Leitartikel13. August 2021

Sie streiken wieder

von Christoph Kühnemund

Das Gejammer in den neoliberalen und konservativen Gazetten ist mal wieder groß, TV-Reporter lassen erboste Zugreisende ins Mikro keifen, und allenthalben wird berichtet, wie schlimm es gerade in diesen Zeiten sei, daß die böse Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) mit ihrem noch böseren Chef Claus Weselsky ausgerechnet jetzt streiken muß.

Es sei schließlich Hochwasser und außerdem paßt es gerade gar nicht, und dann ist ja auch noch Corona. Dabei hatten sich weder die DB noch die politisch Verantwortlichen seit Anbeginn der Krise nennenswert Sorgen darum gemacht haben, daß Berufspendler in proppenvollen Zügen zur Arbeit fahren mußten, während sie sich privat zweitweise im Freien nicht mit Einzelpersonen aus zwei anderen Haushalten treffen durften. Auch das gesundheitliche Schicksal der Bahn-Bediensteten war den Verantwortlichen freundlich gesagt egal.

Streiks sind dem deutschen Michel ohnehin seit jeher ein Dorn im Auge. Diese Haltung wird nicht nur allein vom Pistolenblatt mit den vier großen Buchstaben befeuert, aber am meisten. Wir erinnern uns noch genau an den letzten großen Streik und die Bloßstellung Weselskys auf der Titelseite, was Drohungen und anderes Unschöne nach sich zog.

Der Vorstand der DB ist nicht bereit, Nachsicht zu üben und verweist auf die Pandemie, in welcher die Bahnangestellten doch aber im vergangenen Jahr als systemrelevant bezeichnet wurden. Während man sich in der Chefetage selbst rund 500 Millionen Euro an Boni in der Krise ausschüttet, sollen sich die Angestellten in diesem zweiten Pandemiejahr eine dünne Null aufs Brot schmieren und ab dem kommenden Jahr sage und schreibe 1,5 Prozent mehr Lohn erhalten, was umgehend von der Inflation kassiert wird. Darüber hinaus sollen sogar Verschlechterungen bei den Betriebsrenten und den Arbeitszeiten durchgesetzt werden.

Natürlich sind die GDL und ihr Chef keine Revolutionäre, doch wagen sie etwas, das sich in Deutschland nach öffentlicher Meinung nicht gehört: Einen Arbeitskampf. Und dies zum wiederholten Male, während in anderen Branchen die Sozialpartnerschaft so faulig ist, daß sie aus den Gullis hochsteigt. Dazu zählen auch die Chefs der EVG (Eisenbahner- und Verkehrsgewerkschaft). Sie sind nun sauer, weil ihre Nullrunden-Vereinbarungen auf immer weniger Akzeptanz stoßen und die GDL im Sektor mehr und mehr Sympathie erntet.

Der Kampf der Lokführer in Deutschland mag viel Unmut verursachen, weil mancher gerne ein paar Tage in den Urlaub fahren möchte oder nun Unannehmlichkeiten auf dem Weg zur Arbeit ertragen muß. Dennoch sollte dies nicht in einer Anti-Haltung münden, wie sie gerne im einschlägigen Blätterwald und in TV-Berichten, die nicht auf die Hintergründe eingehen wollen, erzeugt werden wollen.

Die Lokführer haben eine starke Basis, die einen solchen Kampf erst möglich macht. Andere Sektoren haben so etwas nicht oder die falschen Personen an ihren Hebeln. Darum gilt in jeder Branche und erst recht in den seit Corona systemrelevanten Bereichen: Organisation ist wichtig. Denn eine Gewerkschaft kann mit breiter Brust auftreten, wenn sie ihre Basis stark hinter sich weiß.