Ausland30. November 2023

Frieren für den Krieg gegen Rußland

5,5 Millionen Menschen in Deutschland konnten 2022 nicht angemessen heizen

von dpa/ZLV

Angesichts gestiegener Energiepreise haben sich Millionen Menschen in Deutschland im vergangenen Jahr finanziell überfordert gefühlt. 5,5 Millionen Menschen lebten in Haushalten, die ihr Haus oder ihre Wohnung aus Geldmangel nicht angemessen heizen konnten. Das betraf rund 6,6 Prozent der Bevölkerung, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag in Wiesbaden mitteilte. Damit habe sich der Anteil zum Vorjahr 2021 (3,3 Prozent) verdoppelt.

»Energiepreisbremsen« werden beendet

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zur Einhaltung der »Schuldenbremse« will die Bundesregierung die sogenannten Strom- und Gaspreisbremsen nun drei Monate früher auslaufen lassen als zunächst geplant – und verweist auf »deutlich gesunkene Energiepreise«.

Der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Dienstag im Bundestag in einer Regierungserklärung zur Haushaltskrise, die »Energiepreisbremsen« könnten zum Jahreswechsel beendet werden. Er nannte als Grund, überall in Deutschland seien wieder Strom- und Gastarife verfügbar, die zwar deutlich höher lägen »als vor der Krise« – aber meist unterhalb der Obergrenzen der »Preisbremsen« und ebenfalls »spürbar unter den Preisen im vergangenen Herbst und Winter«.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen kritisierte das frühere Ende der »Preisbremsen«. Die Kehrtwende der Bundesregierung koste Verbraucher viel Geld. »Wer zum Beispiel im März dieses Jahres einen teuren Energievertrag abschließen mußte, steckt auch über den Jahreswechsel hinaus in der Mindestvertragslaufzeit fest«, machte Verbandschefin Ramona Pop deutlich. Vor allem Haushalte mit geringem Einkommen dürften deshalb im Winter nicht in finanzielle Not geraten. Die Regierung müsse jetzt auf andere Weise die Menschen gezielt entlasten.

Selbstgemachte »Energiekrise«

Als Grund für den gewachsenen Anteil der Menschen, die 2022 nicht angemessen heizen konnten, sehen die Statistiker »höhere Energiepreise im Zuge des Ukraine-Kriegs« – also eine Folge der Vielzahl von Sanktionen, die von der EU und der Bundesregierung gegen Rußland erlassen wurden.

Durch den weitgehenden Importstopp für russisches Öl und Gas kam es einerseits zu Engpässen, und andererseits werden seitdem Energieträger importiert, die deutlich teurer sind – und noch dazu Gas aus den USA, das vor allem durch umweltschädigendes Fracking gefördert und zudem wenig klimafreundlich per Schiff transportiert wird. Hinzu kommen neue Infrastrukturen für die Abnahme von verflüssigtem Gas (LNG), die mit großem finanziellen Aufwand errichtet wurden und werden, und zudem aus guten Gründen auf Proteste von Umweltschützern treffen.

Außerdem ist bemerkenswert, daß faktisch alle großen Energieunternehmen inmitten der »Energiekrise« satte Gewinnsprünge gemeldet haben.

Alleinerziehende
besonders betroffen

Besonders häufig waren im angeblich so reichen Deutschland Menschen in Alleinerziehenden-Haushalten betroffen: Gut 14 Prozent von ihnen gaben an, ihre Wohnung aus Geldmangel nicht angemessen heizen zu können. Auch Personen in Haushalten aus zwei Erwachsenen und mindestens drei Kindern (9,7 Prozent) sowie Alleinlebende (7,3 Prozent) waren überdurchschnittlich häufig betroffen.

Die Angaben basieren auf der EU-weiten Statistik zu Einkommen und Lebensbedingungen, eine amtliche Hauptdatenquelle für die Messung von Armutsgefährdung und Lebensbedingungen in den EU-Mitgliedstaaten. Die Einschätzung zur Angemessenheit des Heizens liege im Ermessen der Befragten, erläuterten das Statistische Bundesamt. Es habe keine Einschränkung wie einen »Temperaturkorridor« bei der Befragung gegeben.

Die von der deutschen Bundesregierung verkündeten »Preisbremsen« sollten eigentlich bis Ende März gelten. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gesagt, zum 31. Dezember werde der Wirtschaftsstabilisierungsfonds geschlossen – daraus werden die Preisbremsen finanziert. Die nötigen Kredite für 2023 sollen nun per Nachtragshaushalt abgesichert werden.

Die Bremsen für Strom und Gas waren im März eingeführt worden und galten rückwirkend auch für Januar und Februar. Sie sollten Verbraucher vor einer »Überforderung durch gestiegene Energiekosten infolge des Ukraine-Kriegs« bewahren. Die Preise wurden für 80 Prozent des Verbrauchs von Privathaushalten gedeckelt – für Strom bei 40 Cent und für Gas bei 12 Cent je Kilowattstunde. Kanzler Scholz sagte im Bundestag, die Regierung habe »Millionen Bürgerinnen und Bürgern und vielen Betrieben durch die enorm schwierige Zeit geholfen«.

Ergebnis der EU-Politik

Bei der finanziellen Überforderung bei Heizkosten liegt Deutschland mit einem Bevölkerungsanteil von 6,6 Prozent noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt: In der Europäischen Union waren 2022 rund 9,3 Prozent der Bevölkerung nach eigener Einschätzung finanziell nicht in der Lage, ihre Wohnung oder ihr Haus angemessen warmzuhalten – 2021 waren es noch 6,9 Prozent.

Am häufigsten gaben Menschen in Bulgarien an, ihren Wohnraum nicht angemessen heizen zu können: Dort war gut jeder Fünfte (22,5 Prozent) betroffen. Es folgten Zypern (19,2) und Griechenland (18,7). Am niedrigsten war der Anteil in Finnland (1,4 Prozent) sowie in Luxemburg (2,1) und Slowenien (2,6).