Hochrisikotechnologie in direkter Nachbarschaft
Französische Atomzentrale Cattenom produziert noch mindestens ein weiteres Jahrzehnt Atomstrom, Reaktorpannen und radioaktiven Müll
Seit dem 13. November 1986 werden im gerade einmal neun Kilometer von der Grenze und 25 Kilometer von Luxemburg-Stadt entfernten französischen Cattenom Atomstrom, Reaktorpannen und radioaktiver Müll produziert. An jenem Tag ging der erste Reaktorblock der Atomzentrale in Betrieb. Wie die drei anderen Blöcke, die zwischen 1987 und 1991 ans Netz gingen, sollte er maximal 40 Jahre laufen. Demnach wäre Ende nächsten Jahres endlich der Anfang vom Ende dieser Hochrisikotechnologie in unserer direkten Nachbarschaft eingeläutet worden, dann müßte zumindest der erste Reaktorblock in Cattenom für immer abgeschaltet werden. Doch der rechtsliberale französische Präsident Macron wollte es anders und die Aufsichtsbehörde ASN entschied, wie es von ihr im Élysée erwartet wurde: Trotz ständiger Pannen sollen das AKW Cattenom und 19 weitere Nuklearanlagen noch mindestens zehn weitere Jahre in Betrieb bleiben.
Die luxemburgische Sektion von Greenpeace hat die Entscheidung der ASN als inakzeptabel kritisiert. Selbst wenn der Betreiberkonzern EDF in Cattenom wie gefordert nachbessere und Materialien erneuere, blieben grundlegende Sicherheitsprobleme bestehen, wird Roger Spautz nicht müde zu betonen. Dazu gehörten zum Beispiel fehlende Backups der Sicherheitssysteme für den Störfall. Grundsätzlich, so der Leiter der Antiatomkraftkampagne von Greenpeace Luxemburg, könnten die Uraltmeiler nie das Sicherheitsniveau eines »Europäischen Druckwasserreaktors der neuen Generation« (EPR2) erreichen. Grundlegende Planungsmängel, wie beispielsweise der völlig unzureichende Schutz gegen einen Flugzeugabsturz, blieben bestehen, gleiches gelte für die befürchtete Materialermüdung und Probleme mit der mechanischen Stabilität der Reaktordruckbehälter sowie für die seit Jahren beobachtete Spannungsrißkorrosion. Neben der Laufzeitverlängerung für 40 Jahre alte Reaktoren plant die französische Regierung den Neubau von mindestens sechs EPR2-Reaktoren.
Dabei hatte es 2020, als im Februar und Juni die zwei dienstältesten Reaktoren von Fessenheim stillgelegt wurden, womit das AKW im Elsaß endgültig vom Netz ging, so gut ausgesehen. Doch mit der Entscheidung zur Laufzeitverlängerung ist die in unserer Großregion erhoffte Stillegung von Cattenom erneut in weite Ferne gerückt.
Doch gerade angesichts der Klimakrise birgt die Atomzentrale Cattenom wegen ihrer altertümlichen Bauweise und ihrer geographischen Lage unkalkulierbare Risiken. Einer Studie von Greenpeace Frankreich zufolge könnten zum Beispiel starke Regenfälle den aufgestauten Lac du Mirgenbach überlaufen lassen und das Gelände der Atomzentrale überschwemmen. Dann könnten die Notstromgeneratoren in den Untergeschossen ausfallen, was die unablässig notwendige Kühlung der Reaktordruckbehälter gefährden könnte. Die Sicherheit der Atomzentrale könnte auch durch längere Trockenheit gefährdet werden, da für die Reaktorkühlung große Mengen Moselwasser gebraucht werden.
Zu Bedenken ist außerdem, daß auch beim EPR2 in Flamanville auf der französischen Seite des Ärmelkanals schon kurz nach seiner Inbetriebnahme im Sommer 2024 (statt wie geplant 2012) »sicherheitsrelevante Bauteile« ausgetauscht werden mußten. Sollte Cattenom also auf Grundlage eines mangelhaften Standards »modernisiert« werden, würde das zwangsläufig zu neuen Schwachstellen führen, die das Leben und die Gesundheit von Millionen von Menschen in der Großregion bedrohen.