel. Entsprechend der Rolle der UNO forderte Türk sowohl Israel als auch die Hisbollah auf, die Feindseligkeiten zu reduzieren. Unerwähnt blieb, daß die Hisbollah wiederholt ein Ende ihrer »Unterstützungsfront« erklärt hat, sobald es einen Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel im Gazastreifen gibt.

Die Büchse der Pandora öffnen

Der libanesische Außenminister Abdallah Bou Habib sagte, nach diesen »abgründigen« elektronischen Angriffen sei »niemand mehr sicher in dieser Welt«. Sollte der UNO-Sicherheitsrat diesen Terrorangriff nicht als solchen benennen und den Verursacher verurteilen, stehe die Glaubwürdigkeit des Gremiums auf dem Spiel. »Wenn man so ein Vorgehen akzeptiert, öffnet man die Büchse der Pandora«, betonte Bou Habib. Staaten und extremistische Gruppen werden dem Beispiel folgen und Zivilisten in aller Welt mit tödlicher Technologie angreifen.

Seit 1948 habe Israel keine Resolution des UNO-Sicherheitsrats befolgt, so sei aus dem Land ein »Schurkenstaat« geworden, der den ganzen Mittleren Osten mit Krieg überziehen werde. Er forderte den Sicherheitsrat auf, Israel zu verurteilen, das die Souveränität des Libanon verletzt hat. Der syrische Botschafter bei der UNO betonte, daß die Staaten, die Israel unterstützten, volle Verantwortung für dessen Aggression tragen. Die brutalen israelischen Angriffe seien für die arabischen Länder nicht neu. Neu sei allerdings die Manipulation von modernen technischen Geräten, die den Menschen nutzen sollten, zu tickenden Zeitbomben.

Der israelische Botschafter forderte den Sicherheitsrat auf, Hisbollah und die iranischen Revolutionsgarden zu »Terrororganisationen« zu erklären. Dem libanesischen Außenminister warf der er vor, »einer Terrororganisation erlaubt zu haben, einen Staat innerhalb des Libanon« gegründet zu haben. Israel werde sich »verteidigen« und nicht zulassen, daß »die Hisbollah libanesisches Territorium als Abschußrampe für Gewalt« benutzt. Die Vertretung der USA stellte sich erneut hinter Israel, das »sich gegen die täglichen Angriffe verteidigen« müsse, Malta forderte eine Untersuchung. Rußland regte ein internationales Gesetzt gegen die Nutzung von Alltagsgegenständen als Waffen an, China forderte, wie auch der Iran eine Verurteilung Israels.

Vier Raketen auf Wohnhaus in Beirut

Eine Entscheidung gab es nicht. Am Abend des gleichen Tages bombardierte die israelische Luftwaffe ein mehrstöckiges Wohnhaus im dicht bewohnten Süden von Beirut mit vier Raketen und brachte das Haus zum Einsturz. Dutzende Menschen wurden verschüttet. 15 Angehörige der Hisbollah wurden tot geborgen, darunter zwei hochrangige Kommandeure. Die Zahl der Toten stieg im Laufe der Bergungsarbeiten auf 51, darunter auch Frauen und Kinder. Zehn Personen wurden am Montag noch vermißt. Am Wochenende flogen israelische Kampfjets teilweise im Minutentakt Angriffe auf den Süden des Libanon und feuerten nach eigenen Angaben auf hunderte angebliche Raketenabschußrampen der Hisbollah.

Die Hisbollah reagierte am Samstag mit elf Angriffen, bei denen militärische Stellungen im Norden Israels und auf den besetzten und annektierten Golanhöhen getroffen wurden. Am frühen Sonntagmorgen wurden erstmals schwere Raketen der Hisbollah eingesetzt. Deren Ziel war bei zwei Angriffen die israelische Luftwaffenbasis Ramat David bei Haifa. Ein dritter Angriff galt dem militärischen Rüstungskomplex der Firma Rafael, die auf die Produktion elektronischer Geräte und Ausrüstung spezialisiert ist. Die Firma im Norden von Haifa (Zevulun) sei mit Dutzenden Fadi 1, Fadi 2 und Katjuscha-Raketen getroffen worden, hieß es in der dazugehörigen Erklärung. Es handele sich um eine »vorläufige Antwort auf das brutale Massaker, das der Feind Israel in verschiedenen Gebieten des Libanon am Dienstag und Mittwoch verübt« habe.

Die vielen israelischen Arten von Krieg

Mitte der Woche hatte Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah, nach den israelischen Massenangriffen auf Libanesen über manipulierte Kommunikationsgeräte Israel Vergeltung angekündigt. Die »feigen Angriffe« hätten die Hisbollah und Unterstützer in ihrem Alltag getroffen, nicht mit der Waffe in der Hand an der Front. Die Hisbollah sei geschwächt, werde aber gestärkt aus dem Angriff hervorgehen. Israel werde mit schärferen Reaktionen rechnen müssen. Nasrallah wandte sich direkt an Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und an Kriegsminister Yoav Gallant und erklärte erneut, die Front im Libanon werde nicht ruhig werden, solange die Aggression gegen Gaza nicht stoppt.

Israels Militärsprecher Daniel Hagari erklärte vor Journalisten, daß neben den massiven Luftangriffen auf den Südlibanon auch ein Truppeneinmarsch nicht ausgeschlossen sei. Die israelische Armee kündigte Luftangriffe auf Gebäude an, in denen die Hisbollah angeblich Waffen versteckt haben soll. Die libanesische Zivilbevölkerung wurde aufgerufen, die Gebiete umgehend zu verlassen.

Beobachter bewerteten die Aussagen Hagaris als »klassisches Beispiel für psychologische Kriegsführung«. Israel wende das gleiche Muster im Gazastreifen und im besetzten Westjordanland an, schrieb der jordanische Journalist Zein Basravi. Die Bevölkerung solle verunsichert und das Ausland darauf hingewiesen werden, daß die politischen und militärischen Führer die Bevölkerung als »menschliche Schutzschilde« benutzten. Damit »verschleiert die israelische Armee ihre eigene Aggression« gegenüber der Bevölkerung, so Basravi.

Zu Beginn der offiziellen UNO-Generaldebatte am Montag warnten zahlreiche Politiker erneut vor einem regionalen Krieg, der durch einen israelischen Krieg gegen den Libanon ausgelöst werden könne. Der ägyptische Außenminister Badr Abdelatty forderte einen Waffenstillstand in Gaza, der alle Fronten beruhigen werde.

Der amtierende libanesische Ministerpräsident Najib Mikati sagte seine Reise zur UNO ab. Bei einer Dringlichkeitssitzung der Regierung in Beirut sagte Mikati, die internationale Gemeinschaft und das menschliche Gewissen müßten »eine klare Position zu den grauenhaften Massakern einnehmen«, die im Libanon verübt worden seien. Internationales Recht müsse aktiviert werden, um zivile Technologie davor zu schützen, als Waffe eingesetzt zu werden. Alles müsse getan werden, »um die vielen Arten von Kriegen, die der Feind Israel verübt, zu stoppen«, so Mikati.

Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hat seine Reise zur UNO verschoben. Aktuell soll er nun statt erst am Mittwoch nach New York reisen. Medien berichten allerdings aus Kreisen seiner Mitarbeiter, daß er vermutlich erst am Freitag in New York sprechen wird. Beobachter erwarten, daß viele Staatenvertreter den Plenarsaal der UNO aus Protest gegen Israels Kriege verlassen werden, wenn Netanjuahu ans Rednerpult tritt.

Karin Leukefeld