Ausland05. Juli 2022

Streit um Gas im östlichen Mittelmeer

Israel schießt Drohnen der Hisbollah ab

von Karin Leukefeld

Der Streit zwischen Israel und Libanon um die seeseitige Markierung der Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer hat eine neue Wendung genommen. Die libanesische Hisbollah erklärte am Wochenende, eine Gruppe des militanten Flügels der Hisbollah (»Gruppe der Märtyrer Jamil Skaff und Mahdi Yaghi«) habe das Gasfeld Karish mit drei unbewaffneten Drohnen überflogen. Es habe sich um eine Aufklärungsmission gehandelt, hieß es in der Stellungnahme. Die »Botschaft« sei angekommen.

Die Israelische Armee erklärte, sie habe eine der Drohnen mit einem F16-Kampfjet abgeschossen. Die beiden anderen Drohnen seien mit zwei Barak Flugabwehrraketen einer Korvette der Saar-5-Klasse abgeschossen worden.

Die libanesische Zeitung »Al Akhbar« berichtete, kurz zuvor sei bekannt geworden, daß Israel den libanesischen Vorschlag über die seeseitige Grenzziehung im östlichen Mittelmeer zurückgewiesen hatte, den Präsident Michel Aoun kürzlich dem US-amerikanischen Vermittler Amos Hochstein vorgelegt habe.

Dabei ging es darum, wie der Libanon und Israel sich bei der Nutzung der beiden Gasfelder Karish und Qana einigen sollten. Israel lehnte das ab und schlug stattdessen vor, daß der Libanon seinen Anteil an dem Qana Gasfeld – der südlich der angestrebten Grenzziehung liegt – verkaufen solle.

USA – ein ehrlicher Vermittler?

Die USA-Botschaft in Beirut kritisierte den Drohneneinsatz scharf und forderte eine Verurteilung der Hisbollah. Die Verhandlungen über die Markierung der seeseitigen Grenze zwischen dem Libanon und Israel, die unter Vermittlung durch die USA stattfänden, könnten sich verzögern, hieß es. Das sei zum Schaden des Libanon, da sich der Beginn der Gasförderung weiter hinauszöge.

Da Israel und der Libanon sich offiziell im Kriegszustand befinden, gibt es keine direkten Gespräche und Kontakte jenseits der Treffen im Rahmen der UNIFIL-Mission, die die Sicherung der »blauen Linie«, der Waffenstillstandslinie, kontrolliert. Für die Verhandlungen über den Verlauf der Seegrenze haben die USA die Vermittlung übernommen.

USA-Vermittler Amos Hochstein war Mitte Juni in Beirut, nachdem es zwischen dem Libanon und Israel zu einem verbalen Schlagabtausch über ein Bohrschiff gekommen war, das Israel in das Gasfeld Karish entsandt hatte, dann aber zurückziehen mußte. Hochstein erhielt vom libanesischen Präsidenten Michel Aoun Unterlagen darüber, wie der Libanon die südliche Seegrenze markiere. Das Gebiet ist in Blöcke eingeteilt, sowohl der Libanon als auch Israel haben Grenzverläufe markiert, die von der anderen Seite nicht akzeptiert werden. Nach Angaben des Nachrichtensenders Al Mayadeen beharrt der Libanon auf dem kompletten Gasfeld Qana, das in das von Israel beanspruchte Gebiet hineinragt. Aoun wurde von dem designierten Ministerpräsidenten Najib Mikati unterstützt.

Hochstein hatte den Vorschlag der israelischen Seite übermittelt und kurz darauf deutete das USA-Außenministerium ein mögliches Abkommen über die Seegrenze zwischen Israel und Libanon an. Die Zurückweisung des libanesischen Vorschlags durch Israel zeigt, wie verhärtet die Positionen sind. Der Drohneneinsatz der Hisbollah wurde im Libanon als Botschaft gewertet, daß man nicht bereit sei, auf die eigenen nationalen Ressourcen zu verzichten.

Sanktionen blockieren Gaslieferungen

In Sachen Gas- und Energielieferungen haben die USA in den östlichen Mittelmeerländern keinen guten Ruf. Nicht nur im Fall des Streits um die Grenze im Mittelmeer zwischen dem Libanon und Israel versucht Washington, die Ressourcen zu kontrollieren. Auch die Lieferung von Gas durch die Arabische Gaspipeline wird von den USA hinausgezögert. Das Gas kommt aus Ägypten und wurde ursprünglich durch die Pipeline über Jordanien und Syrien in den Libanon transportiert. Seit 2012 liegt die Pipeline still, soll aber nach Verhandlungen zwischen den Energieministern der vier Staaten seit Herbst 2021 wieder in Betrieb genommen werden.

Nach Monate langen Verzögerungen unterzeichneten am 21. Juni 2022 der Libanon, Ägypten und Syrien in Beirut einen Vertrag über die Gaslieferungen. Mit Jordanien war bereits Anfang des Jahres die Lieferung von Strom vereinbart worden. Die Weltbank hatte sich bereit erklärt, dem Libanon für die Finanzierung von Strom und Gas einen Kredit zu geben. Voraussetzung dafür allerdings ist die Zustimmung der USA, die als größter Beitragszahler die Weltbank de facto kontrolliert.

Die unklare Haltung der USA-Administration zu der Vereinbarung sorgt seit Monaten für Unsicherheit. Bis heute ist unklar, ob die von den USA gegen Syrien verhängten »Caesar-Sanktionen« sich negativ auf die beteiligten Staaten auswirken werden, sollte die Gaslieferung unter Beteiligung Syriens wiederaufgenommen werden. Während alle Staaten auf eine klare Aussage diesbezüglich aus Washington warteten, ließ man sich dort Zeit und teilte schließlich mit, erst müßten die Verträge unterzeichnet sein, dann werde man prüfen. Nun also haben die Länder ihre Verträge unterzeichnet und müssen warten, ob es den USA gefällt oder nicht, was dort vereinbart wurde. Man werde sich die Verträge ansehen und prüfen, wie alles finanziert werden soll, teilte das USA-Außenministerium mit. Dann werde Washington entscheiden, ob die Sanktionen gegen Syrien, das so genannte »Caesar-Gesetz« die Vereinbarungen zulassen.

Strom ist ein Luxusgut

Der Libanon befindet sich seit Jahren in einer schweren politischen, Wirtschafts- und Finanzkrise, die öffentliche Stromversorgung funktioniert höchstens ein bis zwei Stunden pro Tag. Nutznießer der mangelhaften Stromversorgung sind Besitzer von Generatoren. Sie erhalten von der Zentralbank Sonderkonditionen für den Erwerb von US-Dollar, mit dem sie Öl kaufen können. Das Öl treibt große Industrie-Generatoren an, die Strom erzeugen. Dieser wird öffentlichen Einrichtungen, Geschäften, Hotels und privaten Haushalten zum Kauf angeboten.

Weil die Generatoren-Besitzer das Geld in US-Dollar verlangen, können die meisten Haushalte sich keinen zusätzlichen Strom leisten. 74 Prozent der libanesischen Bevölkerung gelten nach UNO-Angaben als arm. Um beispielsweise täglich Licht, Fernsehen, Computer, Waschmaschinen, Ventilatoren oder Klimaanlagen und Kühlschrank bezahlen zu können, müssen private Haushalte mindestens 150 US-Dollar pro Monat oder etwa 5 US-Dollar pro Tag bezahlen. Der Mindestlohn im Libanon beträgt heute rund 650.000 Libanesische Pfund. Vor vier Jahren waren das umgerechnet etwa 400 US-Dollar, heute ist dieser Betrag weniger als 50 US-Dollar wert.

Arm in vielen Bereichen

Nach Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) hat sich der »multidimensionale Armutsindex« im Libanon von 42 Prozent im Jahr 2019 auf 82 Prozent im Jahr 2021 verdoppelt. Der »multidimensionale Armutsindex« wurde von der UNO speziell für Entwicklungsländer geschaffen und mißt die Armut einer Gesellschaft in verschiedenen Bereichen. Untersucht wird, ob die Menschen zu essen haben, wie viele Kinder sterben, ob Kinder zur Schule gehen und diese auch abschließen und anschließend eine weitere Ausbildung machen können. Untersucht wird, ob die Menschen Boden oder ein Haus besitzen, ob sie Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen haben, ob sie sich Brennmaterial leisten können und über Strom verfügen.

Ressourcen blockiert

Der Libanon verfügt über ausreichende eigene Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer, um die nationale Stromversorgung zu gewährleisten. Im Februar 2018 unterzeichnete der Libanon Förderverträge mit Unternehmen aus Frankreich (Total), Italien (Eni) und Rußland (Novatek). Die konnten allerdings ihre Arbeit bisher nicht aufnehmen, da die seeseitige Grenze zwischen dem Libanon und Israel umstritten ist.

Politische Konflikte im Libanon unter dem früheren Ministerpräsidenten Fuad Siniora und US-amerikanisch-israelischer Druck haben dazu beigetragen, daß geographische Gegebenheiten, die kartographisch nachprüfbar sind, politischen Interessen untergeordnet wurden. Spätere libanesische Regierungen korrigierten die Grenzziehung, wonach Libanon einen großen Teil seiner Gasvorkommen verloren hätte. Umstritten bleiben weiterhin die Gasfelder Karish und Qana.