Flexibilisierung statt Arbeitszeitverkürzung?
Immer mehr Lohnabhängige sehen sich an ihrem Arbeitsplatz einem wachsenden Zeitdruck und einer größeren mentalen Belastung ausgesetzt und haben Schwierigkeiten, Arbeit und Privatleben unter einen Hut zu bekommen. Das ist nicht neu, allerdings werden diese Probleme seit Jahren immer gravierender.
Trotzdem weigern sich die Patronatsvereinigungen kategorisch auch nur über Arbeitszeitverkürzung zu reden, geschweige denn über kürzere Wochenarbeitszeiten zu verhandeln. Ihnen schwebt vielmehr vor, die Arbeitszeiten noch weiter zu flexibilisieren – auch um Arbeitskräfte einzusparen –, weshalb sie versuchen, die Lohnabhängigen mit Arbeitsmodellen zu locken, die ihnen scheinbar mehr Selbstbestimmungsrecht bringen sollen, in Wirklichkeit aber dazu führen, dass die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft noch wächst. Die Digitalisierung hat diese Tendenz noch verstärkt.
Die Frage nach der Länge der Arbeitszeit ist so alt wie der Kapitalismus selbst. Die kapitalistische Produktion strebt nicht die Verkürzung des Arbeitstags an, sondern die Verkürzung der für die Herstellung einer Ware notwendigen Arbeitszeit, wie bereits Karl Marx feststellte.
Je länger die Arbeitszeit ist, desto höher ist die Ausbeutung der Schaffenden, so dass auch der Profit, der in die Taschen der Kapitalisten fließt, höher ausfällt. Das ist der Grund, weshalb das Patronat sich bis heute systematisch gegen kürzere Arbeitszeiten verwehrt, gleichzeitig aber auf eine Intensivierung des Arbeitsrhythmus drängt.
Als das Kapital 1975 die Einführung der 40-Stunden-Woche nicht verhindern konnte, setzten die Patronatsvereinigungen alles daran, möglichst viele Ausnahmegenehmigungen durchzusetzen, was ihnen in vielen Fällen aufgrund des Entgegenkommens der Regierung leider auch gelang.
Heute hat die 40-Stundenwoche mehr Löcher als ein Schweizer Käse, und die Arbeitsorganisation wurde zwischendurch weiter zugunsten des Patronats dereguliert, zum Beispiel über immer längere Referenzperioden, während denen Überstunden nicht oder nur teilweise bezahlt werden.
Auch in Sachen Arbeitszeiten sitzt das Patronat noch am längeren Hebel, weil viele Lohnabhängige sich aus finanziellen Gründen geradezu gezwungen sehen, »freiwillig« länger zu arbeiten, auch an Sonn- und Feiertagen. Das erleichtert nicht gerade die Gewerkschaftsarbeit.
Und doch ist eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit eigentlich längst überfällig, wenn man sich vor Augen führt, wie die Produktivität regelrecht explodierte und in welchem Maße das Patronat sich bis heute den immer größeren Mehrwert aneignet.
Angesichts der verstärkten Ausbeutung und der negativen Auswirkungen langer Arbeitszeiten auf die Gesundheit und die Lebensumstände der Lohnabhängigen ist es notwendig, dass der Frage der Arbeitszeitverkürzung, gekoppelt an Neueinstellungen im Betrieb, in größerem Maße Aufmerksamkeit geschenkt wird, auch bei Kollektivvertragsverhandlungen.
Angesichts der gegenwärtigen Krisenentwicklungen ist das alles andere denn leicht, umso mehr der Widerstand des Patronats stark ist, und seitens der Regierung keine gesetzliche Initiative in Richtung Arbeitszeitverkürzung zu erwarten ist, von einer Verkürzung der Arbeitszeiten mit vollem Lohnausgleich, wie sie die Kommunisten fordern, erst recht nicht.
Aber die zunehmende Ausbeutung und die wachsende Flexibilisierung werden nicht nur die Frage der Löhne, sondern auch die Arbeitszeitverkürzung immer wieder auf die Tagesordnung setzen.