Akuter Pflegenotstand
Niederländische Klinik hat »Lösung« für Personalmangel: Angehörige sollen Familienmitglieder im Krankenhaus mitversorgen
Die Zustände in Krankenhäusern haben auch in den Niederlanden zu akutem Personalmangel geführt. Nun zieht dieser bedenkliche Konsequenzen nach sich, sowohl in Planung, als auch Qualität der Pflege. In Nieuwegein in der Nähe von Utrecht will das ansässige St.-Antonius-Krankenhaus Familien von Patienten mehr in die stationäre Pflege integrieren, um die immense Arbeitsbelastung der Belegschaft zu verringern. Das teilte die Klinik auf ihrer Internetseite mit.
»Die Pflege so organisieren, daß die Pflegekräfte zweimal so vielen Patienten helfen können, als es nun der Fall ist«, umschreibt das Krankenhaus das Ziel. »Mission Impossible«, eine unmögliche Mission, nennt das Hospital den Plan. Ab September wolle man testen, »ob das Unmögliche doch Wirklichkeit werden kann«. Zunächst auf den Stationen für Urologie und Onkologie.
Bettenmachen, Zähneputzen, Waschen, Anziehen oder Wunden versorgen seien Aufgaben, die von Angehörigen erledigt werden können, findet das Krankenhaus. »Um das Bettzeug zu wechseln, braucht man kein Diplom«, sagte die Vorsitzende des Pflegerats im St. Antonius, Annette van Duijn, beim Lokalsender RTV Utrecht. »Wir zeigen auch, wie man Spritzen gibt und über eine Sonde ernährt«, fügte die Kliniksprecherin Rianne Beukelman am Dienstag bei RTL Nieuws hinzu.
»Bei chronisch oder langjährig erkrankten Kindern ist es üblich, daß die Eltern die Betreuung übernehmen«, erklärte auch Bianca Buurman, Vorsitzende des Berufsverbands der Pflegekräfte. Das steht natürlich außer Frage. Doch die Pflege eines krebskranken Erwachsenen ist wohl eine ganz andere Hausnummer. Annette van Duijn gibt bei RTV Utrecht selbst zu, daß die Patienten im Durchschnitt deutlich älter sind als früher. Die Pflege werde dadurch komplexer, respektive anstrengender. Trotzdem müßten die Patienten das Krankenhaus immer schneller verlassen. »Wir müssen also mehr Betreuung leisten, in kürzerer Zeit«, berichtete Annette van Duijn. Kaum sei das Krankenbett frei, liege schon der nächste drin.
Die Maßnahme sei auch nicht nur für die überarbeiteten Pflegekräfte sinnvoll: »Wir hören jetzt oft, daß Patienten in ein schwarzes Loch fallen, wenn sie nach Hause kommen. Die Sicherheit des Krankenhauses ist plötzlich weg«, sagt Annette van Duijn. Für die Patienten würde die Zeit nach der Entlassung leichter, hätten die Familie schon in der Klinik gelernt, wie man Medikamente spritzt.
Der niederländische Patientenverband steht den Plänen des Krankenhauses skeptisch gegenüber. »Einerseits ist es gut, daß die Angehörigen bereit sind, die Pflege zu Hause zu übernehmen«, sagte ein Sprecher bei RTL Nieuws. »Wir denken aber, daß es weniger sinnvoll ist, dies in einem Krankenhaus zu tun, um die Arbeitsbelastung zu reduzieren.« Die Anleitung werde das Personal ebenfalls zusätzliche Zeit kosten.
Das Krankenhaus hofft hingegen, aus dem Plan eine langfristige Lösung zu machen. Denn die Suche nach neuem Personal gestalte sich sehr schwierig. Kein Wunder: Krankenpflege ist ein extrem anstrengender Beruf, der Lohn allerdings viel zu gering.
Eine Bezahlung, die der zu leistenden Arbeit gerecht wird, würde den Beruf sicher attraktiver machen und das Personalproblem womöglich lösen. Doch Familienangehörige einen Teil der Arbeit unentgeltlich übernehmen zu lassen, ist freilich kostengünstiger.
Auch feste Besuchszeiten würden im St. Antonius abgeschafft. »Das gibt den Besuchern mehr Flexibilität«, heißt es auf der Internetseite. Den Familien gebe man das Gefühl, den ganzen Tag über willkommen zu sein.
Kein Familienmitglied werde unter Druck gesetzt, beim kranken Verwandten selbst Hand anzulegen, versichert das Krankenhaus. Stellt sich die Frage: Wer traut sich nein zu sagen, wenn die Familien der anderen Patienten im Krankenzimmer bei der Pflege des Kranken mithelfen?
Die Notrufklingel am Bett soll es übrigens weiterhin geben. Und wird sie betätigt, eilen tatsächlich die Profis herbei. Würden Angehörige auch diese Aufgabe übernehmen, hätte das Krankenhaus bestimmt schnell wieder Betten frei – für die nächsten Patienten.