Ausland09. Mai 2017

Konservative ohne Chancen

Präsidentschaftswahlen in Südkorea. Vom neuen Staatschef wird erwartet, daß er endlich für Transparenz sorgt, Korruption und Günstlingswirtschaft beendet und vor allem auf einen Dialog mit Pjöngjang setzt

Als die zweite von insgesamt sechs öffentlichen Wahlkampfdebatten am 19. April im Studio des Korean Broadcasting System in Südkoreas Hauptstadt Seoul beendet war, zeigte sich einer der fünf Diskutanten besonders erleichtert und sichtlich gutgelaunt. Der 64-jährige sozialliberale Moon Jae In, Kandidat der Demokratischen Partei Koreas (DPK), hat bei der vorgezogenen Präsidentschaftswahl, die am Dienstag stattfanden, die besten Chancen, als Sieger ins Blaue Haus, den Amtssitz des südkoreanischen Staatsoberhaupts, einzuziehen.

Vier weitere Kandidatinnen und Kandidaten stellten sich zur Wahl, von denen allerdings nur der 55-jährige Ahn Cheol Soo von der zentristischen Gungminui-Partei (Partei der Bürger, auch Volkspartei genannt) Chancen hatte, Moon Paroli zu bieten. Der Mediziner, der an renommierten Universitäten in Südkorea und den USA Masterabschlüsse machte, gründete Südkoreas größten Softwareentwickler für Computersicherheit, das Unternehmen Ahnlab Inc. Der Kandidat der Freiheitspartei Koreas (LKP), Hong Joon Pyo, und Yoo Seong Min von der Bareun-Partei (Rechtschaffene Partei) sind konservative beziehungsweise reaktionäre Kandidaten, gewissermaßen Restposten der am 10. März 2017 wegen Amtsmißbrauchs und Korruption rechtskräftig ihres Amtes enthobenen Präsidentin Park Geun Hye. Deren lange Zeit herrschende Saenuri-Partei (Neue-Welt-Partei) war im Dezember ins Räderwerk zwielichtiger Machenschaften ihrer Vorsitzenden geraten, so daß sich einst mit Park Verbündete von ihr abwandten. In der Folge entstanden aus der Saenuri-Partei die beiden Neuparteien LPK und Bareun. Die fünfte im Bunde ist die 58-jährige Sim Sang Jung von der fortschrittlichen Gerechtigkeitspartei. Sie entstammt im Gegensatz zu den anderen Kandidaten einfachen Verhältnissen, war lange Zeit Fabrikarbeiterin und hat sich in erbitterten Arbeits- und Gewerkschaftskämpfen profiliert. Sie ist auch die einzige Kandidatin, die offen die im Land noch höchst kontroversen Themen Homosexualität und Transgender (LBGT) anspricht und sich redegewandt für entsprechende Rechte einsetzt.

Ein Kernthema des Wahlkampfs war die Haltung zur Volksrepublik China. Der große Nachbar ist nicht nur ein wichtiger Handelspartner, sondern als engster Verbündeter Nordkoreas auch am ehesten fähig, hinsichtlich des dortigen international kritisierten Atomprogramms mäßigend zu wirken. Peking hat scharf die Installierung des USA-Raketenabwehrsystems THAAD (Terminal High Altitude Area Defense) auf südkoreanischem Boden kritisiert und als Gegenmaßnahmen einen Boykott südkoreanischer Produkte verhängt sowie Touristenbesuche eingeschränkt.

Moon Jae In hat die THAAD-Installierung als »überstürzt« bezeichnet. Er verfolgt einen Kurs, der an das Jahrzehnt der »Sonnenscheinpolitik« anknüpft, die die Präsidenten Kim Dae Jung (1998–2003) und Roh Moo Hyun (2003–08) zur Leitlinie ihres Umgangs mit Nordkorea gemacht hatten. Die beiden Präsidenten waren in den Jahren 2000 und 2007 in die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang gereist, um eine Aussöhnung durch direkte Gespräche, Öffnung und Austausch zu erreichen. Dem Juristen Moon kommt zugute, daß er einst gemeinsam mit Roh in der zweitgrößten Stadt des Landes, der Hafenstadt Busan, eine Anwaltskanzlei unterhalten hatte, die sich vorwiegend für verfolgte Menschen- und Bürgerrechtler einsetzte. In den 1970er Jahren war Moon wegen seiner Beteiligung an Protesten gegen das Regime des langjährigen Militärdiktators Park Chung Hee (1961–79), dem Vater von Park Geun Hye, von der Universität verwiesen worden. Später konnte er nach Ableistung des Militärdienstes sein zuvor begonnenes Jurastudium abschließen und Rechtsanwalt werden. 2002 leitete Moon Rohs Wahlkampagne und bekleidete nach dessen Sieg führende Positionen im Blauen Haus, unter anderem das Amt des Stabschefs.

Innenpolitisch konnte Moon damit punkten, sich für eine Entflechtung von Politik und Wirtschaft einzusetzen, was vor allem die großen Finanz- und Wirtschaftskonglomerate beträfe. Vermehrt soll Wohnraum für junge Ehepaare und Haushalte mit niedrigem Einkommen geschaffen und darauf hingearbeitet werden, die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. Gegenspieler Ahn wirkt dagegen blaß und selbstherrlich. Er setzt vor allem auf Wirtschaftsinnovationen, um der wachsenden Zahl von Hochschulabsolventen Jobperspektiven zu eröffnen.

Läuft alles nach Plan, wird es Moon beim zweiten Anlauf glücken, das höchste Staatsamt zu erringen und der zwölfte Präsident Südkoreas zu werden. Im Dezember 2012 war er Park Geun Hye noch knapp unterlegen. Diese hatte gemeinsam mit den Spitzen des Nationalen Geheimdienstes (NIS) und Teilen der Armee alles daran gesetzt, Moon als »gefährlichen Linken« und »Sympathisanten Nordkoreas« zu desavouieren. Zusammen mit einer Cyberkriegeinheit der Armee verschickte der NIS Millionen Tweets, um für die spätere Wahlsiegerin zu werben und ausdrücklich vor Moon zu warnen. Diese ungesetzliche politische Parteinahme brachte NIS-Direktor Won Sei Hoon Anfang 2015 eine dreijährige Haftstrafe ein. Moons Erfolg bedeutete zugleich einen weiteren Etappensieg der Demokratiebewegungen, die sich vor genau drei Jahrzehnten formiert hatten.

Schlappe für die Rechten

Daß die Wahlchancen für den Sozialiberalen Moon Jae In jetzt so gut stehen, ist ein Novum in der Geschichte Südkoreas. Ob allerdings der Wahlsieger genügend politisches Stehvermögen aufweisen wird, um mit erarbeiteter parlamentarischer Zustimmung sowie breiter außerparlamentarischer Rückendeckung der »Schutzmacht« USA mehr Souveränität abzutrotzen, ist nicht ausgemacht. Die in den vergangenen Tagen von USA-Präsident Donald Trump immer wieder ins Spiel gebrachte Forderung, Seoul müsse mindestens einen Betrag in Höhe von umgerechnet einer Milliarde US-Dollar für das THAAD-System aufbringen, hat selbst langjährige enge USA-Freunde in der südkoreanischen Regierung abgeschreckt und unter südkoreanischen Politikern unterschiedlicher Couleur für Mißstimmung gesorgt. Washington demonstrierte damit einmal mehr, daß seine Außen- und Sicherheitspolitik knallhart Vorrang vor einer selbstbestimmten Seouler Innenpolitik haben soll.

Noch nie zuvor in der Geschichte des Landes war ein Staatsoberhaupt verhaßter als ausgerechnet die stockkonservative Park Geun Hye um die Jahreswende 2016/17. Umfrageergebnisse verschiedener Meinungsforschungsinstitute attestierten der Staatschefin, daß mehr als 90 Prozent der Bevölkerung mit ihrer Politik zutiefst unzufrieden waren. Seit Ende Oktober 2016 zog es an jedem Wochenende massenhaft Menschen auf die Straßen, um gegen die Präsidentin zu protestieren. Bis zum Jahresende schwoll deren Zahl auf zwei Millionen Demonstranten allein in Seoul an, wo sie bei klirrender Kälte mit Kerzen auf den Hauptplätzen der Metropole ebenso lautstark wie friedlich die Amtsenthebung und Strafverfolgung der Präsidentin forderten. Am 9. Dezember 2016 stimmten 234 von 300 Parlamentariern in der Nationalversammlung für Parks Amtsenthebung. Ein Votum, das schließlich am 10. März vom Verfassungsgericht bestätigt wurde. Die Richter sahen es als erwiesen an, daß die Expräsidentin Amtsmißbrauch betrieben und im Tandem mit ihrer engsten Vertrauten und Freundin, der Unternehmerin Choi Soon Sil, in einen millionenschweren Korruptionsskandal verwickelt war.

Ein solches politisches Desaster hätte sich die lange mit Macht und Pfründen bedachte Park Geun Hye nicht im Traum vorstellen können. Als sie am 25. Februar 2013 als erste Frau ins Blaue Haus eingezogen war, hatte sie ihren Landsleuten eine Rundum-Erneuerung in der Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik versprochen. Sie wolle sich für das Wohl der Marginalisierten in der Gesellschaft einsetzen, die Macht der großen Finanz- und Wirtschaftskonglomerate einschränken und den Gesprächsfaden mit Nordkorea erneut knüpfen, hatte es geheißen.

Auf diese Weise wollte sie auch aus dem langen Schatten ihres Vaters, des Militärdiktators Park Chung Hee, heraustreten, der das Land von 1961 bis 1979 mit eiserner Faust regiert hatte. In Teilen der älteren Generation ist Parks Name noch immer mit der Transformation eines armen Agrarlandes in einen prosperierenden Industriestaat verbunden. Ihnen gilt er als Architekt des »Wirtschaftswunders am Han-Fluß« sowie als Garant für Sicherheit und Ordnung. Doch die hehren Vorsätze der Präsidentin erwiesen sich rasch als Schall und Rauch. Statt dessen verschärfte Park, deren Amtszeit offiziell im Februar 2018 geendet hätte, ihre Repressionen gegen Arbeiter und Gewerkschafter (vor allem gegen den kämpferischen, etwa 700.000 Mitglieder zählenden Koreanischen Gewerkschaftsbund KCTU), Lehrer, zivilgesellschaftliche und oppositionelle Kräfte und verfolgte außenpolitisch einen stramm antikommunistischen Kurs. Schließlich setzte sie sich mit Verve dafür ein, nur staatlich geprüfte Schulbücher für den Unterricht zuzulassen. Auf diese Weise wollten sie und ihr politisches Lager die Geschichte des Landes im Sinne einer Familiensaga umdeuten. Damit sind die Rechten vorerst gescheitert. Man darf gespannt sein, welche Entwicklungen eine Präsidentschaft unter Moon Jae In bereithält.

Rainer Werning

Moon Jae In, Kandidat der Demokratischen Partei Koreas (DPK) (Foto: AFP)