Leitartikel29. Februar 2024

Mit Rüstungsfonds zur »Kriegswirtschaft«

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Als das Norwegische Nobelkomitee der EU vor zwölf Jahren völlig ironiefrei den Friedensnobelpreis zuerkannte, hieß es zur Begründung, der Staatenbund habe bis 2012 »seit über sechs Jahrzehnten zur Förderung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa beigetragen«. Daß dem noch nie so war, steht auf einem anderen Blatt. Doch als »Zivilmacht« wird die EU schon lange nicht mehr tituliert, vielmehr spricht der von Frankreich gestellte Industriekommissar Thierry Breton in letzter Zeit immer öfter von der Notwendigkeit des Aufbaus einer EU-europäischen »Kriegswirtschaft«.

Der seit Dezember 2019 unter der deutschen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen amtierende ehemalige Konzernmanager Breton ist der erste EU-Kommissar für Industrie und Binnenmarkt, der zugleich der neugeschaffenen »Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum« vorsteht.

Daß der Franzose und nicht etwa EU-Europas »Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik«, Josep Borrell, für die vielen neuen Rüstungstöpfe zuständig ist, ergibt sich aus dem Umstand, daß es die »Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union« ausdrücklich verbietet, daß für »Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen« auf das reguläre EU-Budget zurückgegriffen wird. Zur Umgehung dieses Verbots wurden fast alle neuen Rüstungstöpfe der Industriepolitik zugeordnet.

Außerdem basieren fast alle neuen Militärbudgets auf der zumindest fragwürdigen Annahme, eine Konzentration des aktuell noch auf die EU-Staaten verteilten EU-europäischen Rüstungssektors würde mit erheblichen Effizienzsteigerungen einhergehen. Im Zentrum steht der EU-»Verteidigungsfonds«, ein für die Jahre 2021 bis 2027 mit zunächst acht Milliarden Euro befüllter Topf, der kürzlich um anderthalb Milliarden Euro aufgestockt wurde. Als Industriepolitik deklariert, werden über ihn die Erforschung und Entwicklung länderübergreifender Aufrüstungsprojekte aus dem EU-Budget finanziert.

Zusätzlich stellt die außerhalb des EU-Budgets angesiedelte »Friedensfazilität« aktuell zwölf Milliarden Euro vor allem für Waffenlieferungen an die Ukraine bereit. Voriges Jahr kamen dann noch die Programme zur Ankurbelung der Munitionsproduktion (ASAP) und zur Finanzierung länderübergreifender Rüstungskäufe (EDIRPA) dazu, die Breton als »beispiellos« für den Wechsel der EU in den »Kriegswirtschaftsmodus« lobte. Trotz aller Euphorie blieb der Wermutstropfen, daß beide Programme sowohl zeitlich (bis 2025) als auch finanziell (ASAP-Volumen 500 Millionen Euro, EDIRPA 300 Millionen) begrenzt sind.

Doch diese Begrenzungen sollen schon bald aufgehoben werden, heißt es Zeitungsberichten zufolge im Entwurf der EU-Kommission für die neue Strategie zur Förderung der EU-europäischen Rüstungsindustrie, die Breton in der kommenden Woche in Brüssel vorstellen will.

Möglicherweise erfahren wir dann auch, in welcher Höhe sich die EU am »Future Combat Air System« (FCAS) beteiligen wird, das Deutschland, Frankreich und Spanien ab 2040 gemeinsam einführen wollen. Auch Belgien beteiligt sich als Beobachter an dem Projekt. Derzeit werden die – laut einer kürzlich veröffentlichten Greenpeace-Studie unvollständigen – Kosten zur Entwicklung des atomwaffenfähigen »Luftkampfsystems«, bei dem wesentliche Funktionen von einer Künstlichen Intelligenz übernommen werden, mit rund 100 Milliarden Euro angegeben.