Ausland10. August 2022

Enteignung aus politischen Gründen

Oberster Gerichtshof Britanniens lehnt Venezuelas Forderung nach Zugang zu Reserven bei Bank of England ab

von Volker Hermsdorf

Der Rechtsstreit um die bei der Bank of England deponierten Goldreserven Venezuelas im Wert von rund 1,6 Milliarden Euro geht in eine neue Runde. Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs hat Ende Juli die Forderung der Regierung des südamerikanischen Landes auf Zugang zu 31 Tonnen Gold abgelehnt, die dort gelagert werden. Venezuelas Zentralbank kritisierte, daß diese Entscheidung gegen internationales Recht verstoße und kündigte an, sie vor »internationalen Gremien« anzufechten. Vizepräsidentin Delcy Rodríguez bezeichnete das Urteil als »Enteignung aus politischen Gründen« und warnte davor, daß »so etwas in naher Zukunft« auch andere Länder treffen könne.

Mit der jüngsten Entscheidung verweigert Britannien der Regierung des gewählten Staats- und Regierungschefs Nicolás Maduro weiterhin den Zugriff auf die Goldreserven des Landes. Caracas benötigt das Gold für Ausgaben im Gesundheitswesen und soziale Projekte. Die Regierung wies darauf hin, daß sie den Erlös aus dem Verkauf des Goldes an das Entwicklungsprogramm der Organisation der Vereinten Nationen (UNDP) überweisen will, das damit den Erwerb von Medikamenten und Hilfsgütern zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie organisieren soll.

Doch während die Pandemie auch das venezolanische Gesundheitswesen hart traf, hatte die Bank of England den Zugang zum Gold eingefroren. Sie entsprach damit einer Forderung des von Washington unterstützten rechten Oppositionspolitikers Juan Guaidó, der sich Anfang 2019 selbst zum »Interimspräsidenten« erklärt und Anspruch auf die bei der britischen Zentralbank deponierten Goldreserven erhoben hatte.

Mit rund 50 weiteren der 193 UNO-Mitgliedstaaten war auch Britannien den außenpolitischen Vorgaben der USA gefolgt. Der derzeit noch amtierende Premierminister Boris Johnson ließ Mitte 2019 erklären, daß die Regierung in London nur Juan Guaidó als »rechtmäßigen Präsidenten« Venezuelas anerkenne. Demgegenüber hatte der Oberste Gerichtshof (TSJ) des Landes entschieden, Guaidós Einmischung in das Goldgeschäft zu beschränken und beantragt, die Reserven zu transferieren. Seitdem beschäftigt der Fall britische Gerichte.

Ein erstes Urteil zugunsten Guaidós vom Juli 2020 war drei Monate später vom Berufungsgericht mit der Begründung aufgehoben worden, daß Britannien die diplomatischen Beziehungen zur Regierung von Nicolás Maduro nie abgebrochen habe, so daß die Anerkennung des Oppositionspolitikers fragwürdig sei. Im Dezember vergangenen Jahres hob der Oberste Gerichtshof diese Entscheidung dann wieder auf und verwies den Fall an das Handelsgericht.

Am 29. Juli erklärte nun Richterin Sara Cockerill, die die Anhörung vor dem Handelsgericht leitete, daß diese Instanz das Urteil des Obersten Gerichtshofs Venezuelas (TSJ) ignoriere. Cockerill sagte, es gebe »klare Beweise« dafür, daß der TSJ mit Richtern besetzt sei, die Maduro unterstützen. Deshalb würden seine Entscheidungen nach britischem Recht nicht anerkannt. Auch in ihren weiteren Ausführungen übernahm die Richterin fast ausnahmslos die Position von Guaidó, dem sogar der US-amerikanische Fernsehsender CNN mittlerweile bescheinigt, daß er »in den vergangenen Jahren die Unterstützung der Opposition für seine Führung verloren hat«.

Dennoch verkündete Cockerill, sie habe entschieden, daß die Ansprüche des selbsternannten »Interimspräsidenten« berechtigt sind und die Kontrolle über die Goldreserven an ein von der Opposition benanntes »Beratergremium« übertragen werden solle. Allerdings räumte das Gericht ein, daß Guaidó nicht auf die Gelder zugreifen dürfe, solange der Rechtsstreit nicht vollständig beigelegt ist. Trotzdem feierte der Oppositionspolitiker die Entscheidung in einer Erklärung bereits als »wichtigen Sieg«.

Die Anwälte der Venezolanischen Zentralbank äußerten sich »besorgt« darüber, daß das Gericht den Vorgaben der britischen Regierung gefolgt sei, »die eine Person als Staatsoberhaupt anerkennt, die keine effektive Kontrolle oder Macht über irgendeinen Teil des Staates hat«. Selbst die BBC wies darauf hin, daß Rechtsexperten es als »beispiellos« bezeichnen, daß »die höchsten Gerichte eines Landes die Verfassung eines anderen Landes auslegen«.