Ausland01. Juli 2023

Neutralität in Gefahr

Irland soll durch die Hintertür der NATO beitreten

von Niall Farrell

Irlands Präsident Michael D. Higgins, de facto Staatsoberhaupt, nimmt vor allem zeremonielle Aufgaben wahr. Seine offizielle Rolle besteht unter anderem darin, die Verfassung des Landes zu schützen. Nun hat sich Higgins zum Entsetzen der Establishment-Medien in Regierungsgeschäfte eingemischt: Er machte Pläne öffentlich, diese Verfassung zu unterminieren und durch die Hintertür der NATO beizutreten.

Die regierende konservative Koalition will den Krieg in der Ukraine nutzen, existierende Kontrollen zum Einsatz irischer Militärs in Konfliktherden abzuschaffen. Diese Kontrollen bestehen im sogenannten »triple lock« (Dreifach-Riegel). Laut Gesetz dürfen nur dann mehr als zwölf Militärs an überseeischen Operationen in friedenserhaltender Funktion teilnehmen, wenn ein solcher Einsatz von Regierung, Parlament sowie von der UNO genehmigt wird. Vor allem die Genehmigung durch die UNO soll abgeschafft werden. Das würde bedeuten, daß irische Armeeangehörige künftig von EU und NATO in deren Interesse in Konfliktregionen eingesetzt werden können.

Higgins warnte vor einem »Driften in die NATO« und sprach sich für die Verteidigung von Irlands Außenpolitik als von »positiver Neutralität« bestimmt aus. Sein Eingriff in die Debatte erfolgte im Kontext des von der Regierung initiierten Beratenden Forums zur internationalen Sicherheitspolitik mit Podiumsdiskussionen über die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Bestürzend sei, so Higgins, daß vor allem ausgewählte Militärs an dem Forum teilnähmen und Louise Richardson, Dame Commander of the British Empire, den Vorsitz habe. Ausgeschlossen seien hingegen Vertreter neutraler Länder wie Österreich und Malta sowie irische Neutralitätsexperten.

Artikel 29 der irischen Verfassung unterstreicht im Hinblick auf die internationalen Beziehungen »Irlands Verpflichtung zu Frieden und freundschaftlicher Zusammenarbeit auf der Grundlage internationaler Gerechtigkeit«, sein »Festhalten an dem Grundsatz der friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten« sowie die »anerkannten Grundsätze des Völkerrechts als Verhaltensregel in seinen Beziehungen zu anderen Staaten«.

Meinungsumfragen aus den letzten Jahren bekräftigen, daß 80 Prozent der irischen Bevölkerung die »positive Neutralität« beibehalten wollen. Die jüngste Umfrage vom Juni dieses Jahres, die von IPSOS für »The Irish Times« durchgeführt wurde, ergab, daß nur 14 Prozent der Menschen in Irland bereit wären, der NATO beizutreten. Die Regierung, die Medien, die Universitäten (insbesondere die in die EU eingebetteten Jean-Monnet-Dozenten), die Denkfabriken und die EU arbeiten hingegen zusammen, um das irische Volk zu täuschen, zu manipulieren und zu bedrohen, damit es sich an Kriegen beteiligt und letztendlich der NATO beitritt.

Kritiker und Aktivisten fordern die Einberufung einer öffentlichen Bürgerversammlung, um diese Fragen zu beraten und die Neutralität des Landes in der Verfassung festzuschreiben. Bürgerversammlungen, die aus 99 – nach dem Zufallsprinzip ausgesuchten – in Irland lebenden Menschen bestehen, erörtern gravierende rechtliche und politische Fragen. In den letzten zehn Jahren haben sich die Bürgerversammlungen zu einem wesentlichen Teil des irischen demokratischen Prozesses entwickelt und spielen eine entscheidende Rolle in der breiten öffentlichen Debatte.

Die Mitglieder der Versammlungen prüfen unterschiedliche Ansichten, berücksichtigen Berichte und Studien sowie Erfahrungen in anderen Ländern, hören Experten und beziehen auch die Erfahrungen von Betroffenen mit ein. Das führt zu einer Reihe von Empfehlungen, die von Regierung und Parlament zu berücksichtigen sind. Zu bedeutsamen Themen gehörten zum Beispiel die gleichgeschlechtliche Ehe sowie die Ermöglichung von Schwangerschaftsabbrüchen.

Die Partei Sinn Féin, die aller Voraussicht nach die nächste Regierung anführen wird, spricht sich ebenfalls dafür aus, die Neutralität in der Verfassung zu verankern.

Die irische Neutralität wird bereits seit vielen Jahren unterminiert. Dazu gehört zum Beispiel die verfassungswidrige Nutzung des Flughafens in Shannon, über den das USA-Militär seit 2001 seine Flüge in seine Angriffskriege im Nahen Osten leitete.