Ausland05. Februar 2025

Die »Europäisierung« Transnistriens

Der von Kiew verhängte Stopp russischer Erdgaslieferungen durch ukrainische Pipelines führt in der Republik Moldau zu einer schweren Energiekrise und zwingt die abgespaltene De-facto-Republik Transnistrien zu engeren Kontakten mit der EU

von German Foreign Policy/ZLV

Die EU kann einen Punktsieg im Ringen um Einfluß auf die seit 1992 von der Republik Moldau abgespaltene De-facto-Republik Transnistrien feiern. Ursache ist eine schwere Energiekrise in Moldawien und Transnistrien, die durch die Entscheidung der ukrainischen Regierung ausgelöst wurde, seit Beginn dieses Jahres kein russisches Erdgas mehr durch ukrainische Pipelines in Richtung Westen strömen zu lassen. Bis Ende 2024 war das noch der Fall gewesen. Mit dem Gas hatten vor allem Ungarn, die Slowakei und eben Moldawien ihre Versorgung sichergestellt.

Die EU stärkt derweil ihre Kontakte zur Regierung der abgespaltenen De-facto-Republik Transnistrien in Tiraspol. Dort geht der traditionell dominante russische Einfluß aufgrund des Ukrainekriegs und der auch dadurch bedingten Abschottung des Gebiets von Rußland gegenwärtig zurück. Ein Experte urteilte kürzlich: Transnistriens »Zukunft liegt in Europa« – gemeint ist natürlich die EU. Das wäre ein Erfolg im Bestreben, Rußlands Einfluß in Südosteuropa zurückzudrängen.

Transitstopp

Im vergangenen Jahr kündigte die ukrainische Regierung an, den Transit russischen Erdgases über ukrainisches Territorium endgültig zu stoppen. 2024 hatte Kiew noch die – vertraglich festgelegte – Lieferung von rund 15 Milliarden Kubikmetern Erdgas aus Rußland über den Transitknotenpunkt Sudscha und ukrainische Pipelines in Richtung Westen gestattet. Dies geschah durchaus zum eigenen Nutzen: Durch den Transit hatte der ukrainische Fiskus rund 800 Millionen US-Dollar jährlich an Transitgebühren von russischen Erdgaskonzernen eingenommen.

Ende vergangenen Jahres teilte Kiew allerdings mit, den im Jahr 2019 für die Laufzeit von 2020 bis 2024 geschlossenen Liefervertrag nicht verlängern zu wollen – und zwar, um den Kriegsgegner Rußland durch den Wegfall von Einnahmen aus dem Erdölverkauf zu schwächen. In der EU sind von dem Stopp vor allem die Slowakei und Ungarn betroffen, deren Regierungen sich für eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg einsetzen.

Darüber hinaus war von Anfang an klar, daß vor allem die zwischen Rumänien und der Ukraine gelegene Republik Moldau unter dem Transitstopp leiden würde. Dennoch kündigte der moldawische Premierminister Dorin Recean im September vergangenen Jahres an – unrealistischerweise, wie Beobachter übereinstimmend konstatieren –, die Gas- und Strompreise für die Bürger der Republik Moldau würden nicht steigen. Es kam anders.

Energiekrise

Seit dem 1. Januar 2025 fließt – wie angekündigt – kein russisches Erdgas mehr über in der Ukraine verlegte Pipelines in die Republik Moldau. Zudem hatte der russische Gasversorger seine Lieferungen nach Moldawien eingestellt, weil die moldawische Seite hohe Rechnungen nicht bezahlt hat und die entsprechenden Forderungen nicht anzuerkennen bereit ist.

Mit dem Ende des Transits russischen Gases mußte das Elektrizitätswerk Kutschurgan, das in Transnistrien liegt, seine Arbeit einstellen. Aus Kutschurgan kamen bis dahin nicht nur der Strom für Transnistrien selbst, das sich Anfang der 1990er Jahre von der Republik Moldau abgespalten hatte, sondern auch rund 70 Prozent des Stroms für die Gebiete, die bis heute unter der Kontrolle der moldawischen Regierung in Chișinău stehen.

In der De-facto-Republik Transnistrien mit etwa 350.000 Einwohnern führte die Unterbrechung der russischen Erdgaslieferungen im Januar zu einer beispiellosen Energiekrise; in der Region wurden Fabriken stillgelegt, Stromausfälle plagen die gesamte Bevölkerung. In Moldawien selbst schnellten bereits binnen der ersten beiden Tage der Energiekrise die Strompreise – entgegen den Ankündigungen von Premier Recean – um bis zu 75 Prozent und die Heizkosten um 40 Prozent in die Höhe. Der Bürgermeister der nordmoldawischen Stadt Bălți, Alexandr Petkov von der linken Partidul Nostru, forderte die Regierung in Chișinău auf, die Bürger zu entschädigen; sie litten unter der, wie er unter Verweis auf Recean urteilte, inkompetenten Energiepolitik der Regierung.

Zwischenlösung
auf Kosten der Steuerzahler der EU

Die EU-Kommission hat nun zunächst »Entwicklungshilfe« in Höhe von 30 Millionen Euro bereitgestellt. Sie versorgt Transnistrien bis zum 10. Februar kostenlos – also auf Kosten der Steuerzahler in der EU – mit Gas; entsprechend kann über das Elektrizitätswerk Kutschurgan auch Moldawien selbst mit Strom beliefert werden. Transnistriens Regierungschef Wadim Krasnoselski dankte daraufhin EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen persönlich für die Unterstützung. Darüber hinaus bot die ukrainische Regierung an, sowohl der Republik Moldau als auch Transnistrien Kohle zu liefern. Ob die Regierungen in Chișinău und Tiraspol auf das ukrainische Angebot eingehen, ist noch nicht bekannt.

Zudem wurde am Mittwoch vergangener Woche gemeldet, daß der moldauische Gasversorger Moldovagaz mit dem Gasunternehmen Transnistriens eine erste Lieferung von drei Millionen Kubikmeter Erdgas auf Kredit vereinbart hat.

»Zukunft in Europa«

Mit direkten Kontakten zwischen der De-facto-Regierung in Tiraspol und der EU-Kommission schreitet die Anbindung Transnistriens an die EU weiter voran. Für eine solche »Europäisierung« hatte eine Autorin der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung bereits im Jahr 2010 plädiert. Im Dezember 2015 kündigten transnistrische Behördenvertreter an, ihre De-facto-Republik werde dem »tiefen Freihandelsabkommen« (Deep and Comprehensive Free Trade Area, DCFTA) der Republik Moldau mit der EU beitreten; der Schritt wurde dann auch tatsächlich realisiert.

EU-Mitarbeiter überwachten dabei die Einführung einer Mehrwertsteuer, die anderthalb Jahrzehnte zuvor abgeschafft worden war – weil sie armutsfördernd wirke, hatte es dazu in Transnistrien geheißen. Im Jahr 2017, ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt, reiste der transnistrische Präsident Krasnoselski das erste Mal in die EU; seit 2019 veröffentlicht das transnistrische Präsidialamt seine Pressemitteilungen auch in englischer Sprache. Transnistriens »Zukunft liegt in Europa«, schrieb jüngst der britische Politik-Experte Thomas de Waal. Aufgrund von lockeren Praktiken bei der Paßvergabe durch das EU-Mitglied Rumänien besitzen viele Transnistrier bereits eine EU-Staatsbürgerschaft.

Im Ukrainekrieg neutral

Hintergrund der aktuellen Bestrebungen, die »Europäisierung« Transnistriens zu forcieren, ist der Ukrainekrieg. Die transnistrische Regierung verhält sich in diesem weiterhin neutral und hat weder die ukrainische Regierung verprellt noch der russischen Armee erlaubt, transnistrisches Territorium für Kriegshandlungen zu nutzen.

Durch diplomatische Manöver hatte sich die De-facto-Regierung in Tiraspol sogar anfangs von der russischen Regierung distanziert. Mitte Dezember 2022 hatte die deutsche Botschafterin in der Republik Moldau, Margret Uebber, Transnistrien besucht und dort den Außenminister und den Präsidenten der De-facto-Republik zu offiziellen Gesprächen getroffen. Die in Berlin schon lange erhoffte »Europäisierung« Transnistriens gewinnt damit weiter an Kontur.