Ausland21. Juni 2025

Nachdenken über »Drecksarbeit«

»Sagen, wo es lang geht« mit dem deutschen Bundeskanzler

von Karin Leukefeld, Beirut

Zwei Personen sitzen sich in einem TV-Studio gegenüber, die Aufnahme findet am Rande des G7-Trefffens in Kanada statt. Die Journalistin stellt eine Frage an ihr Gegenüber: »Ist es nicht verlockend, daß die Israelis jetzt die Drecksarbeit machen für ein Regime, das sehr viele in der Welt als einen wirklich großen Störfaktor wahrnehmen?« Die Frau ist Diana Zimmermann, Leiterin ZDF-Hauptstadtstudio. Die 1971 geborene Journalistin studierte laut ihrer Vita »Vergleichende Literaturwissenschaft, Sinologie und Geschichte« an der FU Berlin und in Paris.

Ihr Gegenüber antwortet: »Frau Zimmermann, ich bin Ihnen dankbar für den Begriff ‚Drecksarbeit‘. Das ist die ‚Drecksarbeit‘, die Israel macht, für uns alle. Wir sind von diesem Regime auch betroffen. Dieses Mullah-Regime hat Tod und Zerstörung über die Welt gebracht. Mit Anschlägen, Mord und Todschlag. Mit Hisbollah, mit Hamas, am 7. Oktober 23 in Israel. Das wäre ohne das Regime in Teheran niemals möglich gewesen. Die Belieferung Rußlands mit Drohnen aus Teheran. Ja, ‚Drecksarbeit‘, die Israel da gemacht hat.

Ich kann nur sagen, größten Respekt davor, daß die israelische Armee den Mut dafür gehabt hat, die israelische Staatsführung den Mut dazu gehabt hat, das zu machen. Wir hätten sonst möglicherweise Monate und Jahre weiter diesen Terror dieses Regimes gesehen und dann möglicherweise noch mit einer Atomwaffe in der Hand.« Der Mann ist Friedrich Merz, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Der 1955 geborene Politiker absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaften.

Manchmal ist es angesichts solcher Ungeheuerlichkeit erforderlich, Abstand herzustellen. Journalisten können das tun, indem sie beschreiben. Hier aber geschieht etwas Anderes, die zwei Personen sind ein Team und betreiben »hybride oder auch psychologische Kriegsführung«, sie führen einen »Krieg ohne Kampf«. Ihr Ziel sind die Köpfe der Leute draußen an den Bildschirmen.

Ziel des hybriden Angriffs dieser Journalistin und des deutschen Bundeskanzlers sind diejenigen, die an diesem Abend das »Heute Journal« eingeschaltet haben. Ziel ist, der Öffentlichkeit weltweit Begriffe, Perspektiven, Positionen, Ziele der deutschen Außenpolitik zu erläutern. »Sagen, wo es langgeht« mit dem deutschen Bundeskanzler.

Die Journalistin leitet das Interview mit einer Vorlage für den deutschen Bundeskanzler ein, der diese »dankbar« aufgreift. Seine Ausführungen über die »Drecksarbeit«, die Israel »für uns alle« mache, sind ein Lehrstück darüber, wie rassistisch motiviertes, imperialistisches Denken fest in den Köpfen der politischen Eliten verankert ist.

Den israelischen Angriffskrieg gegen den Iran, den Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser in Gaza und im Westjordanland, die israelischen Angriffe auf den Libanon, Syrien, den Jemen und die Besetzung von fremdem Territorium – die sieben Kriege Israels gegen die Staaten der Region als »Drecksarbeit« zu bezeichnen, kennzeichnen eine Herrschaftsmentalität. Der Blick auf die Opfer der Kriege sieht in den Betroffenen der »Drecksarbeit« lediglich Abfall und Dreck, mit dem man sich nicht die Hände schmutzig machen will.

Was die ZDF-Journalistin und der Bundeskanzler hier vorführen, ist Ausfluß des Denkens, mit dem Europäer seit dem Mittelalter die Welt unterwerfen wollen. Die Kreuzritter im 12. Jahrhundert, die kolonialen Eroberungszüge in Asien, Afrika, Lateinamerika. Die Vernichtung der First Nations, die von europäischen Siedlern ermordet wurden, um auf deren Land die Vereinigten Staaten von Amerika zu errichten. Immer ging es um Ausbeutung der Rohstoffe der Länder, Ausbeutung der Arbeitskraft der Menschen, die in ihren Ländern Kultur, Zivilisation und Regierungsführung nach ihren Vorstellungen entwickelt hatten. Immer ging es um Kontrolle von Häfen, Seewegen und dem, was heute »Transportkorridor« genannt wird.

Und immer hielten sich die europäischen Herrenmenschen für die Krönung der Schöpfung, die allen anderen überlegen und zur Führung der Welt bestimmt waren. Auf den Punkt brachten es die USA mit der Selbstdarstellung, eine außergewöhnliche, »unverzichtbare Nation« zu sein. »Wenn wir Gewalt einsetzen müssen, dann weil wir Amerika sind«, wie die damalige USA-Außenministerin Madelaine Albright in einem Interview im Februar 1998 erklärte

Und nun also der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz und die Journalistin Diana Zimmermann, die den Zuschauern des ZDF an diesem Tag die Welt erklären. Der völkerrechtswidrige, nicht provozierte Krieg Israels gegen Iran sei eine »Drecksarbeit«, die Regierung und das Land Iran ein »Störfaktor«. Deutschland werde vom Iran bedroht, auch durch die Hisbollah und die Hamas, die mit »diesem Mullah-Regime … Tod und Zerstörung über die Welt gebracht« haben sollen. Und dann wird »größter Respekt« für die israelische Armee und Staatsführung gezollt, daß sie diese »Drecksarbeit« erledigen, weil sonst »der Terror dieses Regimes … möglicherweise noch mit einer Atomwaffe in der Hand« jahrelang weitergegangen wäre.

Was beide Akteure dieser Propaganda-Show wissen, aber nicht sagen, ist, daß der Internationale Strafgerichtshof gegen den Staat Israel, Regierung und Armee wegen Völkermord an den Palästinensern ermittelt. Die UNO-Generalversammlung hat mit deutlicher Mehrheit Israel mehr als einmal aufgefordert, die seit 1967 besetzten palästinensischen Territorien freizugeben und beschlagnahmtes Eigentum zurückzugeben.

Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind in den von Israel seit 1948 angegriffenen Ländern der Region haben die gleichen Rechte, wie diejenigen in Europa und den USA die meinen, mit Israels »Drecksarbeit« diese »menschlichen Tiere« (Israels Ex-Kriegsminister Yoav Gallant) beseitigen und sich deren Land aneignen zu können. Jedes Kind in Gaza, jede Arbeiterin im Iran, jeder Bauer im Libanon hat gemäß der UNO-Charta die gleichen Rechte wie Friedrich Merz oder Diana Zimmermann.

Dieses Zimmermann/Merz-Team propagiert eine Strategie der Vorherrschaft, wie sie in den USA, EU und in der NATO allgegenwärtig ist, basierend auf »white supremacy« – weißem Vorherrschaftsdenken, die treibende Kraft des kolonialen Imperialismus der USA, der NATO und der EU, der Kriege braucht, um seine Dominanz weltweit durchzusetzen. »Die Vorherrschaftsstrategie ist tief im kulturellen Erbe der NATO- und EU-Länder verankert«, heißt es in einem Artikel über die »Weltweite Vorherrschaft des Westens« in der Schweizer Zeitung »Zeit-Fragen«.

Die kriegführenden Parteien Israel und Iran haben Merz verstanden. Die israelische Botschaft in Berlin bedankte sich für »moralische Klarheit«. Das iranische Außenministerium in Teheran bestellte den deutschen Botschafter ein.

Und wer zieht um das Bundeskanzleramt und die gläsernen Medienstudios in Berlin eine Rote Linie?

Müssen die Länder und Gesellschaften, die mit US-amerikanischen und deutschen Waffen und Geld durch Israel verwüstet werden davon ausgehen, daß sich die Erben von Immanuel Kant, Karl Marx, Friedrich Engels und Karl Liebknecht, von Hannah Arendt und Albert Einstein in der kolonialen Lebens- und Denkweise der »weißen Vorherrschaft« eingerichtet haben?!

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Unsere Korrespondentin Karin Leukefeld wird am 6. Juli um 15.30 beim »Wisefest der Zeitung« am Rundtischgespräch zum Thema »Stoppt den Krieg in Gaza und im Nahen Osten« teilnehmen, über ihren jüngsten Aufenthalt im Libanon berichten und Fragen zur Situation beantworten.