Ausland30. Juni 2023

Euclid und das geheimnisvolle dunkle Universum

Europas Suche nach den unbekannten kosmischen Ur-Kräften

von Pierre Buchholz, Darmstadt

Im Rahmen ihres durchaus ambitionierten Programms »Kosmische Vision 2015-2025«, startet die Europäische Weltraumagentur ESA am Samstag eine weitere wissenschaftliche Expedition ins Weltall. Die sogenannte Euclid-Expedition der ESA befaßt sich mit zwei Kernthemen der Kosmologie: den fundamentalen physikalischen Gesetzen des Universums, sowie seiner Entstehung und woraus es besteht.

Euclid wurde entwickelt, um einige der wichtigsten Schlüsselfragen zu beantworten: Was ist die Struktur und Geschichte des kosmischen Netzes? Was ist die Natur der Dunklen Materie und die Natur der Dunklen Energie? Erforscht wird ebenfalls, wie sich die Ausdehnung des Universums im Laufe der Zeit verändert hat und Euclid soll einen Beitrag zu unserem Verständnis der Schwerkraft leisten. Die Raumsonde Euclid soll wissenschaftliche Daten aus den Tiefen des Weltalls liefern, um dem Kosmos auf die Spur zu kommen.

1,5 Millionen
Kilometer nach L2

Die neue Expedition erforscht die Entwicklung des dunklen Universums und wird dazu eine 3D-Karte des Universums, mit der Zeit als dritte Dimension, erstellen. Die Raumsonde ist etwa 4,7 m hoch und hat einen Durchmesser von 3,7 m. Die Masse von Euclid im Orbit wird 2 Tonnen betragen einschließlich 800 kg Nutzlastmodul, eines 850 kg schweren Servicemoduls, 40 kg Ausgleichmasse und 210 kg Treibstoff.

Euclid wird mit einer SpaceX-Trägerrakete Falcon 9 von Cape Canaveral, Florida, USA aus starten. Seine operative Umlaufbahn wird ein Halo um einen Punkt sein, der als Sonne-Erde-Lagrange-Punkt 2 (L2) bekannt ist, in einer durchschnittlichen Entfernung von 1,5 Millionen Kilometer außerhalb der Erdumlaufbahn. Dieser besondere Ort hält mit der Erde Schritt, während wir die Sonne umkreisen.

Das Nutzlastmodul besteht aus einem Teleskop mit einem Durchmesser von 1,2 m und zwei wissenschaftlichen Instrumenten: einer Kamera im sichtbaren Wellenlängenbereich und einer Nahinfrarotkamera mit einem Nahinfrarot-Spektrometer. Das Servicemodul enthält die Satellitensysteme. Die nominelle Lebensdauer der Expedition beträgt sechs Jahre, mit der Möglichkeit einer Verlängerung.

Der kosmische Spion

Euclid ist eine kosmologische Durchmusterungsmission, um die Eigenschaften von Dunkler Energie und Dunkler Materie zu bestimmen. Die Raumsonde wird Bilder in optischem und Nahinfrarotlicht aufnehmen, welche mehr als ein Drittel des extragalaktischen Himmels außerhalb der Milchstraße abdecken und Milliarden von kosmischen Zielen in einer Entfernung zeigen, in der Licht bis zu 10 Milliarden Jahre gebraucht hat, um uns zu erreichen. Darüber hinaus wird Euclid Nahinfrarot-Spektroskopie von Hunderten von Millionen Galaxien und Sternen durchführen.

Die Euclid-Expedition der ESA wird die großräumige Struktur des Universums kartieren und uns helfen, zwei mysteriöse Komponenten zu verstehen: Dunkle Materie und Dunkle Energie. 95 Prozent des Universums scheinen aus unbekannter »dunkler« Materie und Energie zu bestehen. Die Expedition zielt darauf ab, die Geheimnisse dieses dunklen Universums zu lüften.

Die helle Seite des Universums ist für uns sichtbar und alle Planeten, Monde und Sterne bestehen aus »normaler« Materie. Normale Materie besteht aus den Elementarteilchen, die im Standardmodell der Teilchenphysik beschrieben sind. Dazu gehören Quarks und Elektronen, die zusammen Atome bilden.

Unsichtbares
mysteriöses Etwas

Euclid wird die größte und genaueste 3D-Karte des Universums anfertigen. Durch die Beobachtung der Entwicklung des Universums in den letzten 10 Milliarden Jahren wird Euclid zeigen, wie es sich im Laufe der kosmischen Geschichte ausgedehnt hat und wie sich Struktur gebildet hat. Daraus können Astronomen auf die Eigenschaften von Dunkler Energie, Dunkler Materie und Gravitation schließen, um mehr über ihre genaue Natur zu erfahren. Während die Dunkle Energie die Expansion des Universums beschleunigt und die Dunkle Materie das Wachstum kosmischer Strukturen steuert, sind sich die Wissenschaftler noch nicht sicher, was Dunkle Energie und Dunkle Materie eigentlich sind.

Normale Materie zieht andere normale Materie über die Schwerkraft an, je nachdem, wie viel Masse sie hat. Diese Kraft erklärt, warum Äpfel in Richtung Erde fallen und warum sich die Erde um die Sonne dreht und die Sonne das Zentrum der Milchstraße umkreist. Sterne in Galaxien bewegen sich allerdings schneller um ihre Galaxienzentren als die Materie, die wir sehen, erklären könnte. Normale Materie allein wäre nicht in der Lage, genügend Gravitation zu erzeugen, um diese Galaxien zusammenzuhalten.

Im Raum zwischen den Galaxien gibt es ebenfalls unbekanntes Material dessen Anziehungskraft den Weg des Sternenlichts auf dem Weg zur Erde beeinflußt. Dieser Gravitationslinseneffekt biegt und verzerrt das Licht von Galaxien und Haufen. Wir nennen die fehlende Masse »Dunkle Materie«, weil es den Anschein hat, daß sie nur über die Schwerkraft mit Licht und normaler Materie wechselwirkt. Trotz jahrzehntelanger Forschung wissen wir immer noch nicht, woraus Dunkle Materie besteht.

Geheimnisvolle energische Kräfte

Messungen in den 1990er Jahren ergaben, daß sich die Geschwindigkeit, mit der sich das Universum ausdehnt, beschleunigt. Das Universum hat sich seit dem Urknall kontinuierlich ausgedehnt, aber es wurde angenommen, daß sich diese Expansionsrate im Laufe der Zeit verlangsamen würde, weil sie durch die Schwerkraft aller Materie im Universum widersetzt wird.

Im Einklang mit der Benennung der mysteriösen Dunklen Materie begannen die Astronomen, alles, was die Beschleunigung verursachte, als »Dunkle Energie« zu bezeichnen. Auch heute noch ist das Verständnis der Natur der Dunklen Energie eine der größten Herausforderungen der Kosmologie und der fundamentalen Physik. Bisher war kein Experiment in der Lage, die Beschleunigung der Expansion des Universums detailliert genug zu messen, um zwischen den möglichen Lösungen zu unterscheiden.

Euclid wird detaillierte Beobachtungen des Universums durchführen, um Rückschlüsse auf die Verteilung der Dunklen Materie und der Dunklen Energie zu ziehen. So erfahren wir durch die neue Expedition mehr über das Verhalten dieser mysteriösen Komponente und erhalten neue Hinweise auf ihre Identität.

Zur guten Letzt: Euclid ist nach dem griechischen Mathematiker Euklid von Alexandria benannt, der um 300 vor Beginn unserer Zeitrechnung lebte und das Fach Geometrie begründete. Da die Dichte von Materie und Energie mit der Geometrie des Universums verknüpft ist, wurde die Expedition nach ihm benannt.