Ausland30. April 2024

Vor 80 Jahren

Die »Wende von Salerno«

Palmiro Togliatti setzte den Eintritt von Kommunisten und Sozialisten in die Regierung Italiens durch

von Gerhard Feldbauer

Nach dem Sturz des faschistischen Diktators Benito Mussolinis durch eine Palastrevolte am 25. Juli 1943 hatte Marschall Pietro Badoglio im Auftrag des beteiligten König Vittorio Emanuele III. eine Militärregierung gebildet. Sie brach mit der faschistischen Achse, schloß am 8. September einen Waffenstillstand mit den Alliierten und wechselte mit der Kriegserklärung an Hitlerdeutschland am 13. Oktober auf die Seite der Antihitlerkoalition.

Am 8. September 1943 hatte die faschistische deutsche Wehrmacht Nord- und Mittelitalien besetzt. Ein auf Initiative der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI) mit Sozialisten, Aktionisten, Christdemokraten, Republikanern und Liberalen gebildetes Nationales Befreiungskomitee (CLN) hatte zum antifaschistischen nationalen Befreiungskrieg gegen das Besatzungsregime Hitlerdeutschlands aufgerufen. Erste Partisanen-Einheiten entstanden, aus denen sich eine Partisanenarmee formierte.

Im Inneren blieb das Ziel der Verschwörer jedoch, die faschistische Diktatur in eine autoritär-reaktionäre, auf Monarchie, Militär und Klerus gestützte umzuwandeln. Die US-amerikanische Zeitschrift »Life« schrieb am 14. Dezember 1943, daß es den Verschwörern darum gehe, »sich von Mussolini und den Deutschfreundlichen zu befreien, das System aber zu erhalten«, kurz gesagt, »einen Wandel vom prodeutschen zum proalliierten Faschismus« herbeizuführen.

Kommunisten und Sozialisten standen in dieser Situation vor der Frage, wie man sich gegenüber Marschall Badoglio verhalten sollte?

Diese Frage beriet, wie aus den Tagebüchern von Georgi Dimitroff hervorgeht, Stalin in der Nacht vom 4. zum 5. März 1944 mit PCI-Generalsekretär Palmiro Togliatti. In Moskau war man sich darüber im Klaren, daß man die Badoglio-Regierung berücksichtigen mußte. Badoglio war ein rücksichtsloser Vertreter der faschistischen Expansionspolitik gewesen, hatte als Befehlshaber der Kolonialarmee bei der Eroberung Äthiopiens 1935/36 das Giftgas Yperit eingesetzt. 1940 erkannte er jedoch die Risiken eines Kriegseintritts Italiens, sprach sich dagegen aus und trat als Generalstabschef zurück.

Während der deutsche Feldmarschall Paulus noch Hitlers Befehle zur Eroberung Stalingrads befolgte, war Badoglio noch vor der Niederlage der Wehrmacht an der Wolga bereits im November 1942 in Mailand in der Wohnung des Eisen- und Stahlkönigs Enrico Falck mit führenden Großindustriellen zusammengetroffen, um ein Ausscheiden Italiens aus dem Krieg zu erörtern. Trotz der von ihnen verfolgten reaktionären Ziele leisteten die Palast-Verschwörer dann als Vertreter realistisch denkender Kreise der Großbourgeoisie objektiv einen Beitrag zur Schwächung Hitlerdeutschlands und trugen auf ihre Weise zu einem Ende des Krieges bei.

Für den jetzt in Italien angestrebten Eintritt der Kommunisten in die Badoglio-Regierung hatte Stalin bereits im Voraus entsprechende Entscheidungen getroffen. Mit Blick auf Bündnisse der Kommunisten mit großbourgeoisen Kräften im Kampf gegen den Faschismus, aber auch der zu schaffenden Antihitlerkoalition hatte er nach dem Überfall Deutschlands entschieden, die UdSSR werde keinen revolutionären, sondern einen vaterländischen Krieg führen und den Parteien der Kommunistischen Internationale (Komintern) nahegelegt, in dieser Phase des Kampfes gegen den Faschismus die Frage der sozialistischen Revolution nicht aufzuwerfen.

Der nächste Schritt war am 21. Mai 1943 der vom Exekutivkomitee der Komintern (EKKI) unter Vorsitz Dimitroffs gefaßte Beschluß, die Komintern aufzulösen (veröffentlicht am 22. Mai in der Zeitung »Prawda«). Damit wurde gegenüber den westlichen Partnern unterstrichen, daß die KPdSU im Kampf gegen den Faschismus nicht die sozialistische Revolution voranbringen wollte.

Am 8. Januar 1944 traf der sowjetische Vertreter im Alliierten Advisory Council of Italy, Andre Wasilinsky, mit Badoglios Außenminister Vittorio Brunas zusammen, um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu sondieren. Einen Tag später anerkannte die UdSSR die Regierung Badoglios. Washington und London nahmen keine diplomatischen Beziehungen auf, sahen sich aber gezwungen, Hohe Kommissare für Italien einzusetzen. Moskaus Schritt machte Badoglio für einen geplanten Beitritt der CLN-Parteien in seine Regierung zugänglich.

So vorbereitet, kehrte Palmiro Togliatti am 27. März 1944 nach 18-jähriger Emigration in den Süden des von den Alliierten besetzten Italien zurück. Vier Tage danach sprach er vor dem Nationalrat der PCI über die Stärkung der Einheit der antifaschistischen Kräfte und die Notwendigkeit, eine neue Regierung zu bilden, die den Charakter eines Übergangskabinetts haben und durch den Beitritt der CLN-Parteien gestärkt und dadurch in die Lage versetzt werden sollte, die Volksmassen zum Krieg gegen Hitlerdeutschland zu mobilisieren.

Togliatti ging von Gramscis antifaschistischer Bündniskonzeption aus, hielt sich aber an Stalins Weisung und ging nicht auf das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft ein. Er argumentierte, das würde die großbürgerlichen Verbündeten ausschließen und eine Konfrontation mit Badoglio und dem König bedeuteten. Gleichzeitig bezog er sich jedoch auf den Aufruf der PCI vom 8. September 1943, in dem es hieß: »Die Arbeiterklasse wird die Hauptkraft sein, die das italienische Volk zum Kampf führt, um für immer die Macht der imperialistischen Kräfte, die für den räuberischen Krieg und den Ruin der Nation verantwortlich sind, zu brechen. Deshalb darf die Demokratie, die wir meinen, den rechten Kräften nicht noch einmal erlauben, sich in ihr wieder breit zu machen.«

Das war eine klare antiimperialistische Orientierung, die nicht den Sozialismus zur Tagesaufgabe erklärte, sondern eine demokratische antifaschistische Ordnung. Auch wenn das sozialistische Ziel nicht genannt wurde, schloß dieser Aufruf langfristig diese Zielsetzung nicht aus.

Palmiro Togliatti stieß zunächst auf Widerspruch sowohl bei Sozialisten und Aktionisten als auch in Teilen der PCI, die forderten, das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft klar zu benennen und daß der König, der Mussolini 1922 mit zur Macht verholfen und danach über 20 Jahre zu den Trägern der Diktatur gehört hatte, zurücktreten müsse.

Entscheidend trug Luigi Longo, einer der beiden Oberbefehlshaber der Partisanenarmee (der Andere war der Sozialist Sandro Pertini), dazu bei, den Regierungseintritt verständlich zu machen. »Wir sehen nur die politischen Unannehmlichkeiten einer Regierung mit Badoglio, nicht aber die Schwäche eines nationalen Befreiungskrieges, ohne die von ihm kontrollierten und beeinflußten Kräfte«, argumentierte er. Luigi Longo erhielt die Unterstützung der Partisanenkommandeure, in deren Einheiten Antifaschisten aller Parteien Schulter an Schulter mit monarchistischen Soldaten und Offizieren kämpften. Die Kommandeure, auch der PCI, stimmten zu, daß nicht die Beseitigung der Monarchie das sofortige Ziel sein solle, sondern die gemeinsame Front gegen die deutschen Okkupanten und ihre italienischen Helfershelfer.

Am 22. April 1944 traten auf einer Kabinettssitzung in Salerno die antifaschistischen Oppositionsparteien in die Regierung Badoglio ein. Ausgenommen die Republikaner, die eine Regierung der Monarchie ablehnten, die Regierung jedoch unterstützten und auch am nationalen Befreiungskrieg mit mehreren Brigaden teilnahmen. Kommunisten, Sozialisten und Aktionisten besetzten je zwei, die Christdemokraten drei, die Liberalen zwei Ressorts. Der Kriegsminister, der Marine- und der Luftwaffenminister waren Militärs. Badoglio war als Premier gleichzeitig Außenminister. PCI-Generalsekretär Palmiro Togliatti wurde Minister ohne Ressort (später Justizminister) Fausto Gullo wurde Landwirtschaftsminister.

Palmiro Togliatti verzichtete auf den Volksfrontbegriff der Komintern und hob den Charakter einer »Regierung der nationalen Einheit«, die ein Bekenntnis zum Antifaschismus ablegte, hervor und sprach von einer »National-demokratische Kriegs-Regierung« (Governo Nazionale democratico di Guerra).