Der Terror der »Anti-Terror-Allianz«
Man mußte Zivilisten angreifen, Männer, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen, die weit weg vom politischen Spiel waren. Der Grund dafür war einfach. Die Anschläge sollten die Menschen, das italienische Volk, dazu bringen, den Staat um größere Sicherheit zu bitten.
Vincenzo Vinciguerra, italienischer Neofaschist, gegenüber Felice Casson, der Untersuchungsrichter, der die NATO-Geheimarmee Gladio ans Licht brachte
Im Kalten Krieg waren es die Kommunisten, die durch die Strategie der Spannung diffamiert wurden. Und es ist durchaus denkbar, daß man heute diese Strategie nutzt, um Muslime zu diskreditieren, um dadurch den gewaltsamen Zugriff auf die Rohstoffe in muslimischen Ländern zu legitimieren. Sie besitzen die großen Erdöl- und Erdgasreserven, das beeinflußt natürlich die Geostrategie.
Daniele Ganser, Dozent am Historischen Seminar der Universität Basel, Friedensforscher und Autor des Buches »NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung«
Im 60. Jahr ihres Bestehens präsentiert sich die NATO als weltweit agierende »Anti-Terror-Allianz«. Doch über ihre eigenen »Stay behind«-Armeen will sie bis heute nicht sprechen. Dabei belegen Dokumente des italienischen Militärgeheimdienstes sowie die Ergebnisse parlamentarischer Untersuchungen in Italien, Belgien und der Schweiz, daß es diese Geheimarmeen gab, daß sie von der NATO koordiniert wurden und daß sie – obwohl nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst für den Fall einer angeblich drohenden Besetzung Westeuropas durch die Sowjetunion aufgebaut – noch während des Kalten Krieges eingesetzt wurden, um mit Terroranschlägen Wahlentscheidungen zu manipulieren und Regierungsbeteiligungen von Kommunisten in Westeuropa zu verhindern.
Im Sommer 1990 führten die Enthüllungen von Staatsanwalt Felice Casson zu einer Staatskrise in Italien, durch welche der Senat den damaligen christdemokratischen Premierminister Giulio Andreotti zwingen konnte, zu Gladio eine öffentliche Erklärung ab- und deren Existenz zuzugeben. Erst dann sahen sich auch Frankreich und Griechenland gezwungen, die Öffentlichkeit über die seit vier Jahrzehnten bestehenden militärischen Geheimorganisationen in ihren Ländern zu unterrichten. So kam heraus, daß in jedem NATO-Land und sogar in vermeintlich neutralen Staaten Westeuropas wie etwa in Schweden und der Schweiz solche Geheimarmeen existierten.
Diese waren Teil der sogenannten »Stay behind«-Strukturen, die von geheimen Abteilungen der NATO von ihrem Brüsseler Hauptquartier aus koordiniert wurden. In Italien hieß diese Geheimarmee Gladio, in der Schweiz Projekt 26, in der BRD »Bund Deutscher Jugend«, in Norwegen ROC, in Belgien SDRA 8 und in der Türkei Counter-Guerilla.
Unter dem Titel »Fünf Jahre Staatsgeheimnis Bombenleger« war es Romain Hilgert, der am 10. November 1990 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek als erster über ein »NATO-Terrorkommando Gladio auch in Luxemburg« geschrieben hat und der darauf hinwies, daß die Sprengstoffanschläge, die Luxemburg ein Jahr lang in Atem hielten, »viele Gemeinsamkeiten mit der ‚Strategie der Spannung‘ in Belgien und anderen Ländern« aufwiesen.
Leider können Journalisten und Historiker, die auf öffentliche Quellen angewiesen sind, nicht das leisten, was eine parlamentarische Untersuchungskommission leisten könnte, die Dokumente anfordern und Staatsbeamte vorladen kann. Das EU-Parlament hat die Mitgliedstaaten bereits 1990 zur Einrichtung solcher Kommissionen aufgefordert, doch dies geschah nur in Italien, Belgien und dem Nicht-EU-Staat Schweiz. In Luxemburg steht eine Aufklärung bis heute aus.
Oliver Wagner