Ausland27. Mai 2020

Unbewältigte Vergangenheit

In Südkorea wurde des Volksaufstands in Gwangju von 1980 gedacht. Eine Wahrheitsfindungskommission soll endlich Umstände klären

Am 27. Mai 1980 erlebte die selbstverwaltete »Freistadt Gwangju« in Südkorea den schwärzesten Tag ihrer Geschichte, als der zehntägige Volksaufstand mit äußerster Brutalität niedergeschlagen wurde. Anläßlich des 40. Jahrestags des Beginns der Erhebung wandte sich Präsident Moon Jae In am 18. Mai bei einer öffentlichen Zeremonie vor dem ehemaligen Provinzbüro der Stadt an die Bevölkerung: »Durch Gwangju haben wir Demokratie erlebt und auch, wie sie die Menschen einander näherbringt, uns zum Teilen bewegt und uns besser kommunizieren läßt. Diese Erfahrung, die uns eingeprägt wurde, wird immer unsere größte Stärke sein, ganz egal, welchen Schwierigkeiten wir entgegenblicken.«

Gleichzeitig erneuerte Moon die Forderung seiner Regierung nach Einsetzung einer Wahrheitsfindungskommission. Dieser, so beteuerte der Präsident, solle es vor allem darum gehen, auf der Grundlage von Wahrheit Versöhnung und Einheit anzustreben. Bis heute gibt es sehr unterschiedliche Zahlenangaben über die in Gwangju Ermordeten und Verletzten. Noch wird offiziell von 207 Todesopfern ausgegangen, während nichtstaatliche Stellen von Hunderten Verletzten und vermißten Personen sowie von über 2.000 Toten sprechen.

Als großes Hindernis zur Aufarbeitung des Massakers von Gwangju hatte sich in der Vergangenheit immer wieder der Widerstand ultrareaktionärer Hardliner inner- wie außerhalb des Parlaments erwiesen. Diese verkünden bis heute die absurde Version, nordkoreanische Soldaten und Agenten hätten seinerzeit in Gwangju einen Aufstand angezettelt, um die Regierung in Seoul zu destabilisieren. Moons politisches Lager hingegen insistiert auf einer umfassenden Aufklärung, zumal sich der Präsident selbst als ehemaliger studentischer Aktivist und langjähriger Bürgerrechtsanwalt engagiert hatte.

Im Mai 1980 hatten in zahlreichen Städten Südkoreas die Menschen für bessere Lebensbedingungen, kürzere Arbeitszeiten, für Freiheit und Demokratie demonstriert. Seit 1961 hatte eine Militärjunta unter Führung des USA-Schützlings General Park Chung Hee dem Land gewaltsam ihren Stempel aufgedrückt. Dissens, Protest und Widerstand erstickten Parks Schergen bereits im Keim. Ende Oktober 1979 wurde der Präsident selbst Opfer seiner Soldateska – erschossen vom eigenen Geheimdienstchef. Das kurze politische Tauwetter endete abrupt im Frühjahr 1980, als es nunmehr Chun Doo Hwan – auch er ein General – gelang, seine politische Macht zu etablieren. Zu heftig, befand die Militärclique um Chun, hatten die Menschen, vor allem in der Provinz Südjeolla und ihrer damaligen Hauptstadt Gwangju, aufbegehrt und nach Demokratie verlangt.

Traditionell von der Zentralregierung vernachlässigt, wurde Jeolla bei staatlichen Entwicklungsvorhaben stets zuletzt bedacht, während ihre Bürger überproportional mit Steuern und anderen Abgaben belastet wurden. Mitte Mai 1980 machten 200.000 Bürger Gwangjus, gut ein Viertel der damaligen Gesamtbevölkerung, in friedlichen Umzügen ihrem Ärger über die Mächtigen in Seoul Luft. Erst das brutale Eingreifen einer Eliteeinheit führte zu gewalttätigen Straßenschlachten.

Greueltaten der staatlichen Einsatzkräfte brachten die Menschen schließlich dazu, Waffen- und Munitionsdepots zu stürmen und die »Freistadt Gwangju« auszurufen. Aus friedlichen Demonstrationen war eine bewaffnete Rebellion geworden, die Truppen flohen vorübergehend aus der Stadt. Am 27. Mai rückten jedoch, mit stillschweigender Duldung des Chefs des US-amerikanisch-südkoreanischen Oberkommandos, General John A. Wickham, teils aus der Grenzregion zu Nordkorea abgezogene »Elitesoldaten« der südkoreanischen Armee zum Angriff auf die Stadt vor und beendeten den Aufstand mit Panzern und Fallschirmjägern.

Dieses Massaker erschütterte den stramm antikommunistischen Kurs des Militärregimes und dessen Zwecklüge, Nordkorea sei von dem Wahn besessen, den Süden zu »schlucken« und »kommunistisch« umzukrempeln. Es waren südkoreanische Soldaten, die auf südkoreanische Zivilisten geschossen haben.

Rainer Werning

Einheiten der südkoreanischen Armee im Einsatz in der Stadt Gwangju
(Foto: Handout/
5.18 Memorial Foundation/AFP)